Hintergrundinformationen
 
 
Eine Chance
für den Frieden in der Türkei ?
 
III.  Waffenstillstand der
Arbeiterpartei Kurdistans
 
 
 
 
Herausgegeben:
Kurdistan Informations- Zentrum
Hansaring 6 l D-50670 Köln
tel.: +49 (0) 221 - 13 00 422
fax.: +49 (0) 221 - 13 00 424
e-mail: kizkoeln@aol.com
internet: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/kiz/
 

Inhalt
 

I.  Vorwort
II.1. Pressekonferenz der ERNK-Europavertretung in Brüssel am 16.März 1993
II.2. Erklärung des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans auf der Pressekonferenz am  17. März 1993 im Libanon
II.3. Erklärung des PKK-Zentralkomitees anläßlich des Waffenstillstandes
III. Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments am 19. April 1993
IV. Erklärung des Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, zum einseitigen  Waffenstillstand im Jahre 1995
V. Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in der Türkei und zum  Waffenstillstandsangebot der PKK
VI. Auszüge aus der Erklärung der SI-Konferenz in Wien
VII. Waffenstillstandserklärung des Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, vom  28.8.1998 im vollen Wortlaut
VIII. Bilanz der Menschenrechtsverletzungen 1992-Juni 1998

I. Vorwort

   Der 3. Waffenstillstand der PKK - eine Chance für den Frieden

Am 28.08.1998 hat der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, Abdullah Öcalan, während einer internationalen Pressekonferenz im kurdischen Fernsehsender MED-TV einen Waffenstillstand der Guerilla (ARGK) im bewaffneten Kampf um die Rechte des kurdischen Volkes verkündet: Vom 1.September an, dem „Weltfriedenstag“, stellte die Guerilla (ARGK) ihre Aktionen ein. Es ist bereits das dritte Mal, daß die kurdische Seite durch eine solche Vorgabe ihren Verhandlungs- und Friedenswillen zeigt.

Die Leiden der kurdischen ebenso wie der demokratischen türkischen Zivilbevölkerung durch die brutale Spezialkriegführung des türkischen Staates sollen durch vorliegende Dokumentation ebenso aufgezeigt werden, wie die Notwendigkeit einer Beendigung des seit fünfzehn Jahren andauernden Konflikts. Gleichermaßen ist es unser Anliegen, die europäische Öffentlichkeit und die verantwortlichen Politiker Europas aufzurufen, auf der Grundlage dieses Waffenstillstands mitzuhelfen, die Voraussetzungen für eine politische Lösung des Kurdischen Frage zu schaffen.

Bereits 1993 und 1995/96 hatte es je einen Versuch gegeben, durch einen einseitigen Waffenstillstand Verhandlungen mit dem Ziel eines dauerhaften Friedens zu ermöglichen. Beide Male gab es keinerlei erkennbare Reaktionen des türkischen Staates oder der Militärs, die die mächtigsten Träger der Politik in der Türkei sind, auf das kurdische Angebot. Im Jahre 1993 wurde die Mitte März begonnene Waffenruhe nach unvermindert heftigen Angriffen der türkischen Armee, der ‘Jandarma’ und der Spezialeinheiten sowie nach weiteren Massakern an Zivilisten Anfang Juni wieder aufgegeben; die Reaktionen europäischer Politiker und der Presse waren insgesamt spärlich und indifferent

Ein zweiter Versuch folgte im Dezember 1995, für den die im März 1996 in der Türkei bevorstehenden Parlamentswahlen den Anlaß gaben. Inzwischen war die Türkei Mitglied der europäischen Zollunion geworden, so daß anzunehmen war, daß der Einfluß Europas auf die Politik des türkischen Staates gewachsen sei. Diesmal wurden von kurdischer Seite große Anstrengungen unternommen, die europäischen Regierungen an ihre durch die Unterstützung der Türkei gegebene Mitverantwortung für diesen Konflikt nachdrücklich zu erinnern; es gab auch - ebenso wie 1993 - eine Entschließung des Europaparlaments, die hoffen ließ. Leider waren jedoch die Reaktionen der europäischen Politiker und Regierungen wiederum indifferent und blieben in halbherzigen Aussagen stecken, während der türkische Staat weiterhin Dörfer zerstörte, Menschen folterte, ermordete, ‘verschwinden’ ließ oder zur Flucht zwang. Das kurdische Volk, so sehr es den Waffenstillstand begrüßt hatte, verlangte selbst, daß der Befreiungskampf fortgesetzt werden sollte. Mitte August 1996, nach rund acht Monaten, sah die PKK keine andere Möglichkeit mehr, als den Kampf wieder aufzunehmen.

Mittlerweile hat die Zahl der entvölkerten, zerstörten, verbrannten und dem Erdboden gleichgemachten Dörfer in Kurdistan 4.000 erreicht. Im Zuge dieser alle Menschenrechte verhöhnenden Maßnahmen wurden nahezu vier Millionen Kundinnen und Kurden, vom neugeborenen Säugling bis zu den Uralten, ohne Frage nach deren Möglichkeiten, zu überleben, in die Metropolen Kurdistans und der Türkei sowie weiter nach Europa und bis in die fernsten Länder vertrieben. Der Krieg forderte bis jetzt rund 40.000 Tote und mehr als 100.000 Verletzte auf beiden Seiten. Durch ihre wirtschaftliche, politische und vor allem militärische Unterstützung des türkischen Staates sind eine Reihe europäischer Regierungen ohne Zweifel mitschuldig an

dem millionenfachen Leid dieses Krieges, und sie sollten sich ihrer Verantwortung für dessen Beendigung bewußt sein.
Türken und Kurden leiden gleichermaßen, sowohl menschlich als auch wirtschaftlich: Die jährliche Inflationsrate gehört zu den höchsten der Welt, und die marode Wirtschaft der Türkei wäre längst zusammengebrochen, wenn sie sich nicht zu einem großen Teil aus dunklen Kanälen, wie dem internationalen Rauschgifthandel, speisen würde. Diese Auswirkungen des Krieges berühren die Länder Europas in nicht geringem Maße ebenfalls.

Seit 1996, als die Befreiungskämpfer sich gezwungen sahen, den zweiten Waffenstillstand zu beenden, haben die PKK und ihre Führung weitere große politische und diplomatische Anstrengungen gemacht. In seiner Waffenstillstandserklärung betonte Abdullah Öcalan, daß seit längerer Zeit „...seitens des europäischen Parlaments und einiger Friedensinitiativen aus der Türkei“ erwartet werde, daß die PKK Schritte für eine politische Lösung einleite. Diese Formulierung läßt hoffen, daß die neue Waffenruhe einen Durchbruch schaffen könnte. Die Europäische Union als ganzes ebenso wie die einzelnen Regierungen sollten ihre sich aus den obengenannten Faktoren ergebende Verantwortung erkennen: Durch geschickte diplomatische Verhandlungen mit der Türkei könnten das Blutvergießen und die tausendfachen Leiden beendet und ein historischer Durchbruch für eine politische Lösung geschaffen werden. Modelle für ein solches Vorgehen hat es in den letzten Jahrzehnten genug gegeben. Das in diesem speziellen Fall zu erhoffende Ergebnis einer Demokratisierung der Türkei, zusammen mit Freiheit und Menschenrechten für die Kurden, ist jede Anstrengung wert.
 
 

II.1. Pressekonferenz der ERNK-Europavertretung
in Brüssel am 16. März 1993

“Verehrte Pressevertreter!

Ich begrüße Sie im Namen der ERNK-Europavertretung.

Der Aufruf unserer Partei in Bezug auf die Zukunft des sich verschärfenden Krieges und auf die Lösung der kurdischen Frage konnte spiegelte sich bereits teilweise der Öffentlichkeit wider.

Obwohl die PKK ihre offizielle Stellungnahme noch nicht erklärt hatte, wurden, allen voran seitens der türkischen Presse und von den Vertretern der Regierung der Türkischen Republik, diverse Bewertungen und Kommentare abgegeben.

Als eine der kriegführenden Parteien möchten wir in dieser Angelegenheit unsere offizielle Stellungnahme abgeben:

In der jetzigen Lage findet in Kurdistan ein sich verschärfender und jeden Tag immer mehr Menschenleben fordernder Krieg statt.

Falls in dieser Frage keine gerechte Lösung gefunden werden sollte, wird dieser Krieg unheilbar große Wunden aufreißen. Die eigentliche Verantwortung für die Fortsetzung dieses Krieges bis heute trägt die starre, lügnerische und Massaker ausübende Kolonialhegemonie der Türkischen Republik über Kurdistan. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), entstanden als die Verteidigerin der fundamentalen Menschenrechte des kurdischen Volkes, und unser Volk  selbst waren von Anfang an den Angriffen des Staates ausgesetzt. Mit dem Ziel, uns als Volk vor der Vernichtung zu bewahren, waren wir gezwungen, uns selbst zu schützen. Um unsere Existenz, wie alle anderen Nationen auch, zu retten, mußten wir zu den Waffen greifen. Aber wir haben die Waffen niemals angebetet und betrachteten sie als ein vorübergehendes Mittel.

Dieses legitime Recht auf Verteidigung wurde fälschlicherweise als “Terrorismus“ abgestempelt. Aber es ist die Türkische Republik, die Staatsterror als ihre Politik praktiziert. Trotz alledem lehnt unsere Partei, die über ein politisches Programm verfügt, die Anschuldigungen des Terrorismus ebenso wie den Terrorismus als Kampfform überhaupt ab. Die PKK, die heute in Kurdistan den gemeinsamen Willen von Millionen vertritt, ist eine wichtige politische Kraft.

In Anbetracht der jetzigen Bedingungen und weil unsere Verantwortung dies erfordert, erklären wir uns bereit, den andauernden Krieg zu beenden. Als ersten Schritt in diese Richtung rufen wir auf zum Waffenstillstand.

Die vorhandenen Fragen bedürfen unbedingt der Lösung, und wie es auch der Generalsekretär der PKK, Abdullah Öcalan, erklärte, erneuern wir unsere Bereitschaft, diese Fragen unter gleichen Bedingungen mit der Methode des Dialogs und der politischen Lösung zu beantworten.

In dieser Angelegenheit ist es erforderlich, daß die Türkische Republik ihre Haltung offen und bindend kundtut. Anläßlich unseres nationalen Festes Newroz, das kurz bevorsteht, ist es möglich, eine neue Phase zu beginnen. Aber einen Punkt möchten wir besonders hervorheben: Niemand und keine Kraft sollte erwarten, daß wir mit diesem Aufruf die Waffen einseitig niederlegen und uns somit der Gnade der Türkischen Republik ausliefern.

