28.07.1998
Frauen-Folter als Methode in der
Türkei?
jW sprach mit Eren Keskin
(Die Istanbuler Rechtsanwältin ist stellvertretende Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins IHD)
F: Jeden Samstag treffen sich in
Istanbul die Mütter, deren Kinder in der Türkei »verschwunden«
sind. Gibt es Gruppen der
»Samstagsmütter«
auch in anderen Städten der Türkei?
In Istanbul hat es angefangen,
zur Zeit gibt es auch Gruppen in Izmir und Ankara. Am Anfang war es sehr
schwierig. Die
Samstagsmütter wurden angegriffen.
Die Sicherheitskräfte haben versucht, diese Aktion zu beenden. Sie
haben auf die Frauen
eingeprügelt, sie an den
Haaren in die Polizeiautos gezerrt. Mit Hunden sind sie sogar auf die Demonstrierenden
losgegangen.
Viele von uns wurden verhaftet.
Nach einer Weile wurde es dann ruhig. Bis vor zwei Monaten. Da wurden die
Mütter wieder
angegriffen. Doch die Samstagsmütter
lassen sich nicht unterkriegen. Sie geben nicht auf. Sie werden immer weiter
für ihre
Rechte kämpfen.
F: Seit wann sind Sie bei den Samstagsmüttern?
Als die Aktion begann, war ich im Gefängnis. Aber seitdem ich entlassen wurde, bin ich jeden Samstag mit dabei.
F: Sind auch Angehörige von Ihnen »verschwunden«?
Angehörige nicht, aber Mandanten.
F: Haben Sie wegen Ihres Engagements Schwierigkeiten bekommen, als Rechtsanwältin zu arbeiten?
Ja, nicht nur wegen der Samstagsmütter,
sondern weil ich als Anwältin politische Gefangene vertrete. Ich bin
bis jetzt fünfmal
verhaftet worden. Als ich das
letzte Mal inhaftiert war, bekam die Anwaltskammer einen Brief, in dem
sie aufgefordert wurde, mir
die Lizenz als Rechtanwältin
zu entziehen. Das hat die Kammer aber abgelehnt. Einmal wurde sogar versucht,
mich zu
verschleppen. Ich kam mit einer
Freundin aus dem IHD-Gebäude in Istanbul. Wir wollten in ein Taxi
einsteigen. Auf einmal
stiegen aus einem anderen Taxi
Männer aus, die versuchten, mich mitzuzerren. Ich habe sofort laut
geschrien. Die Männer haben
sich an meinen Armen so richtig
festgekrallt. Ich habe noch lauter geschrien. Das haben meine Freunde mitbekommen.
Die
Männer haben mich losgelassen,
so daß ich entkommen konnte. Aber ich glaube, die wollten mich nicht
wirklich verschleppen.
Wenn sie das wirklich gewollt
hätten, dann hätten sie mich auch mitgenommen. Sie wollten mich
wohl erschrecken, mich
einschüchtern, damit ich
Angst bekomme und aufhöre, politisch zu arbeiten.
F: Haben Sie Angst?
Natürlich habe ich Angst.
Aber mit dieser Angst müssen wir leben. Es gibt zwei Möglichkeiten,
damit umzugehen: entweder sich
wehren oder aufgeben.
F: Sie selbst sind ja mehrfach
inhaftiert worden. Der Vorsitzende des Menschenrechtsvereins, Akin Birdal,
wurde in seinem Büro
angeschossen und schwer verletzt.
Wir sind ja öfter bedroht
worden. Man muß jeden Tag damit rechnen. Ich muß damit leben
und darf mich nicht aufgeben. Sonst
haben sie ihr Ziel erreicht. Denn
das ist, was sie damit bezwecken. Aber wir sind alle Menschen, und wir
haben natürlich Angst.
Ganz allgemein ist es in der Türkei
so, daß die politischen Gefangenen mit ihren Verwandten keinen Kontakt
aufnehmen dürfen.
Die anderen Gefangen, zum Beispiel
die Mafia-Banden, dürfen ihre Verwandten sehen und bekommen auch regelmäßig
Besuch.
Aber wir dürfen unsere Verwandten
nicht sehen.
F: Welche Erfahrungen haben Sie in der Haft gemacht?
Ich konnte mir nicht vorstellen,
wie man politische Gefangene behandelt. Nachdem ich selbst inhaftiert war,
wußte ich, was sie
aushalten müssen und daß
sie im Gefängnis keinerlei Rechte mehr besitzen.
Selbstverständlich sind von
einem Krieg alle Menschen betroffen. Frauen jedoch in besonderem Maße.
Das äußert sich vor allem
auch im Krieg. Die Frauen werden
einmal wegen ihres Geschlechts und zum zweiten wegen ihrer Identität
als Kurdinnen
unterdrückt: Jede Frau muß
sich nach der Verhaftung vollständig ausziehen. Vor männlichen
Polizeibeamten. Jede muß eine
gynäkologische Untersuchung
über sich ergehen lassen. In den Verhören werden sie sexuell
gefoltert und vergewaltigt. Bei den
Militäreinsätzen in
den kurdischen Gebieten werden die Frauen vor den Augen der Dorfbewohner
ausgezogen und angefaßt und
beschimpft. Sexuelle Folter ist
eine Methode der Kriegsführung in Kurdistan. Die Täter sind Militärs,
Sicherheitsbeamte oder
Dorfschützer. Obwohl es häufig
zu Vergewaltigungen kommt, wird sehr wenig darüber geredet. Die Frauen
haben Angst, in der
Gesellschaft Schwierigkeiten zu
bekommen. Sie werden vom Staat unter Druck gesetzt, wenn sie die Täter
anzeigen. Aber sie
haben auch Angst vor den Reaktionen
der eigenen Familie. Obwohl es so häufig passiert, begreifen viele
Frauen das immer noch
als ihr individuelles Schicksal.
F: Gibt es Hilfe für diese Frauen?
Wir haben ein Projekt initiiert,
in dem Frauen Hilfe und Unterstützung bekommen, die in Polizeigewahrsam
bzw. bei
Militäreinsätzen oder
von Dorfschützern und anderen Sicherheitskräften sexuell bedroht
oder vergewaltigt wurden. Viele Frauen
haben sich an uns gewandt. Fast
sechzig Frauen haben uns beauftragt, einen Strafantrag zu stellen, achtzehn
von ihnen waren
vergewaltigt worden. Wenn es zu
einem Verfahren kommt, dann vertreten wir die Frauen. Wenn unsere Strafanträge
abgelehnt
werden, dann gehen wir bis zum
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. In einem Fall ist
das Verfahren dort mit einer
Verurteilung der Türkei beendet
worden. Daraufhin wurde auch in der Türkei ein Verfahren gegen den
Täter, einen
Militär-Hauptmann, eröffnet.
Das hatten die türkischen Gerichte zunächst verweigert. Allerdings
ist es für die betroffenen Frauen
trotzdem schwierig, ein solches
Verfahren zu führen. Und es kostet viel Mut, das auch durchzustehen.
Viele Frauen finden erst sehr viel
später nach der Tat den Mut, darüber zu sprechen, oft, wenn sie
schon mehrere Jahre im Ausland
im Exil leben. Jede Form von Unterstützung
- auch aus der Bundesrepublik - ist wichtiger denn je für diese Frauen.
Interview: Birgit Gärtner