Mörderische Diplomatie
Die türkische Regierung hat eine prima "Anti-Mafia-Strategie":
Integration in Geheimdienst und Kontraguerilla
"Fegt die Mafia aus euren Provinzen", befahl der türkische Innenminister Kutlu Aktas auf Geheiß von Ministerpräsident Mesut Yilmaz am vergangenen Donnerstag den neu berufenen Polizeichefs in 31 Provinzen der Türkei. Ein guter Scherz, schmunzelte die türkische Presse, denn dazu müßte es zunächst gelingen, die Verstrickungen von Mafia, Polizei sowie Geheimdienst und nicht zuletzt von Politik und Regierung zu entwirren.
Mit der Festnahme des türkischen Obermafioso Alaatin Cakici in Frankreich am 17. August wurde die Diskussion um die Verflechtung der Mafia mit höchsten Kreisen aus Politik und Sicherheitsapparat neu belebt. Cakici gilt als einer der einflußreichsten türkischen Paten. Er ist in das internationale Schmuggelgeschäft verwickelt und Initiator zahlloser Morde. Bei seiner Verhaftung trug er ein peinliches Indiz bei sich: einen auf den Namen "Nedim N. Acar" ausgestellten Diplomatenpaß. Und noch peinlicher: Der "falsche" Ausweis war eigentlich echt, ausgestellt vom türkischen Geheimdienst MIT.
Der Diplomatenpaß, Passierschein für unkontrollierten Grenzübertritt
weltweit, wurde Cakici am 24. Oktober letzten Jahres von der türkischen
Botschaft in Peking ausgestellt. Sein Gönner dort war der offiziell
als juristischer Berater an die Botschaft berufene Diplomat Yavuz Aytac;
tatsächlich fungierte er dort als Leiter der
geheimdienstlichen Abteilung.
Yavuz' Diplomatenkarriere ist bisher nicht besonders lang. Denn noch bis Februar 1997 war er beim türkischen Geheimdienst stellvertretender Leiter für Operationen im Ausland. Seine Versetzung nach Peking erfolgte nach der umfangreichen Aussage des ehemaligen stellvertretenden Leiters der geheimdienstlichen Abteilung der türkischen Polizei, Hanefi Avci, vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Das pikante Thema der Aussage war die sogenannte Susurluk-Affäre.
Avci legte nach dem folgenschweren Autounfall nahe der westanatolischen
Stadt Susurluk, bei dem ein Abgeordneter der Regierungspartei, ein ehemaliger
Polizeichef und ein international gesuchter Drogenhändler und Mörder
gemeinsam verunglückten, Verbindungen zwischen Mafia und Sicherheitskräften
offen. Er
bestätigte die Existenz verschiedener Teams von Polizei, Militärs
und MIT, die in Zusammenarbeit mit der Mafia Einsätze im In- und Ausland
organisieren und durchführen würden. Die Mafiosi erledigen dabei
die Drecksarbeit - also Anschläge auf Oppositionelle oder unzuverlässige
Geschäftspartner, Erpressungen, internationale Drogen- und Waffengeschäfte.
Außerdem erklärte der hohe Polizeibeamte Avci bereits damals,
Cakici habe mit Hilfe des Geheimdienstchefs Aytac das Land verlassen können.
Auch beim durch den Susurluk-Unfall getöteten Mörder und Drogenhändler
Catli wurde ein Ausweis gefunden, der ihn als Mitarbeiter des öffentlichen
Dienstes auswies. Eine ganze Reihe von Führungspersonen des türkischen
Geheimdienstes und der Polizei mußten daraufhin ihre Posten räumen
- hauptsächlich im Anti-Terror-Kampf oder der Abteilung
"Kommando für Sondereinheiten", der berüchtigten türkischen
Kontraguerilla.
Einige der in Ungnade Gefallenen, so der ehemalige Polizeichef Mehmet Agar, der im Kabinett der ehemaligen Ministerpräsidentin Tansu Ciller bis zum Justiz- und Innenminister aufstieg, müssen sich immer noch vor Gericht verantworten. Andere wurden in den diplomatischen Dienst versetzt. Der ehemalige stellvertretende Geheimdienstchef Mehmet Eymür beispielsweise ist mittlerweile für die türkische Botschaft in Washington tätig. Auf diese Art und Weise verschwand auch Aytac nach Peking und versorgte dort ein paar Monate später seinen alten Freund Cakici mit den begehrten Diplomatenpapieren.