Wir bieten unseren Aufruf zum Waffenstillstand allen nationalen Parlamenten und internationalen Institutionen zur Unterstützung durch Unterschriftenlisten an und rufen diese auf, unsere demokratische Annäherung zu unterstützen.

Des weiteren bringen wir als PKK den Vorschlag ein, allen voran mit der BRD, England und Frankreich und allen europäischen Ländern, eine auf Gegenseitigkeit beruhende Zusammenarbeit und politische Verhandlungen zu verwirklichen, um die kurdische Frage einer gerechten und friedlichen Lösung zuzuführen.

Im Falle eines Waffenstillstandes schlagen wir vor, aus europäischen Ländern, aus dem europäischen Parlament und von der UNO offizielle Delegationen zusammenzustellen, um den Waffenstillstand zu beobachten und zu kontrollieren.

Verehrte Pressevertreter,

Während wir z.Zt. diese Erklärung abgeben, bereitet sich die Türkische Republik darauf vor, die Newroz-Feierlichkeiten am 21. März in Blut zu ersticken. Zusammen mit den aus den Türkischen Metropolen nach Kurdistan gesandten neuen militärischen Einheiten setzen sich die Luftangriffe und Bodenoperationen in Kurdistan ununterbrochen fort. Um eine Beteiligung an den Newroz-Feierlichkeiten zu unterbinden, vermehrt die Konter-Guerilla ihre Mordanschläge und tausende Menschen werden festgenommen. Schon jetzt befinden sich die Städte unter Blockade und unter militärischem Aufgebot. Unser Volk ist fest entschlossen, auf den Aufruf der PKK hin das Newrozfest in den Straßen friedlich zu feiern. Letztes Jahr wurde, trotz der Demokratisierungsversprechungen der Demirel/Inönü-Regierung, während des Newrozfestes auf friedlich demonstrierende Menschen mit schweren Waffen geschossen. 103 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, wurden ermordet. Auf der anderen Seite wurde kein einziger Vertreter der Türkischen Republik getötet; dies zeigt eindeutig die alleinige Verantwortung der Türkischen Republik an den Massakern!

Wir möchten erklären, daß wir aus der Position der Stärke zum Waffenstillstand aufrufen. Sollte dieser Aufruf von Ankara zurückgewiesen werden, so erklären wir, daß wir den Krieg in Kurdistan noch verschärft ausweiten werden. Die Erklärung des türkischen Nationalen Sicherheitsrats: “Wir werden sie im Frühling vernichten“, die zu einer Zeit abgegeben wurde, als der Aufruf zum Waffenstillstand sich bereits in den Medien widerspiegelte, ist verantwortungslos und völlig unrealistisch.

Die Vorbereitungen für das Jahr 1993 sind mit denen der Vergangenheit nicht zu vergleichen. Insofern wird der Krieg auf eine unvorstellbare Höhe getrieben werden. Wir werden, um unsere Existenz und Zukunft zu schützen, bis zum Tode kämpfen.

Wir erklären der Weltöffentlichkeit: Im Falle der Ablehnung des Waffenstillstandes und einer friedlichen und politischen Lösung ist für das folgende Blutvergießen und für mögliche Zerstörungen die Türkische Republik verantwortlich.

Abschließend drücken wir unsere Hoffnung aus, daß die Türkische Republik auf unseren guten Willen mit der Beendigung ihrer bis jetzt geführten blinden Gewaltpolitik antwortet und eine den Bedingungen der heutigen Welt entsprechende Haltung einnimmt.

ERNK-Europavertretung
16. März 1993

II.2.  Erklärung des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans
 auf der Pressekonferenz am 17. März 1993 im  Libanon
 

Verehrte Pressevertreter,

zuerst möchte ich Sie willkommen heißen. Wir hielten es angesichts dieser bedeutenden Phase, unserer Verantwortung in dieser Phase und auch auf den wertvollen Rat Mam Celals (d. Übers.: Celal Talabani) hin für richtig, Sie zu dieser Pressekonferenz einzuladen.

Das Problem des kurdischen und des türkischen Volkes ist tatsächlich eines der verworrensten unserer Zeit. Wir betrachten es als unsere Pflicht, Klarheit in dieses Problem zu bringen. Das türkische und das kurdische Volk sind zwei Nationen, die für das Schicksal der Völker des Mittleren Ostens eine entscheidende Rolle spielen. In Folge zahlreicher historischer und politischer Ursachen herrscht ein Zustand der Konfrontation und des Chaos. Auf dem Weg zur nationalen Existenz und der Freiheit versucht die PKK seit langem den Kampf des kurdischen Volkes anzuführen. Wir wünschten es, die Probleme ohne Gewalt zu lösen. Doch die in der Türkei herrschende Verleugnungspolitik gegenüber der kurdischen Existenz findet ihren Ursprung in tiefgreifenden historischen Ursachen und steht seit jeher über den jeweiligen Regierungen. Diese Politik der Leugnung hat sich vor allem seit der Gründung der Republik verschärft und reicht bis in die heutige Zeit. Die Politik der Kemalisten hat nicht nur in der nationalen Frage, sondern auch in der Frage der Demokratie, dazu geführt, daß heute alles blockiert ist. Es erreichte solche Ausmaße, daß dadurch das türkische Volk mindestens genausoviel Schaden erlitten hat wie das kurdische Volk. Diese Situation verlangt einfach nach einer tiefgreifenden Lösung.

Unser bewaffneter Kampf seit dem 15. August 1984, dem Beginn einer Phase des Durchbruchs, oder anders gesagt, eines neuen kurdischen Aufstandes bzw. Widerstandes, hat in diesen neun Jahren, also bis zum Frühjahr 1993, eine bedeutende neue Ebene erreicht. In Frühjahr nähren wir uns einer Phase, in der deutlich spürbar wird, daß erneut die Gefahr eines verschärften Kampfes besteht. Außerdem wird Newroz in wenigen Tagen gefeiert. Der Newroztag wird vom türkischen wie vom kurdischen Volk mit Spannung erwartet. Es wird der sehnliche Wunsch geäußert, daß das Newrozfest friedlich verlaufen soll. Alles konzentriert sich auf uns. Man kann sagen, daß die Presse uns in den letzten Tagen in den Mittelpunkt gestellt und die ganze Aufmerksamkeit auf uns gelenkt hat.

Wir sind oft nach Gesprächsterminen angefragt worden. Natürlich werden wir uns Ihre Fragen anhören. Es gibt ein paar traditionelle Einstellungen, die ich hier nicht wiederholen will. Wenn Sie Fragen stellen, kann das mehr zur Aufklärung beitragen. Wir halten es wirklich für eine große Opferbereitschaft von Ihnen, daß Sie bis hierher gekommen sind und es war auch ziemlich schwer, Mam Celal hierher zu bringen. Doch es ist uns gelungen und jetzt sind wir alle hier. Das ist eine wichtige Gelegenheit und wir erwarten Ihre Fragen.
 
 
 
 
 
 
 

II.3. Erklärung des PKK-Zentralkomitees

DAS KURDISCHE VOLK WILL KEINEN KRIEG, ES WILL FRIEDEN!

In Kurdistan findet ein blutiger Krieg zwischen der Türkischen Republik und ihrer Armee auf der einen und dem kurdischen Volk und seiner Befreiungsarmee, der Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK), auf der anderen Seite statt.

Als eine der Kriegsparteien gesteht die Türkische Republik dem innerhalb ihrer Staatsgrenzen lebenden 25 Millionen zählenden kurdischen Volk keinerlei politische, soziale und kulturelle Rechte zu. Noch nicht einmal die Existenz des kurdischen Volkes wurde von der Türkischen Republik anerkannt. Die einzige Antwort der Türkischen Republik auf die Forderung des kurdischen Volkes nach seinen politischen, sozialen und kulturellen Rechten bestand nur in der militärischen Gewalt und in massiven Repressionsmethoden.

Die andere Partei in diesem Krieg ist das kurdische Volk, dessen Kampf für seine Rechte mit brutalster Gewalt Gefängnis, Folter und Tod entgegengesetzt wird. Dadurch wurde dieses Volk dazu gezwungen, zur Waffe zu greifen, um seine Rechte zu erkämpfen.

Das kurdische Volk hat durch den Aufstand von Kocgiri 1921, den Scheich Sait Aufstand 1925, dem Aufstand von Agri 1930, dem Aufstand von Dersim 1938 und weiteren kleineren Aufständen der ganzen Welt gezeigt, daß es diesen Status Quo nicht akzeptiert. Die Türkische Republik hat diese Aufstände durch den Einsatz militärischer Gewalt blutig niedergeschlagen, was zehntausende Tote, hunderttausende Verletzte und die Deportation hunderttausender Menschen zur Folge hatte.

Diese Aufstände waren bewaffnete Aufstände, weil dem kurdischen Volk keinerlei gesetzliche und demokratische Rechte und legale Institutionen zugestanden wurden, die es hätte nutzen können. Es hatte keine andere Möglichkeit, als zur Waffe zu greifen und so seinen Willen zum Ausdruck zu bringen.

Außer diesen Aufständen, die jeweils zwei bis drei Jahre dauerten, hat die Türkische Republik während des ganzen 20. Jahrhunderts die Kurden mit brutaler Waffengewalt zum Schweigen gebracht. Die einzige Politik der Türkischen Republik gegenüber dem kurdischen Volk bestand immer nur darin, es mit Waffengewalt und unterschiedlichen Repressionsmethoden von der Landkarte und aus der Geschichte zu streichen. Die Türkische Republik hat das ganze Jahrhundert hindurch einen systematischen Krieg gegen das kurdische Volk geführt.

Als sich das kurdische Volk ab den 70er Jahren zu organisieren begann und anfing, eine politische Kraft zu werden, mit dem Ziel, den bestehenden politischen und juristischen Status Quo zu ändern, verstärkte die Türkische Republik diesen einseitigen Krieg und intensivierte ihre Repressionspolitik.

Angesichts dieser Unterdrückungsmaßnahmen mußte das kurdische Volk erneut zu den Waffen greifen, um seine Existenz zu verteidigen. Der Beginn des bewaffneten Befreiungskampfes unter der Führung der PKK im Jahre 1984 drückte die Forderung eines Volkes, dem sämtliche Rechte und Existenzgrundlagen verweigert wurden, nach Selbstbestimmung aus. Der bewaffnete Kampf ist ein Mittel, zu dem das kurdische Volk gezwungen wurde, um seine Freiheit zu erringen.
 
