Jungle World, Nr. 06/2002 - 30. Januar 2002 Unterschreiben fürs Sprechen Die türkische Regierung reagiert mit Repressalien auf eine Kampagne für kurdischsprachigen Unterricht. von niko aslan Em Perwerdaya Kurdi« ist der kurdische Ausdruck für Unterricht in der Muttersprache. Bereits am 20. November des vergangenen Jahres starteten StudentInnen der Universität Istanbul eine Kampagne für die offizielle Anerkennung ihrer Sprache in allen Bildungseinrichtungen. Die türkische Regierung, die die Tatsache, dass es über zwölf Millionen KurdInnen im Land gibt, nicht anerkennt, reagierte darauf bisher mit mehr als 100 Verhaftungen. Doch trotz dieser Repressalien sind etwa 11 000 Unterschriften gesammelt worden, von denen aber lediglich 4 300 offiziell anerkannt wurden. Die geringe Zahl erklärt sich aus der Prozedur dieser Kampagne. Denn die StudentInnen haben ihre Anträge bei dem für sie zuständigen Rektorat einzureichen, und wie das reagiert, lässt sich im Voraus nicht sagen. So leitete der Rektor der Istanbuler Universität Marmara sofort ein Disziplinarverfahren gegen die AntragstellerInnen ein. Die Verwaltung der Universität Dokuz Eylül in Izmir gab die Unterschriftenliste an die Polizei weiter. Die Universität Firat in Cukurova hingegen schickte die eingereichten Unterschriften an die Absender zurück. Zur Begründung hieß es, die Unterschriften seien gefälscht. Die AntragstellerInnen wurden wie in Izmir von der Polizei aus ihren Wohnungen abgeholt oder, wie an der Universität Inönü in Malatya, sofort an der Tür des Dekanats festgenommen. Ähnliche Szenen spielten sich an anderen Hochschulen ab. Die StudentInnen wurden eingeschüchtert oder gleich von der Universität verwiesen. Bei der Kampagne, die auch an verschiedenen Schulen durchgeführt wurde, solidarisierten sich die Eltern der SchülerInnen, vor allem viele Mütter, mit den Forderungen. Deswegen werden sie nicht selten von der Polizei angegriffen, wie etwa in der türkischen Stadt Icel. Dort wollten 100 Frauen die gesammelten Unterschriften bei der Kulturbehörde einreichen. Die Polizei ging mit Schlagstöcken gegen sie vor, beschlagnahmte die Anträge und nahm vier Frauen fest. Auch einige SchülerInnen wurden wegen ihrer Teilnahme an den Aktionen inhaftiert, anderen drohte man mit Verweisen. Doch nicht nur die Repressalien nehmen zu, sondern auch die Proteste. In der vergangenen Woche fanden unter dem Motto »Die Begrenzung unserer Sprache ist die Begrenzung unserer Welt« zahlreiche Demonstrationen und Kundgebungen statt. Wie so oft wittern das Innen- und das Justizministerium sowie der Hochschulrat hinter den Protesten die PKK, die vom Ausland aus die Menschen zum zivilen Ungehorsam aufrufe. Der türkische Innenminister Rustu Kazim Yücelen wies deswegen die Gouverneure der 81 Provinzen an, gegen die Kampagne vorzugehen. Am vergangenen Freitag nahm die Polizei dann auch noch 90 Mitglieder der kurdischen Partei Hadep fest. Die Behörden werfen ihnen vor, an der Sprachinitiative beteiligt gewesen zu sein. Die meisten Verhafteten erwartet nun eine Anklage wegen Propaganda oder der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Ihnen drohen damit mehrjährige Haftstrafen. Trotz dieser Verdächtigungen findet die Kampagne große Unterstützung. Neben anderen beteiligen sich Intellektuelle wie der türkische Kolumnist und Verleger Ragip Zarakolu, der türkische Schriftsteller Yasar Kemal, die Feministin und Journalistin Ayse Düzkan sowie Gewerkschaften und Menschenrechtsvereine an den Aktionen. Nach Angaben von Cuma Cicek von der Initiative für kurdischsprachige Ausbildung schließen sich auch Dozenten der Forderung an. Viele würden sich aber davor fürchten, ihre Haltung öffentlich zu bekunden, da seit November bereits elf Lehrkräfte wegen ihrer Unterstützung vom Lehrbetrieb suspendiert wurden. Neben der Hadep-Partei, gegen die zur Zeit ein Verbotsprozess läuft, und anderen linken Parteien wird die Unterschriftenkampagne auch von einzelnen Politikern der konservativen Regierungspartei Anap, der oppositionellen sozialdemokratischen Partei (CHP) sowie der fundamentalistischen Partei unterstützt. Als der Anap-Abgeordnete Abdülbakir Erdogmus im Parlament in Ankara die Einführung des Unterrichts in kurdischer Sprache forderte, sorgte er damit für Schlagzeilen. Der stellvertretende Parteisekretär der CHP, Algan Hacaloglu, sagte, dass er gegen den Unterricht in kurdischer Sprache in staatlichen Schulen und Hochschulen sei, in Privatschulen sei dies eine andere Angelegenheit. Er könne sich durchaus vorstellen, dass der Staat ein kurdisches Institut gründe. Nachdem im vergangenen September einige Artikel des türkischen Grundgesetzes geändert wurden, sind heute kurdischsprachige TV-Sendungen oder Veröffentlichungen zwar grundsätzlich möglich. Als Unterrichtsfach an den Schulen bleibt Kurdisch aber verboten. Mit der Gesetzesänderung wollte die türkische Regierung der Europäischen Union, die seit langem die Einhaltung von Minderheitenrechten fordert, zeigen, dass sie gewillt ist, ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Von dem so genannten Integrationsgesetz, das die Regierung im März verabschieden will, erhoffen sich die KurdInnen nun eine weitere Liberalisierung. Seine Behörde sei jedenfalls bereit, »sich nach den neuen Gesetzen zu richten«, erklärte Nuri Kaya, der Vorsitzende von RTÜK, einer Art Zensurbehörde für Radio und Fernsehen. Allerdings zeigen sich einige kurdische Politiker ungeduldig und wollen nicht länger auf die Verabschiedung dieser Gesetze warten. So möchte zum Beispiel der Kulturverantwortliche der Stadt Diyarbakir, Serif Baltas, eine Kassette mit kurdischen Liedern veröffentlichen, was nach wie vor als Straftat gilt. In der Türkei fehlt es nicht an couragierten FürsprecherInnen für die Anerkennung der Rechte der Minderheiten. Nur haben sie starke Gegner. Die Militärs und die faschistische MHP sind nur zwei Beispiele für jene, die eine Liberalisierung entschieden ablehnen. |