Dabei ist es unwahrscheinlich, daß die Beschaffung des Dokuments
ein reiner Freundschaftsdienst war. Zwar veröffentlichte die türkische
Presse in der vergangenen Woche Fotos, die Aytac 1991 als Trauzeugen bei
der Hochzeit von Cakicis Schwester zeigen. So soll offensichtlich ein besonders
enges Verhältnis der beiden suggeriert werden, als handle es sich
um eine rein private Beziehung. Tatsächlich jedoch unterstand Aytac
in seiner Funktion als Leiter der Außenoperationen
des türkischen Geheimdienstes auch ein Team von Killern aus der
Mafiaszene. So gehörte der im August 1996 auf Anordnung seines ehemaligen
"Geschäftsfreundes" Cakici in Istanbul erschossene Tevfik Agansoy
zu Aytac' mörderischem Team.
Agansoy war mit Hilfe seines Vorgesetzten 1994 nach einem brav erledigten
Auftragsmord die Ausreise nach Deutschland gelungen, wurde jedoch am 30.
August 1995 verhaftet. Obwohl dem Bundesnachrichtendienst eine schriftliche
Aussage von Agansoy vorliegt, in der er von seinen Beziehungen zum türkischen
Geheimdienst berichtet, übergab die deutsche Polizei den mehrfachen
Mörder und Drogenhändler den türkischen Sicherheitskräften.
Nach vier Monaten
wurde er dort bereits wieder aus dem Gefängnis entlassen und etwa
ein halbes Jahr später von Cakicis Leuten ermordet. Denn Agansoy hatte
der türkischen Presse zu viel von geheimen staatlichen Geschäften
mit der Mafia berichtet.
Nach einem Bericht des stellvertretenden Ministerpräsidenten Bülent
Ecevit vom vergangenen Wochenende soll die Vernehmung Cakicis nun vermutlich
in Frankreich stattfinden. Bereits wenige Tage nach der Verhaftungsaktion
des "Diplomaten" in Nizza geistert die Vermutung durch die türkische
Presse, Cakici habe belastendes Material wie aufgezeichnete Telefongespräche
mit Ministern. So bekannte der Staatsminister der Regierungspartei ANAP,
Eyüp Asik, bereits, er habe
mit Cakici tatsächlich telefoniert. Aber diese Kontakte, so die
offizielle Darstellung, seien Bestandteil einer Anti-Mafia-Organisation
der Regierungspartei. Die konservative und regierungsnahe Tageszeitung
Hürriyet berichtete eine Woche nach der Festnahme Cakicis beispielsweise,
Ministerpräsident Yilmaz habe
umgerechnet 70 Millionen Mark aus dem staatlichen Geheimfonds locker
gemacht, um die "türkische Anti-Mafia-Operation" zu finanzieren.
Dennoch gab es von Yilmaz nach der Festnahme Cakicis lange keine öffentliche Stellungnahme zur der vermeintlichen Anti-Mafia-Struktur. Statt dessen erklärte sein Stellvertreter Ecevit am Freitag vergangener Woche, Cakici habe seines Wissens keine Verbindungen zum türkischen Geheimdienst gehabt.
Der Geheimdienst MIT veröffentlichte hingegen auf seiner Internet-Web-Site
vorsichtshalber schon einmal eine indirekte Rechtfertigung für extralegale
Maßnahmen: Es sei manche unerwünschte, den Umständen jedoch
angemessenen Situation entstanden, die jetzt Anlaß zur Kritik gäben.
Seit Jahren agiert die Behörde nach der
Devise: Im Kampf für die Sache ist jedes Mittel recht. Wer diese
Strategie kritisiere, heißt es auf der Webpage weiter, hänge
entweder einer bestimmte Ideologie an, die den Geheimdienst und die Sicherheitspolitik
verunglimpfe, oder sei zumindest von diesen Ideologien verblendet - wie
beispielsweise Journalisten oder
Menschenrechtsaktivisten.
Der Generalsekretär der islamischen Tugend-Partei, Eyüp Sanay,
äußerte am Freitag eine durchaus denkbare Theorie. Nach Sanay
handelt es sich bei der überraschenden Festnahme Cakicis in Frankreich
um eine geplante Aktion. Cakici, der ab 24. September in Nizza vor Gericht
stehen wird, habe sich absichtlich festnehmen lassen, um den Killern der
Kontraguerilla zu entgehen. Einem toten Cakici hätte man alle möglichen
Greueltaten unterschieben können, wie es im Falle der umgekommenen
Kontraguerilla-Mafiosi Abdullah Cakici und Tevfik Agansoy bereits geschehen
ist.
Sabine Küper-Basgöl, Istanbul