 

Zur Zeit dauert der Spezialkrieg in Kurdistan immer noch mit aller Härte an. Durch ihn erleiden nicht nur die bewaffneten Kräfte beider Seiten Schaden, sondern auch die schutzlose Zivilbevölkerung. Indem die Türkische Republik immer noch auf ihrer traditionellen Unterdrückungs- und Gewaltpolitik beharrt, verhindert sie eine Lösung der Kurdistan-Frage und verschärft das Problem. Ihre Haltung führt in eine Sackgasse.

In diesem seit neun Jahren ununterbrochen andauernde Krieg sind 8.500 Soldaten und Polizisten der Türkischen Republik, 2.700 Guerillakämpferinnen und -kämpfer, 2.200 “Dorfschützer“ und Kollaborateure sowie 8.000 ERNK-Sympathisanten aus der Zivilbevölkerung getötet worden. Durch Angriffe der türkischen Armee wurden hunderte Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und tausende Häuser niedergebrannt. Mehrere Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben und zur Migration in die Metropolen der Türkischen Republik oder nach Europa gezwungen. Zehntausende Menschen wurden gefoltert, hunderttausende verhaftet, fast zehntausend Menschen sitzen immer noch in türkischen Gefängnissen.

1992 wurden allein während des Newroz-Festes, dem kurdischen Nationalfeiertag, durch Schüsse in die friedlich demonstrierenden Massen in Sirnak, Nusaybin, Van, Adana, Hakkari und anderen Orten über 400 Menschen aus der kurdischen Zivilbevölkerung ermordet, mindestens genauso viele verletzt und unzählige Häuser durch Bombardierung von Städten und Dörfern zerstört und verbrannt.

Der Staat setzte seinen Terror mit Waffengewalt auch nach Newroz 1992 das ganze Jahr hindurch unvermindert fort. Fast tausend Menschen aus der Zivilbevölkerung wurden von den Staatskräften ermordet. Auch die islamisch-fundamentalistische Hizbi-Kontra, die mit den Geheimorganen des Staates verquickt ist und vom Staat organisiert, geschützt und angestachelt wird, ermordete fast 500 Menschen aus der Zivilbevölkerung.

Schließlich wurden bei dem Krieg in Südkurdistan Ende letzten Jahres 160 ARGK-Kämpfer und Kämpferinnen, 350 Soldaten und Offiziere der türkischen Armee, 600 Peschmergas der KDP und der PUK getötet.

Die Türkische Republik hat ihre gesamten Militärkräfte nach Kurdistan verlagert. Sie bombardiert weiterhin zivile Ziele und verbreitet Terror. Die staatlichen Morde, die vom Staat als “Morde unbekannter Täter“ bezeichnet werden und mittlerweile an die tausend Opfer gefordert haben, gehen ununterbrochen weiter. Dem kurdischen Volk wird durch diesen von der Türkischen Republik geführten ungerechten und schmutzigen Krieg großes Leid angetan. Das kurdische Volk will, daß dieser Krieg sofort aufhört. Es will nicht den Krieg, es will Freiheit und Frieden.

Die PKK, als eine der Kriegsparteien, ist nicht für die Fortsetzung des Krieges. Sie ist dafür, daß dieser Krieg, der auf beiden Seiten Menschenleben fordert und vor allem für das kurdische Volk Leid und Schmerzen bringt, beendet wird. Der Generalsekretär der PKK, Abdullah Öcalan, hat diesen Wunsch schon mehrmals zuvor in verschiedenen Stellungnahmen und Interviews geäußert. Erneut ruft er zum Waffenstillstand auf. Obwohl die Türkische Republik immer eine negative Antwort gegeben hat, wurde der Aufruf zur Beendigung des Krieges und für einen Waffenstillstand von der PKK immer wieder erneuert.

Nachfolgende Zitate belegen diese Absicht ganz deutlich:
 
 

Auf die Frage des Journalisten Rafet Balli, der 1991 ein Interview mit dem PKK-Generalsekretär führte: “Sind Sie zu politischen Verhandlungen bereit?“ antwortete Abdullah Öcalan: “Wir sind jeder Zeit zu Verhandlungen bereit“.
Auf die Frage des Journalisten Sener Gürel, der am 27. September 1991 für die Zeitung Milliyet ein Interview mit Abdullah Öcalan führte: “Würden Sie sich an einem Waffenstillstand halten?“ antwortete der PKK-Generalsekretär: “Wir würden einen Waffenstillstand natürlich einhalten“.
In einem Gespräch der kurdischen Nachrichtenagentur (KURD-HA) antwortete der Generalsekretär der PKK, Abdullah Öcalan, am 6. März auf die Frage, welche Entwicklungen es zu Newroz 1993 geben werde: “Nicht wir sind es, die unbedingt Blut vergießen wollen und darauf aus sind, sondern der türkische Staat.“

Die Türkische Republik hat auf unsere Appelle und unseren Willen zur Beendigung dieses Krieges geantwortet, daß sie in der Lage sei, mit Waffengewalt den Befreiungskampf des kurdischen Volkes zu zerschlagen. Sie wolle sich nicht von den “separatistischen Banditen“ abhängig machen, so die offizielle Regierungserklärung. Heute bezeichnet die Türkische Republik die kurdischen Freiheitskämpfer mit weltweit negativ besetzten Begriffen wie “Terroristen“ so wie sie die aufständischen Kurden auch schon in der Vergangenheit mit “Banditen“ bezeichnete. Damit versucht sie, eine politische Lösung von vornherein auszuschließen und ihre Verantwortung und Schuld zu vertuschen.

Die Türkische Republik beharrt darauf, den Krieg fortzusetzen und ihre alte Politik bezüglich der Kurdistan-Frage weiterzuführen. Sie hat immer wieder erklärt, daß sie zum Frieden und zu einem Waffenstillstand nicht bereit ist. Sie will das kurdische Volk mit ihrer blinden Gewaltpolitik zum Schweigen bringen. Das ist an ihrer negativen Antwort auf jedes Waffenstillstandsangebot deutlich zu erkennen.

Die nachfolgend zitierten Aussagen belegen diese Haltung und Absicht ganz deutlich:
Die Tageszeitung Özgür Gündem vom 25. November 1992 schrieb, daß Demirel in einem Gespräch mit dem Abgeordneten der Partei der Arbeit des Volkes (HEP), Hatip Dicle, gesagt hat: “Wir werden auch den 29. Aufstand der Kurden niederschlagen“. Staatspräsident Özal gab im Januar 1992 ein in der ganzen türkischen Presse erschienenes Statement ab: “Wir werden im Frühjahr alles dem Erdboden gleichmachen“. Demirel erklärte im Oktober letzten Jahres in allen Fernsehkanälen: “Wir sind auf die Banditen nicht angewiesen, wir werden sie mitsamt ihren Wurzeln beseitigen“.

Aufrufe zum Waffenstillstand kamen nicht nur von der PKK, sondern auch vom Europaparlament und von den nationalen Parlamenten in Europa. Alle Personen und Organisationen, die sich für Demokratie, Frieden und Freiheit einsetzen, haben zum Waffenstillstand aufgerufen. Die PKK hat diese Aufrufe positiv beantwortet und erklärt, daß sie zu einem Waffenstillstand ohne Vorbedingungen bereit ist.

So hat sich zum Beispiel die PKK zu dem Aufruf des Europäischen Parlaments vom 11.November 1992 zum Waffenstillstand bereit erklärt. Diese Bereitschaft der PKK wurde am 16. Februar von der ERNK-Vertretung an das Europaparlament weitergeleitet. Auch das Angebot von 47 Abgeordneten des Schweizer Parlaments, bei möglichen Verhandlungen zu vermitteln, wurde von der PKK positiv beantwortet. Die Bereitschaft zu einem Waffenstillstand wurde auch an alle Institutionen und Persönlichkeiten weitergeleitet.
 
 

Die PKK ist nicht dafür, den Krieg fortzusetzen, der 1993 wieder tausenden Menschen das Leben kosten und dem Volk unendliches Leid bringen wird. Sie hat den großen Wunsch, daß ein Waffenstillstand zustande kommt, der die Voraussetzung zur Beendigung des Krieges schafft. Ein Waffenstillstand vor Newroz, dem Feiertag des kurdischen Volkes, an dem das kurdische Volk seit Jahren immer wieder Opfer von Angriffen der türkischen Sicherheitskräfte war, würde vielleicht Tausenden Menschen das Leben retten. Das ist nicht nur de große Wunsch der PKK, sondern auch des ganzen kurdischen Volkes. Auch große Teile des türkischen Volkes und der Demokraten sowie diejenigen, die sich für Frieden und Freiheit auf der ganzen Welt einsetzen, wünschen dies.

Es müssen die nötigen Schritte unternommen werden, um mögliche Massaker und das Leid zu Newroz 1993 und weiterhin danach zu verhindern. Dieser Krieg und dieses Leid müssen aufhören. Ein Waffenstillstand muß erreicht werden. Wir rufen alle internationalen und nationalen Parlamente sowie Organisationen, die sich für Frieden und Freiheit einsetzen, dazu auf, das Waffenstillstandsangebot der PKK zu unterstützen und den Aufruf zum Waffenstillstand zu unterzeichnen.

Mit unserer Hochachtung für alle Institutionen, Organisationen und Personen, die für Frieden, Gleichheit und Freiheit eintreten.

