von Jan Keetman
Wachsender Druck auf Samstagsmütter
Polizeieinsatz unter fadenscheinigen Vorwänden
Die Polizei in Istanbul hinderte am Wochenende wie jede Woche Angehörige und Menschenrechtler daran, mit einer Sitzaktion die Aufklärung des Schicksals Hunderter Personen zu fordern, die im Gewahrsam der Polizei 'verschwunden' sind. 30 Menschenrechtler wuren festgenommen.
Vor zwei Wochen hatte ein großes Polizeiaufgebot die 170. Kundgebung
der als "Samstagsmütter" bekannten Menschenrechtsgruppe wegen eines
Bombenanschlags verboten. Diesmal genügte der bloße Hinweis,
die Aktion sei "ungesetzlich", um bereits vor der Kundgebung bekannte Menschenrechtler
festzunehmen. Auch die Istanbuler Vertreterin der internationalen Journalistenorganisation
'Reporter ohne Grenzen', Nadire Mater, befand sich unter ihnen. Danach
machte die Polizei regelrecht Jagd auf mutmaßliche Mitglieder der
überwiegend aus Frauen bestehenden Menschenrechtsgruppe. Die Festgenommenen
wurden beim Abtransport geschlagen.
Der Vorsitzende des Isatanbuler Menschenrechtsvereins, Ercan Kanar,
kritisierte auf einer spontanen Kundgebung vor dem Gebäude des Vereins
in einer Seitenstraße das Einschreiten der Poizei. Unter Anspielung
auf die Festnahme des türkischen Rechtsradikalen und Mafiabosses Alaattin
Cakici durch die französische Polizei, bei der sich herausstellte,
daß er einen Dipolamtenpaß besaß, sagte Kanar: "Derselbe
Staat, der rote Pässe an faschistische Banden austeilt, kann es nicht
ertragen, daß die Samstagsmütter nach ihren Kindern suchen."
Seit mehr als drei Jahren versammeln sich die Frauen vor dem historischen
Galatasaray-Gymnasium, der ersten Schule in der Türkei, in der nach
europäischen Vorbild Unterricht stattfand. Mehrfach wurden diese Kundgebungen
gestört oder verhindert, dann aber offenbar wegen des schlechten Echos
in der türkischen Presse wieder zugelassen oder nur durch eine Reihe
vor dem Kundgebungsort geparkter Polizeibusse von der Öffentlichkeit
abgetrennt. Wie selbstverständlich parkte die Polizei auch regelmäßig
den Bus mit der Aufschrift: "Fahrbares Untersuchungszentrum für Verschwundene"
neben den Samstagsmüttern, offenbar um den Eindruck zu erwecken, diese
sollten sich doch vertrauensvoll an die Polizei wenden. Nimet Tanrikulu
von der Istanbuler Zweigstelle des Türkischen Menschenrechtsvereins
erklärte dazu, daß es unter den angeprangerten Fällen keinen
einzigen gebe, in dem sich die Angehörigen nicht an Polizei und Staatsanwaltschaft
gewandt hätten.