PKK-Zentralkomitee

18. März 1993
 

III. Entschliessungsantrag des Europäischen Parlaments
am 19. April 1993

eingebracht durch die Abgeordneten Bertens, Maher und Gawronski im Namen der Liberalen und Demokratischen Fraktion
(B3-0559/93)

“Entschließung zum Problem der Kurden in der Türkei“

Das Europäische Parlament,

A. voller Genugtuung über die Anzeichen dafür, daß sowohl die Kurden in der Türkei als auch die türkische Regierung bemüht sind, ihre Konfrontation in einer Weise beizulegen, die den Gegebenheiten Rechnung trägt, damit das entsetzliche Blutvergießen in Südostanatolien aufhört,

B. unter Hinweis darauf, daß die Feuerpause, die Bereitschaft einiger Kurdenführer, sich um Autonomie statt um eine völlige Unabhängägkeit zu bemühen, und die Zusage der türkschen Politiker Demirel und Inönü, eine Aufhebung des Ausnahmezustandes zu prüfen, wichtige Schritte sind, die die Voraussetzungen für eine Beilegung des Problems schaffen können,

C. in Würdigung der neu gewonnenen Freiheit der türkischen Medien, die ihnen eine Diskussion über die Kurdenproblematik gestattet,

D. zutiefst besorgt über die anhaltende Welle der Gewalt, der in den letzten Wochen unter anderem weitere fünf Journalisten in der Türkei zum Opfer gefallen sind,

E. unter Hinweis auf seine Entschließung vom 12. Juni 1992 zu den Rechten des kurdsichen Volkes (Abl. Nr. C 176 vom 13.07.1992, S. 222),

1. weist beide Konfliktparteien auf die Notwendigkeit hin, Verhandlungen über die politischen und kulturellen Rechte für die Kurden in der Türkei und die uneingeschränkte Einhaltung der Menschenrechte zwischen der türkischen Regierung und den gewählten Vertretern der Kurden in der Türkei aufzunehmen;

2. verurteilt die Ermordung der Journalisten und weitere gravierende Menschenrechtsverletzungen, die sowohl auf das Konto der Sicherheitskräfte als auch der PKK gehen;

3. macht auf den schwerwiegenden Verdacht aufmerksam, daß der renommierte türkische Journalist Ugur Mumcu durch Agenten der iranischen Regierung umgebracht wurde, die weiterhin im internationalen Rahmen wie in Iran einen staatlich sanktionierten Terrorismus praktiziert;

4, beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission, dem Rat, der EPZ sowie der Regierung und der Großen Nationalversammlung der Türkei zu übermitteln.
 
 
 
 

IV. Erklärung des Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan,
zum einseitigen Waffenstillstand im Jahre 1995

Der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, Abdullah Öcalan, rief in einer Sendung des kurdischen Fernsehsenders MED-TV am 14.12.1995 einen einseitigen Waffenstillstand mit der Türkei aus. Im folgenden dokumentieren wir die Erklärung von Abdullah Öcalan zu einem wichtigen Schritt hinsichtlich einer politischen Lösung:

„Wenn die Parlamentswahlen in der Türkei eine Relevanz aufweisen sollen, wenn eine Lösung für die den bestehenden Problemen zugrunde liegende Kurdenfrage zu finden ist, wenn wir von der Rolle der Politik sprechen wellen und diese statt des Krieges als zeitgenössische Lösung für die Konflikte anbieten, wenn tatsächlich zum einen für die militärische und ökonomische Ausweglosigkeit und zum anderen für die sichtbar kenntliche Funktionslosigkeit der Politik der Terrorismus und die PKK als Verantwortliche deklariert werden, dann wollen wir hiermit bekunden, was es für uns heißt, Verantwortung zu übernehmen, um Schritte für eine Lösung einzuleiten.
Insbesondere schätzen wir den Beschluß des Europaparlamentes, in dem ausdrücklich die Türkei, die PKK und andere in Frage kommende Kreise aufgefordert werden, auf dem Wege der Aufnahme von Gesprächen die Kurdenfrage zu lösen.
Damit dieser Beschluß seinen Zweck erfüllt, wollen wir unseren Beitrag hierzu leisten, indem wir die seit längerem andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den kurdischen Parteien beenden und die für dringend befundene Phase des Waffenstillstandes beginnen.
Der von der Türkei geführte sinnlose Krieg schadet unseren Völkern. Dieser hat beiden Völkern ideelle und materielle Verluste zugefügt, sowie den Weg für jegliche Entwicklungen verschlossen. Da dieser Krieg keine grundlegende Lösung für die Konflikte sein kann, möchten wir unseren guten Willen durch die von uns getroffene Entscheidung für einen Waffenstillstand bekräftigen.

Dauer und Bedingungen

Wir werden die Phase des Waffenstillstandes bis zur Bildung einer neuen Regierung ausweiten und anschließend ihre diesbezügliche Haltung und die von ihr einzuleitenden Schritte beobachten und auswerten. Konkretes wird sich im Januar oder Februar ergeben. Auch die militärischen Operationen werden wir täglich beobachten. Wenn auch in der neuen Regierungsphase die militärischen Operationen fortgesetzt werden und wir erkennen, daß die neue Regierung uns den Krieg aufzwingt, dann werden wir darauf entsprechend die erforderliche Antwort geben.

Jedoch möchten wir mit Nachdruck erklären, daß unser Schritt weder mit den winterlichen Bedingungen, noch mit einer militärischen Schwäche unsererseits in Zusammenhang zu bringen ist. In Südkurdistan haben wir eine wesentliche militärische Entwicklung erreicht. In vielen Regionen Kurdistans konnten wir in strategischen Bereichen sichere Guerillastützpunkte errichten. Wir sind in Südkurdistan die stärkste und in Nordkurdistan die einzige Guerillabewegung. Keiner sollte irgendwelche Zweifel daran hegen. Auch politisch befinden wir uns nicht in einem Zerfallszustand. Wie im Beschluß des Europaparlamentes zum Ausdruck kommt, befinden wir uns, durch unsere Beziehungen zu vielen Ländern, auch im Nahen Osten in einer erstarkten Phase. Unsere Isolation, die beabsichtigt war, haben wir durchbrochen.

Aufgrund des von ihr geführten Krieges ist die Türkei massivem Druck ausgesetzt. Nicht nur in ihrer Innenpolitik, sondern auch in der Außenpolitik befindet sie sich in einem

Auflösungsprozeß. Bei einer realistischen Betrachtung der Türkei wird deutlich, daß ihre Innen- und Außenpolitik aufgrund der Kurdenfrage und der Menschenrechtslage nicht mehr funktioniert. Angesichts dieser Entwicklungen war es zwingend notwendig - auch zum Vorteil des türkischen Staates und Volkes - die Verkündung dieses politischen Schrittes nicht mehr weiter aufzuschieben, um weiteres Blutvergießen zu verhindern.
Wenn es gewollt ist, können wir das Jahr 1995 mit einer Beendigung des Krieges abschließen. In diesem Rahmen erklären wir, falls die türkische Armee ihre Angriffe mit dem Ziel unserer Vernichtung nicht fortsetzt, werden wir weder in der Türkei noch in Kurdistan Angriffe durchführen. Dieser Entschluß tritt ab dem 15.12.1995 mit einem einseitigen Waffenstillstand in Kraft.

Es ist daher notwendig, daß die türkischen Spezialkriegseinheiten und andere am Krieg beteiligten Kräfte, einschließlich der Dorfschützer, uns nicht mit der Absicht einer endgültigen Vernichtung angreifen dürfen. Halten diese sich an diese Bedingung, werden wir selbst von Angriffen Abstand nehmen. Anderenfalls werden wir uns verteidigen und von unserem Recht der Ergreifung von Gegenmaßnahmen im verstärkten Maße Gebrauch machen.
Lassen sich von der türkischen Seite glaubhafte Bemühungen für Begrenzungen von militärischen Operationen verzeichnen, werden wir offensichtlich die Kontrolle über unsere Einheiten noch stärker ausüben, um diese Phase zu vertiefen.

Ich betone noch einmal mit Nachdruck, dieser Schritt ist kein Zeichen unserer Schwäche. Im Gegenteil: Er verdeutlicht einerseits unser Selbstvertrauen und andererseits den für uns primären Wunsch, einen Beitrag zur Beschleunigung des Prozesses für eine politische Lösung zu leisten. Insbesondere von den Parteien dieser Wahlphase und von der Öffentlichkeit erwarten wir, daß sie diese Sachlage genauso bewerten. Doch wenn diese die Realität verzerren, indem sie davon ausgehen, „die PKK ist geschwächt und am Ende, deshalb legt sie die Waffen nieder“ wird ihre bereits verheerende Lage sich nur noch verschlimmern. Einen Krieg den einige Generäle und Personen zur Absicherung ihrer Macht sowie einige Kriegstreiber aus Gründen des Profites fortentwickeln, abzulehnen, sollte die Aufgabe eines jeden türkischen Staatsbürgers und Demokraten sein.

Die Rolle europäischer Staaten

Die Türkei ist nun Mitglied der europäischen Zollunion geworden. In Anbetracht dieser Gegebenheiten sollte das Europaparlament die Verantwortung für die von ihm übernommenen Aufgaben wahrnehmen. Infolge der türkischen Mitgliedschaft stellt sich die Frage, ob das Europaparlament den Krieg befürwortet oder nicht. Wenn das Europaparlament tatsächlich diesen Krieg ablehnt und glaubhaft ist bezüglich einer politischen Lösung, und wenn es zu seinen aus diesem Anlaß von ihm verabschiedeten Beschlüssen steht, dann müßte es tätig werden. Es dürfte nicht den Befürworten des Spezialkrieges und einigen Bürokraten die Gelegenheit geben, die Türkei in einen Kriegsschauplatz zu verwandeln. Seine politische und wirtschaftliche Gewichtung sollte es zu diesem Zweck nachdrücklich einsetzen. Die von ihm für die Türkei geleistete Unterstützung müßte von einer Demokratisierung abhängig gemacht werden. Falls das Europaparlament seine Hilfe an keine Bedingungen knüpft, wird jeder finanzielle Beitrag an die Türkei für den Krieg ausgegeben. Das Europaparlament dürfte sich für die Vorgehensweisen der Türkei nicht instrumentalisieren lassen. Aus diesem Grunde sollte es für die weitere wirtschaftliche Unterstützung den Waffenstillstand zur Bedingung machen.

Die europäischen Staaten und insbesondere ihre Regierungen haben in diesem in Kurdistan stattfindenden Krieg Partei ergriffen. Wir sind in Kenntnis davon, daß vor allem Deutschland,

England und Frankreich unter Ausschluß der eigenen Öffentlichkeit, die Türkei mit militärischen und wirtschaftlichen Mitteln unterstützen. Die Europaparlaments-Mitglieder strebten ursprünglich an, die Mitgliedschaft der Türkei von einer politischen Lösung der Kurdenfrage und einem Demokratisierungsprozeß abhängig zu machen. Jedoch konnten diese dem Druck der eigenen Regierungen nicht standhalten und nahmen Abstand von ihrer Zielsetzung. Wenn das Europaparlament seine eigenen Grundprinzipien nicht verletzen möchte, so möchte ich seinen Mitgliedern folgendes übermitteln: Die Türkei ist Mitglied der Zollunion geworden. Sie hält sich nicht an die Grundsätze der Menschenrechte und der Demokratie. Sie erkennt nicht einmal die Identität eines Volkes an, statt dessen setzt sie dieses Volk einem Völkermord aus. Nehmen Sie Partei für diese Regierung? Warum ist Ihre Unterstützung grenzenlos? Diese Fragen bedürfen einer Erklärung. Sie üben unter diesen Bedingungen durch die türkische Mitgliedschaft eine Kontrolle aus. Diese Tatsache bedeutet gleichzeitig, daß der Krieg in Kurdistan ebenfalls unter Ihrer Kontrolle steht.

Künftig ist dieser Konflikt zu einer Angelegenheit zwischen uns und den europäischen Staaten geworden. Von diesen sollten wir nicht als schwach und hilflos bewertet werden. Des weiteren ermahnen wir diese Staaten, diesen Krieg, in dem sie parteiisch sind, nicht wie bisher uns einseitig aufzuzwingen. Wir zielen nicht auf eine Feindschaft mit Europa ab. Allerdings sollte es dabei nicht versuchen, seinen eigenen Prinzipien und seinem Demokratieverständnis zuwiderzuhandeln. Auch wenn für die europäischen Staaten die Türkei als Wirtschaftsmarkt von Bedeutung ist, sollten sie dennoch dabei nicht ein Volk, das seiner Vernichtung ausgesetzt und aller Rechte beraubt ist, vergessen. Das Interesse an den Menschenrechten sollte nicht den ökonomischen nachstehen.
Sollte diesen Tatsachen weiterhin keine Bedeutung beigemessen werden, wird nicht nur der Fundamentalismus, sondern alle Völker des Mittleren Ostens, vor allem das kurdische, die europäischen Interessen besser erkennen und künftig durch die von ihnen unternommenen Schritte Europa in Bedrängnis bringen. Das sollte nicht als eine Drohung aufgefaßt werden. Ein militaristisches Regime wie das türkische, das über Jahre hinweg die Völker der Gewalt ausgesetzt hat, darf nicht bedingungslos unterstützt werden. Sollten sie weiterhin diesem Regime im selben Ausmaß ihre Unterstützung gewähren, wird uns die Legitimation für notwendige Handlungen geschaffen und wir erhalten das Recht, unabhängige Entscheidungen zu treffen.
Im Falle einer Nichtbeantwortung des Waffenstillstandes sollte Europa wissen, daß die Türkei, die bislang als wirtschaftlicher Markt und zugleich als Paradies des Tourismus galt, in ein Inferno verwandelt werden könnte. Wir erklären erneut, so wie wir ernsthafte Pläne für den Frieden entwickeln, sind wir auch imstande, diese für einen Kampf auszuarbeiten.

Wir wissen, daß die Türkei sich in einer großen Krise befindet. Abgesehen von dem Aspekt, Verhandlungen mit den „Terroristen“ aufzunehmen, ist die Frage entscheidend, ob die Türkei gewillt ist, für ihr auch international als grundlegend bewertetes Problem der Kurdenfrage eine politische Lösung herbeizuführen. Wenn ich ein „Terrorist“ bin oder die PKK „terroristisch“ ist, so gibt es andere kurdische Kreise, die nicht „terroristisch“ sind. Außerdem gibt es kurdische Persönlichkeiten, die mit dem „Terror“ nie in Verbindung standen. Weigert sich die Türkei mit uns zu verhandeln, so hat sie die Möglichkeit mit diesen in Verhandlungen zu treten. Wenn die Türkei nicht bereit ist, mit uns eine politische Lösung zu entwickeln, welchen Standpunkt hat sie dann gegenüber der Einleitung von Gesprächen mit den genannten Kreisen? Oder sind auch diese „Terroristen“?

Die Situation der Türkei und die bevorstehenden Wahlen
 
 

Da die vorgezogenen Wahlen in den harten Zeiten des Winters stattfinden, unterliegen diese in Kurdistan sehr schwierigen Bedingungen. Ein weiterer Punkt ist, daß nahezu drei Millionen Kurden aus ihren Wahlkreisen vertrieben worden sind. Von einem freien Willen des kurdischen Volkes kann daher nicht die Rede sein. Zudem ist der Zeitpunkt der Wahlen sehr bezeichnend. Wir waren dreimal Zeugen solcher Wahlen in den Jahren 1987, 1991 und zuletzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt 1995 gewesen, welche dem Volk aufgesetzt wurden. Diese fanden immer dann statt, wenn die Bevölkerung ihren Willen für die Demokratie und gegen die Unterdrückung durch das Regime bekundet sowie seine Forderung nach einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage bekräftigt hat. Diese Zeitauswahl ist beabsichtigt, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Die Wahlbeteiligung unter dem Aspekt der kurdischen Identität ist im voraus verboten worden. Durch einige Abkommen und die Blockbildung haben wir 1991 versucht, in einer indirekten Weise den Willen des kurdischen Volkes zum Ausdruck zu bringen. Wie bekannt, wurde die Präsenz der kurdischen Abgeordneten im türkischen Parlament nicht geduldet. Folglich stehen auch diese Wahlen in keinerlei Zusammenhang mit der Demokratie. Trotz dieser Tatsachen wollen wir durch den Waffenstillstand das türkische und das kurdische Volk bei seiner Wahl für den Block für Arbeit, Frieden und Freiheit unterstützen, um das beabsichtigte Spiel zu entlarven und um das Feld nicht der Führung des Spezialkrieges zu überlassen. Unter günstigen Bedingungen hätte dieser Block eine noch stärkere Entwicklung gezeigt. Trotz staatlicher Repression steht dieser Block nach Umfragen in Kurdistan an erster Stelle. Es ist auch zu beobachten, daß die Arbeiter und Angestellten sowie die Aleviten in der Türkei dieser Front ihre Aufmerksamkeit schenken.
Auch wenn die Vorbereitungen diesbezüglich begrenzt sind, so glauben wie dennoch, daß diese Wahlen - bei denen es zwei Fronten gibt - für die Demokratie und Volkskräfte einen Weg ebnen werden. Die eine Front ist die des Spezialkrieges, die andere die des Friedens und der Freiheit. Wir rufen alle Befürworter der Demokratie, des Friedens und der Freiheit auf, diese Front zu unterstützen. Ferner rufen wir alle Gegner diese Krieges, sowie alle in- und ausländischen Kreise, die durch diesen Krieg Schaden erlitten haben und das türkische Volk auf, die Ziele dieser Kriegsfront ins Leere laufen zu lassen. Wir rufen auch all jene auf, die bislang für diesen Krieg instrumentalisiert worden sind, aufzuwachen und am 24. Dezember ihre Wahl zugunsten des Friedens, der Freiheit und der Arbeit zu treffen.

Ich gehe nicht davon aus, daß diese militärische Regierung unseren Aufruf zum Waffenstillstand mit einer positiven Einstellung beantworten wird. Wie ich auch des öfteren erwähnt habe, ist es nicht unser Ziel, diese Regierung zu solch einem Waffenstillstand zu bewegen. Zeigt sie eine Akzeptanz diesem gegenüber, so ist es eine positive Entwicklung. Eine gegenteilige Haltung wird die derzeitige tiefe Krise in der Türkei aufgrund der Wahlen noch weiter verschärfen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt glaubt ein großer Teil der Bevölkerung keiner der an den Wahlen beteiligten Parteien und hat sich hinsichtlich seiner Wahl noch nicht entschieden. Vor diesem Hintergrund erwarten wir, daß die türkische Öffentlichkeit die Realitäten mehr als zuvor erkennt. In diese Richtung geht unser Aufruf. Unsere Völker werden einem gewaltigen Spezialkrieg ausgesetzt. Tagtäglich werden diese Umstände durch die Anschuldigung de „Terrorismus“ verfälscht. Es ist sehr wichtig, unseren Standpunkt über eine Lösung der Kurdenfrage innerhalb der bestehenden türkischen Grenzen und mit demokratischen Mitteln in aller Offenheit darzulegen. Denn, die Öffentlichkeit ist einer intensiven Manipulation durch die psychologische Kriegführung ausgesetzt. Einige politische Parteien, wie die des Mesut Yilmaz, haben erklärt, auch wenn es nur dem Anschein nach ist, daß sie in dieser Frage eine neue Haltung einnehmen werden. Mesut Yilmaz drückte sich ähnlich wie Özal in seiner letzten Phase aus, innerhalb von 4 Jahren die Kurdenfrage zu lösen. Obwohl Yilmaz Vergangenheit zu keinerlei Hoffnungen veranlaßt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt die Frage, ob er guten Willens ist, nicht ignorieren. Sollte er aber die kurdische Frage nicht lösen, wird er wie vor 4 Jahren eine Niederlage erleiden.

Yilmaz sollte aus der Praxis der CHP und DYP seine Konsequenzen ziehen. Die CHP versagte aufgrund ihrer doppelbödigen Politik in der Kurdenfrage. Die DYP befindet sich in einer ähnlichen Situation, weil sie mit Vehemenz auf ihren militaristischen Kurs beharrt. Wir verkünden diesen Aufruf auch mit der Absicht, die Öffentlichkeit in einer zehntägigen Vorbereitungsphase für die Wahlen über die Umstände zu informieren. Jeder sollte die Möglichkeit haben, sich offen zu artikulieren und eine politische Lösung mit mehr Mut zum Ausdruck zu bringen.

Die internationale Dimension

Die internationale Dimension unseres Waffenstillstandes ist unbedingt gegeben. Die USA, Europa und verschiedene andere Länder haben einige Lösungsvorschläge in diesem Konflikt unterbreitet. Des weiteren ist der Iran in der Region ein Machtfaktor und ist dabei, eine neue Kurdenpolitik zu gestalten. Die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung guter Beziehungen zu Rußland ist sehr hoch. In dieser Richtung haben uns bereits Aufrufe erreicht. Man bezeichnet uns immer noch bewußt als „terroristisch“. Wir möchten der Weltöffentlichkeit zeigen, wer die eigentlichen Terroristen sind, wer auf der politischen Lösung und dem Frieden, wer auf dem Krieg und den Massaker beharrt. All das weist auf die Entwicklung einer neuen Phase und die Plazierung von einigen neuen Gleichgewichten auf dieser Basis hin.

Dieser Waffenstillstand ist keine Taktik, um nur den Tag zu retten. Auch wenn zweifelsohne unser Entschluß im allgemeinen Sinne als eine Taktik zu betrachten ist, ist dies dennoch eine wertvolle Vorgehensweise, um die Zukunft zu sichern, dem Friedens- und Demokratisierungsprozeß sowie einer politischen Lösung den Weg zu ebnen. Wenn von uns immer wieder ein bedingungsloser und keine Lösung beinhaltender Waffenstillstand gefordert wird, so ist das eine unberechtigte Forderung. Wir werden uns nicht ergeben, werden aber auch nicht in eine Kriegshysterie verfallen. Wir können den Krieg noch weiter verschärfen. Jedoch sind wir keineswegs Anbeter des Krieges. Zumindest muß aber die Gegenseite zum politischen Dialog bereit sein.

Wieso fürchtet man sich davor, mit uns zu verhandeln? Ich möchte in Gegenwart des Volkes unsere Ziele offenlegen. Wenn das Volk mich nicht akzeptiert, werde ich mich der Entscheidung des Volkes beugen. Wieso wird diese Sachlage ignoriert? Diejenigen, die auch nur ein wenig Demokratieverständnis besitzen, sollten dies ohne weiteres begreifen. Alle ideellen und materiellen Reichtümer der Region, können in den gemeinsamen Genuß unserer Völker gelangen. Die Unterdrückung des Kurden schadet auch dem Türken. Von der Verleugnung der kurdischen Identität ist auch die türkische Bevölkerung betroffen. Das gemeinsame Zusammenleben der Völker und ihre gesamten historischen Reichtümer dürfen nicht für Kriegstreiber und Bürokraten geopfert werden.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

V. Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage
in der Türkei und zum Waffenstillstandsangebot der PKK

Protokoll vom 18/01/1996 - eine endgültige Ausgabe

TÜRKEI

B4-0060, 0076, 0086 und 0089/96

Das Europäische Parlament,

- unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen und insbesondere seine Entschließung vom 13. Dezember 1995 zur Lage der Menschenrechte in der Türkei (1),

A. geleitet von dem Wunsch, zu einer weiteren Vertiefung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei beizutragen,

B. in der Erwägung, daß seit den Wahlen zur Großen Nationalversammlung am 24. Dezember 1995 bisher noch keine neue türkische Regierung gebildet worden ist,

C. in Kenntnis der Ankündigung eines einseitigen Waffenstillstands durch den Vorsitzenden der PKK als eine Geste auf dem Weg zu einer gewaltfreien und politischen Lösung des Kurdenproblems,

D. unter Hinweis auf die Welle terroristischer Gewalt, die die Türkei seit vielen Wochen erschüttert, insbesondere die Anschläge gegen Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Unternehmer und Gewerkschaftler, deren jüngstes Opfer der Unternehmer Sabanci und zwei seiner Mitarbeiter wurden,

E. unter Hinweis auf die terroristischen Anschläge gegen Parteibüros, Banken und Geschäfte in der Türkei sowie gegen die türkischen Einrichtungen in den Mitgliedstaaten der Union,

F. in der Erwägung, daß trotz der Freilassung von mehreren Dutzend Intellektuellen, Journalisten und anderen Persönlichkeit im Zuge der Änderung der Antiterrorgesetzgebung weiterhin zahlreiche Personen aus politischen Gründen inhaftiert bleiben,

G. unter Hinweis auf seine obengenannte Entschließung vom 13. Dezember 1995, insbesondere seinen Appell an die türkische Regierung, die PKK und andere türkische Organisationen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um eine gewaltlose politische Lösung der Kurdenfrage herbeizuführen, eingedenk der Achtung der territorialen Integrität und Einheit der Türkei und der gleichzeitigen Form kultureller Selbständigkeit innerhalb der Türkei zu streben,

H. in der Erwägung, daß Leyla Zana, die Sacharow-Preisträgerin 1995 des Europäischen Parlaments, zusammen mit drei weiteren ehemaligen Abgeordneten der DEP nach wie vor in türkischen Gefängnissen inhaftiert ist, weil sie sich für die Demokratie und die Anerkennung der Rechte des kurdischen Volkes eingesetzt hat,

I. schockiert über die in der europäischen Presse veröffentlichten abstoßende Bilder türkischer Soldaten, die die Köpfe enthaupteter Kurden schwenken,

J. unter Hinweis auf das Ausmaß der Revolte, die gleichzeitig in mehreren Gefängnissen des Landes ausbrach, sowie auf die Härte, mit der sie unterdrückt wurde,

K. unter Hinweis darauf, daß Metin Göktepe, Journalist der Tageszeitung “Evrensel“, der über die Ereignisse recherchierte, von der Polizei verhaftet und kurze Zeit später mit Folterspuren tot aufgefunden wurde,

L. in der Erwägung, daß der Assoziationsrat EU Türkei im Anschluß an die Zustimmung des Parlaments vom 13. Dezember 1995 (2) die erforderlichen Beschlüsse zur Verwirklichung der Zollunion EU Türkei zum 1. Januar 1996 getroffen hat,

M. unter Hinweis auf die Initiative der italienischen Präsidentschaft, durch die der Union eine Rolle dabei übertragen werden soll, eine Lösung für die Überwindung der Teilung Zyperns im Sinne der UN-Resolutionen zu finden,

1. begrüßt den Umstand, daß trotz der Stimmengewinne religiös-fundamentalistischer Parteien aus dem Ergebnis der türkischen Wahlen deutlich hervorgeht, daß die breite Mehrheit des türkischen Volkes religiösen Extremismus und die sich daraus ergebende Isolierung der Türkei ablehnt und sich dagegen für die Aufrechterhaltung und Stärkung der Beziehungen zur Europäischen Union und anderen westlichen Staaten entscheidet;

2. fordert die neue türkische Regierung, die nach den jüngsten Wahlen gebildet wird, auf, ihre Maßnahmen für weitere demokratische Reformen und die Achtung der Menschenrechte fortzusetzen und zu verstärken, erneuert insbesondere seinen Appell, Mittel und Wege zu finden, durch die die Bürger kurdischer Abstammung unter Gewährleistung und Achtung der territorialen Einheit der Türkei ihrem Recht auf kulturelle Identität Ausdruck verleihen können;

3. begrüßt die Ankündigung eines einseitigen Waffenstillstands durch den Vorsitzenden der PKK und hält dies für eine erste positive Reaktion auf seinen Appell vom 13. Dezember 1995; gibt seiner Hoffnung Ausdruck, daß die türkische Regierung diese Geste als einen positiven Beitrag zu einer friedlichen Lösung des Problems sehen wird, und fordert alle betroffenen Parteien in der Türkei auf, die jetzige Gelegenheit zu ergreifen, um Mittel und Wege zur Einleitung eines nationalen Dialogs zu prüfen, durch den eine politische und gewaltfreie Lösung der Probleme im Südosten des Landes gefunden werden soll;

4. verurteilt die terroristischen Aktionen aller Art, die auf eine Destabilisierung des Landes abzielen, sowie die in der Europäischen Union verübten terroristischen Anschläge;

5. verurteilt die Ermordung des Unternehmers Sabanci und seiner Mitarbeiter und bringt seine Anteilnahme am Schmerz der Familien der Opfer zum Ausdruck; fordert die türkische Regierung auf, die Hintergründe dieser sowie vorheriger Terroranschläge aufzuklären;

6. fordert die türkischen Behörden auf, in das künftige Regierungsprogramm die Förderung der Achtung der Menschenrechte und vor allem den Kampf gegen die Folter ausdrücklich als prioritäres aufzunehmen;

7. fordert, daß die neue Regierung eine Revision der Rechtsvorschriften vorschlägt, um die sofortige Freilassung von Leyla Zana, der drei anderen ehemaligen Abgeordneten der DEP sowie der übrigen politischen Gefangenen zu ermöglichen;
 

8. fordert die türkischen Behörden nachdrücklich auf, einen unabhängigen Untersuchungsausschuß mit Experten einzusetzen zur Untersuchung von Todesfällen, die sich im Zuge von Mißhandlungen auf Polizeirevieren und nach dem Eindringen von Sicherheitskräften in Gefängnissen ereignet haben;

9. verurteilt die Ermordung des Journalisten Metin Göktepe und fordert die Behörden auf, die Umstände seiner Ermordung umgehend zu klären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen;

10. fordert der Rat und die Kommission auf, jüngsten Zeitungsberichten nachzugehen, die Fotos enthalten, auf denen türkische Soldaten zu sehen sind, die die abgeschlagenen Köpfe von mutmaßlichen regierungsfeindlichen Kämpfern schwenken;

11. fordert die türkischen Behörden auf, entsprechende Ermittlungen einzuleiten und im Falle einer Bestätigung die Verantwortlichen zu bestrafen;

12. äußert sich im Zusammenhang mit dem künftigen Beitritt Zyperns zur Europäischen Union besorgt über die Erklärung der amtierenden Ministerpräsidentin Tansu Ciller über eine mögliche Aufnahme des nördlichen Teils von Zypern in die Türkei und fordert die Türkei dringend auf, sich an die Bestimmungen der Zollunion im Zusammenhang mit Zypern zu halten; fordert die Kommission und den Rat nachdrücklich auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Überwindung der Teilung Zyperns zu fördern, und einen Vermittler zu benennen, der bei der Lösung des Problems helfen soll;

13. fordert die Kommission auf, ihren Verpflichtungen bezüglich der Beobachtung der Lage der Menschenrechte in der Türkei nachzukommen und ihm den zweiten Zwischenbericht zur Lage der Menschenrechte in der Türkei umgehend zu übermitteln;

14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der türkischen Regierung und der Großen Nationalversammlung der Türkei zu übermitteln.

1) Teil II Punkt 1c des Protokolls dieses Datums.
2) Teil II Punkt 1a des Protokolls dieses Datums.
 
 

VI. Auszüge aus der Erklärung der SI-Konferenz in Wien

Konferenz “Auf dem Weg nach Europa -
die Zukunft der Kurdenfrage für die Türkei und ihre Nachbarn“
Wien 2./3. Juli 1998
 

Wir, sozialdemokratische MdEP und Vertreter der SPE-Parteien aus den EU-Mitgliedstaaten, erklären folgendes:

Ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten kann nicht ohne Berücksichtigung der Kurdenfrage erreicht werden.

Die Probleme der Kurden in der Region, einschließlich der massiven Verletzung der politischen, sozio-ökonomischen und kulturellen Rechte, der wirtschaftliche Unterentwicklung und der Zwangsmigration, hatten nach wie vor bedeutende Auswirkungen auf Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Region und in Europa, was den Problemen eine internationale Dimension gibt.

Europa hat ein unmittelbares Interesse an der Lösung der Probleme, nicht zuletzt wegen der Flüchtlingskrise, die diese Probleme ausgelöst hatten.

Eine stabile und gerechte Lösung der Kurdenfrage kann niemals mit militärischen oder gewaltsamen Mitteln, sondern allein durch den politischen Dialog zwischen den Vertretern der Kurden und Regierungsbehörden wie auch zwischen kurdischen Organisationen erreicht werden.

Jede politische Lösung muß sich auf folgende Grundsätze stützen:
-  politische Demokratie in diesen Ländern
-  Anerkennung und Gewährleistung der Rechte der Kurden (bürgerliche, politische und  kulturelle) innerhalb der Grenzen dieser Länder
-  Achtung der territorialen Integrität der betroffenen Länder
-  wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Region.

Die EU sollte nicht nur dazu beitragen, daß politische Lösungen gefunden werden, sondern sich auch besonders darum bemühen, das Leiden der Opfer des Konflikts durch humanitäre Hilfsprogramme zu lindern.

Auf dieser Grundlage vertreten wir die folgende Standpunkte zur Lage der Kurden im Irak im Iran und in der Türkei:
.....

Zur Lage der Kurden in der Türkei

13.  Wir bekräftigen, daß Europa in Anbetracht der Tatsache, daß sich die Türkei um EU- Mitgliedschaft beworben hat, ein besonderes Interesse an der Lösung der Kurdenfrage  in der Türkei hat.

14.  Wir sind davon überzeugt, daß eine Lösung der Kurdenfrage in der Türkei großen  Einfluß auf die Demokratie, die Menschenrechte und die Minderheitenrechte in der  Türkei und umgekehrt hätte. Dies brächte die Türkei der Erfüllung der politischen  Kriterien für eine Mitgliedschaft in der EU, die auf alle Bewerberländer angewandt  werden, bedeutend näher.

15. Des weiteren meinen wir, daß die Anerkennung der Existenz und mehr noch die Lösung
der Kurdenfrage keineswegs eine Bedrohung ihrer territorialen Integrität bedeutet, sondern vielmehr die politischen Institutionen, die Gesellschaft und die Identität der Türkei stärken würde.

16.  Wir gehen davon aus, daß folgende Punkte für eine Lösung wesentlich sind:
 - verfassungsmäßig garantierte kulturelle Rechte einschließlich Meinungsfreiheit und  Veröffentlichung in kurdischer Sprache sowie muttersprachliche Erziehung in allen  Teilen der Türkei (unter Berücksichtigung dessen, daß Sprachrechte im Vertrag von  Lausanne anerkannt werden);

 - demokratische Reformen, die die Teilnahme und gerechte Vertretung der Kurden in  der Großen Nationalversammlung einschließlich der Reform des Rechts der politischen  Parteien, des Wahlrechts und insbesondere die Senkung der 10% Schwelle vorsehen;

 - Stärkung der Führung und Kontrolle der gewählten und demokratischen Institutionen  über die zivile und militärische Verwaltung einschließlich des Rückzugs des Militärs aus  seiner gegenwärtigen verfassungsmäßigen Funktion im politischen System als Schritt zu  einer Entmilitarisierung der türkischen Gesellschaft;

 - Aufhebung des Ausnahmezustandes in den östlichen und südöstlichen Provinzen und  die Beseitigung des Dorfwächtersystems in diesen Gegenden;

 - soziale und wirtschaftliche Entwicklung zugunsten der lokalen Bevölkerung in den  vom gewaltsamen Konflikt zerstörten Gegenden, welche unter den langfristigen Folgen  des Ausbleibens von Investitionen und der Zerstörung der Infrastruktur leiden.
 
 
 

17.  Wenn wir auch die Schwierigkeiten erkennen, so halten wir den direkten Dialog  zwischen Vertretern der türkischen Behörden und Vertretern der Kurden der Türkei für  den einzigen Weg, auf dem eine derartige Lösung erreicht werden kann.
18.  Wir fordern beide Parteien dieses gewaltsamen Konfliktes auf, in einem ersten Schritt  zur Schaffung eines günstigen Klimas für den Dialog einer Waffenruhe und der  Einstellung der militärischen Operationen und Gewaltmaßnahmen in der Südosttürkei  und im Nordirak zuzustimmen.

19.  Auf dem Weg zu einer Lösung müssen verschiedene Schritte unternommen werden, die  zur notwendigen Vertrauensbildung beitragen. Dies sind insbesondere

- die Aufhebung des Gesetzes, das sich auf “ideelle Straftaten“ erstreckt und insbesondere die Abschaffung von Artikel 8 des Anti-Terror-Gesetzes und von Artikel 81 des Gesetzes über die politischen Parteien, das die Einschränkung politischer Freiheit sanktioniert, fördern;

- die Beendigung der Regierungstätigkeit mittels Verordnungen, wobei ohne eine Verabschiedung von Gesetzen in der Praxis keine juristische Zuständigkeit besteht;

 - die Beendigung der Behinderung legaler politischer Parteien und die Freilassung  politischer Gefangener wie Leyla Zana, der Trägerin des Sacharow-Preises des  Europäischen Parlaments von 1995, Hatip Dicle, Orhan Dogan und Selim Sadak;

 - die Gewährung von Schutz und Sicherheit für Verteidiger der Menschenrechte in der  Türkei, um Verbrechen wie den Mordversuch auf Akin Birdal endgültig auszuschließen.

20.  Des weiteren fordern wir die EU auf, die internationale politische Initiative zu  ergreifen, um die Schaffung einer Atmosphäre, in der ein konstruktiver Dialog  stattfinden kann, zu fördern und zu ermöglichen.

21.  Gleichzeitig, und als unser eigener spezifischer Beitrag zu diesem Prozeß, erklären wir  uns dazu bereit, weiteren direkten Dialog zwischen der türkischen und der kurdischen  Zivilgesellschaft und Vertretern der politischen Parteien zur Erziehung eines  gemeinsamen Standpunktes in diesen Fragen zu fördern.
 
 

VII. Waffenstillstandserklärung des Vorsitzenden der     Arbeiterpartei Kurdistans PKK vom 28.8.1998

Schon seit längerer Zeit wird seitens des europäischen Parlamentes und einiger Friedensinitiativen aus der Türkei von uns erwartet, daß die PKK Schritte für eine politische Lösung einleitet. Damit verbunden wird die Hoffnung auf ein positives Ergebnis. Diese Haltung hat uns Mut gemacht. Ich möchte gleich am Anfang eines klarstellen: wenn es keinen grundlegenden Widerspruch, keinen gewichtigen Grund gibt, ist jeder Krieg der pure Wahnsinn. Terror und Gewalt sind niemals mit menschlichen Prinzipien zu vereinbaren. Die Hauptproblematik, welche ihre Wurzeln schon in den vergangenen Jahrhunderten hat, ist, daß wir die Opfer von Gewalt sind. Was von uns heute gewünscht wird, ist, daß die PKK außer zur Lösung der kurdischen Frage auch einen Beitrag zur Lösung der grundlegenden Probleme der Türkei und zum Frieden in der Region leistet. Solche Fragen werden uns ständig gestellt. Unsere Antwort darauf ist: Wenn wirklich die auf uns ausgeübte Gewalt auch nur zum Teil zurückgenommen würde, wenn die menschlichen Grundprinzipien und die Menschenrechte verwirklicht, die Entwicklung der Demokratie und ein Dialog über die politischen Probleme begonnen würden, dann könnten wir ohne jeden Zweifel behaupten, daß keine andere Organisation und kein anderes Volk sich mehr nach friedlichen Vorgehensweisen sehnt als wir. Deshalb hoffe ich, daß diejenigen, die einen entsprechenden Schritt von uns erwarten, dann auch dazu stehen und keine taktischen Spielereien anfangen. Wir hoffen, uns nicht zu irren. Es macht uns stolz, den ersten Schritt zu unternehmen. Nach der Absprache mit unserer Organisation habe ich die Notwendigkeit gesehen, unter Berücksichtigung der sich in den Jahren seit April 1993 verschlechternden innen- wie außenpolitischen Lage, einen ähnlichen Schritt zu machen, wie wir ihn damals, während der Amtszeit von Herrn Özal, unternommen hatten.

Eines möchte ich vorab betonen: unser jetziges Vorgehen hat nichts mit Schwäche oder Stärke zu tun. Wir sind davon überzeugt, damit den Erfordernissen der Zivilisation und den derzeitigen Erwartungen vollständig zu entsprechen. Wenn wir uns die aktuelle Situation der Türkei ansehen, dann ist ihr Hauptproblem ihre Demokratisierung und nicht das Kurdenproblem, auch wenn es diesen Anschein hat. Das Kurdenproblem und die Nichteinhaltung der Menschenrechte resultieren aus undemokratischen Verhältnissen. Es lohnt sich, der Lösung dieses Problems eine reale Chance zu geben. Niemandem - weder aus unseren Reihen noch von seiten des Staates - kann etwas daran liegen, diesen Schritt durch Provokationen zu beenden, außer denjenigen, die auch 1993 ihrer Geschäfte mit dem Krieg wegen daran interessiert waren, den Waffenstillstand zu beenden. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Weiterentwicklung unseres Vorgehens einen großen Beitrag zur Lösung der Probleme der Türkei und der Region leisten wird.

In letzter Zeit werden viele Vorbereitungen zum 75jährigen Bestehen der Republik getroffen. Wir waren niemals prinzipiell gegen die Republik, wir sind auch nicht gegen die Republik Türkei. Im Grunde bevorzugen wir selbst die Staatsform der Republik. Aber im gleichen Atemzug muß erwähnt werden, daß die Republik Türkei niemals demokratisch war. Der Republik eine demokratische Gestalt zu geben, also die Demokratisierung des Landes durchzuführen, ist das Hauptproblem der Türkei. Sowohl die rechten als auch die linken Kreise sprechen täglich davon. Sie sollen das bloße Gerede von Demokratie sein lassen. Alle Parteien und zivilen Organisationen reden täglich in einer Weise von der Demokratie, als ob sie diese verwirklichen würden. Wenn es nicht beim bloßen Reden bleiben soll, müssen die Probleme der Republik richtig analysiert und ausgewertet werden. Es ist keine Abwertung der Republik und keine Übertreibung, wenn festgestellt wird, daß diese Republik den Menschen seit 75 Jahren keine Demokratie gebracht hat. Der Demokratie wurden bis jetzt keine Entwicklungsmöglichkeiten gegeben, und außer einer kleinen Oberschicht hat die Bevölkerung nichts von ihr mitbekommen. Das Volk ist niemals in den Genuß der Demokratie gekommen. Es ist viel davon geredet worden, aber es wurde nicht in die Realität umgesetzt. Das ist ein grundlegend antidemokratisches Verständnis, das sich bei vielen Institutionen, besonders bei allen politischen Parteien, die sämtlich von oligarchischen Führern gelenkt werden, wie eine ansteckende Krankheit verbreitet hat. Das wird dem Volk als Demokratie präsentiert. Die Demokratie muß von dieser Scheinheiligkeit befreit werden. Die Demokratie muß im Volk verwurzelt sein.
 
 

Dies ist keine Beleidigung der Republik - und schon gar keine Teilung. Es geht lediglich um die Demokratisierung der Republik. Das wäre nur zum Vorteil der Türkei. Damit würde ihr die Möglichkeit gegeben, frei zu atmen. Alle, die im Namen der Republik aktiv sind, müssen diese Antidemokratie bekämpfen.

Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß seit dem Tag der Gründung der Republik bis heute ein extrem hohes Maß an Gewalt besonders gegen das kurdische Volk ausgeübt wird. Zur Legitimation dieser antidemokratischen Praxis wurden immer wieder Aufstände im Innern vorzuschieben versucht. Darüber hinaus sind auch verschiedene Religionen und ethnische Gruppen massiven Repressionen ausgesetzt. Die Gewalt in der Türkei wird ausnahmslos gegen alle in Armut lebenden Menschen ausgeübt. Seit den 70er Jahren hat diese Gewalt ein Ausmaß erreicht, das nur bei faschistischen Regimes bekannt ist, und Zehntausende sind durch unentwegte Repressionen und Provokationen getötet worden. Das Entstehen der PKK ist ein Produkt dieser Entwicklung. Die kurdische Frage ist nicht unsere Erfindung. Sie ist seit Gründung der türkischen Republik eine der grundlegenden Fragen der Türkei. Es ist mir wichtig, auf einige Punkte des von Mustafa Kemal persönlich vorbereiteten Amasya-Erlasses, einem der Gründungsdokumente der türkischen Republik, einzugehen. Denn in der Türkei sieht sich jeder, besonders in der Armee, als ‘atatürkisch’. Das mag so sein, aber es darf nicht vergessen werden, daß nach dem Amasya-Erlaß auf den Kongressen in Erzurum, Sivas und Ankara die Konstituierung des Parlamentes auf Grundlage eben dieses Erlasses erarbeitet wurde. Die schwerste Phase für die Türkei war die, in der der Amasya-Erlaß schriftlich niedergelegt wurde und die Realität allen sichtbar war. Das war die empfindlichste Zeit, die Zeit, in der die Grundlage für die Republik gelegt wurde. Aus diesem Erlaß lese ich zwei Paragraphen vor:

Paragraph eins : Die anzuerkennenden osmanischen Grenzen umfassen das Gebiet, in dem die Türken und Kurden leben. Die Kurden sind von den Osmanen nicht zu trennen.

Paragraph zwei: Als Grundlage für eine freie Entwicklung der Kurden werden ihre rassischen und gemeinschaftlichen Rechte anerkannt.

Alle Beschlüsse der Versammlung wurden einstimmig angenommen.

In einem Interview mit Halide Edip Adivar im September 1921 in Izmir antwortete Mustafa Kemal auf eine Frage dieses Journalisten, daß es in den Regionen, in denen überwiegend Kurden leben, eine Autonomie geben solle.

Zu Anfang war das also noch die Sicht Mustafa Kemals. So hatten zu Beginn die Kurden noch die gleichen Anteile an der Gründung der Republik wie die Türken. Später begann die von mir erwähnte antidemokratische Phase. Sie stand im Gegensatz zu den Grundsätzen der Republik. Es ist notwendig, sich das vor Augen zu führen. Die Politiker und Mitglieder der Armee sollten die Grundsätze ihrer Republik richtig bewerten. Die Streitpunkte liegen genau hier. Es wird viel von Brüderlichkeit geredet, aber statt diese Brüderlichkeit zu praktizieren, wird gesagt, daß die Souveränität und Unteilbarkeit der Türkei nicht in Frage gestellt werden darf. In Ordnung, aber für wen gilt diese Unteilbarkeit? Und wer greift hier wessen Rechte an? Warum wird es als Separatismus bezeichnet und als Angriff auf die Hoheit der Türkei verstanden, wenn wir von euch verlangen, das zu verstehen? Ich betone, daß es wichtig ist, diese Dinge zu verstehen. Der Gipfel der Gewalt ist, sogar den Namen eines Volkes auszulöschen. Durch diese Politik wird die Einheit der Türkei ebenfalls verletzt. Unsere Schuld ist es nicht. Die Verantwortung tragen diejenigen, die die Realität verleugnen. Das möchte ich als eine wichtige geschichtliche Tatsache im Raum stehen lassen. In der heutigen Situation ist nicht zu leugnen, daß die Krise der Türkei mindestens so tief ist wie in den 20er Jahren. Vielleicht ist die Nation nicht in Gefahr. Aber ein gesellschaftlich-demokratisches Leben ist mindestens ebenso wichtig wie die Nation. Es kann eine Gelegenheit sein wie in den Anfängen der Republik. So wie in den 20er Jahren die Türken auf die Kurden angewiesen waren, so sind sie es auch heute wieder, um Demokratie zu erreichen. Die viel genannte Brüderlichkeit kann nur in einem demokratischen Rahmen erreicht werden. Alles andere ist Demagogie.
 
 

Um zu der oft kritisierten „Gewalt der PKK“ zu kommen: wir sind die Seite, die immer am meisten angegriffen wurde. Wenn wir in diesem Kräfteungleichgewicht gezwungen wurden, uns für eine Verteidigungsstrategie zu entscheiden, um uns selbst, unsere Menschenrechte, unsere Identität, unsere Kultur zu verteidigen und uns nicht vernichten zu lassen, hat das eine Grundlage in den Konventionen der UN und der türkischen Verfassung. Man nennt dies: das legitime Selbstverteidigungsrecht. Vergessen wir nicht, wir werden vollkommen geleugnet: unsere Menschenrechte, unsere nationale Identität - von demokratischen und politischen Rechten rede ich erst gar nicht - absolut alles wird geleugnet. Was hätten wir gemacht, wenn wir nicht widerstanden hätten? Wenn wir die Ungerechtigkeiten akzeptiert hätten? Welchen Vorteil hätte die Türkei davon gehabt? Hätte das dem türkischen Volk bzw. der türkischen Nation zur Ehre gereicht? Ich glaube kaum.

Ein Volk kann niemals glücklich sein, in dessen Namen einem anderen Volk so viel Ungerechtigkeit zugefügt wird, und das die Identität und den Namen eines anderen Volkes mit Füßen tritt.
Es wird sich von seinen großen Problemen niemals befreien können. In diesem Zusammenhang muß man die für unsere Verteidigung notwendige Gewalt richtig bewerten. Heute ist dauernd vom PKK-Terror die Rede. Wenn es ihnen wirklich wichtig ist, wenn sie die Möglichkeit einer politischen, demokratischen Lösung sehen, sind wir bereit, ihren Forderungen entgegenzukommen, damit nach 75 Jahren vorrangig das Demokratie-Problem der Türkei gelöst wird, damit nicht weiter dieser hohe Preis des Krieges gezahlt werden muß, damit die Menschenrechtsverletzungen aufhören und den Aktivitäten der Mafia-Banden ein Ende gesetzt wird. Wenn sie wirklich ernsthaft dazu bereit sind, sich dafür einzusetzen, respektieren wir das derzeitige Recht und richten uns nach den elementaren Menschenrechten und den Regeln der Demokratie. Wir haben damit keine Schwierigkeiten. Wir verletzen diese Dinge nicht. Es ist offensichtlich, wer ausschließlich in der Theorie diese Regeln akzeptiert, aber in der Praxis die Gesetze verletzt und immer wieder schwere Schuld auf sich lädt. Im Kampf dagegen ist Unterstützung nur bei uns zu finden.

Uns wird ein Angriff auf die Grundlagen der Republik vorgeworfen. Wir greifen sie nicht an, im Gegenteil: wir werden extrem angegriffen. Es sind die Eliten der Türkei, die mit grenzenloser Gewaltanwendung die Grundlagen der Republik beschädigen. Es heißt, der Laizismus habe großen Schaden erlitten. Das ist ganz eindeutig. Als wir angegriffen wurden, waren nicht wir es, die von Hubschraubern Flugblätter mit Koransuren abgeworfen haben, und nicht wir haben Hunderttausende von Kindern durch die Koranschulen getrieben, der Staat hat dies gemacht. Ich bewerte das jetzt nicht; ich sage es nur, weil dies heute ein viel diskutiertes Thema ist. Nicht wir haben den Mafia-Banden ihre Aktivitäten ermöglicht. Sie haben diesen Banden gesagt: „Geht und tötet einen Revolutionär“ - und dazu haben sie ihnen grenzenlose Möglichkeiten eröffnet. Und es wird täglich in der Presse veröffentlicht. Dies alles ist nicht gut für die Türkei. Um diese Zustände effektiver zu bekämpfen, sind wir bereit, alles Notwendige zu tun. Diese Zusage mache ich nicht, weil wir schwach wären, sondern weil wir der Brüderlichkeit der Völker und der Demokratie zutiefst verbunden sind.
Aus dieser Haltung heraus und um den weltweiten Kräften für Frieden und ihrer Sehnsucht nach Frieden am ersten September, dem Weltfriedenstag, eine Antwort zu geben, den Beschlüssen des Europaparlaments und der stärker werdenden Öffentlichkeit der Türkei entgegenzukommen, haben wir uns zu folgendem Schritt entschlossen:
Ab dem 1. September 1998 beginnt ein Waffenstillstand.
Seine Dauer ist nicht festgelegt, die Länge oder Kürze hängt nicht von uns, sondern von denjenigen ab, die darauf Antwort geben und ernsthafte Schritte unternehmen müssen. Dies sind jedoch keine Vorabbedingungen. Wir haben diesen Waffenstillstand, den ich nicht ausdrücklich einseitig nennen will, auch wenn er so verstanden werden wird, als Mittel gewählt, um für die Lösung des Kurdenproblems einen von uns erwarteten ersten Schritt zu machen, und um Bedingungen für die Lösung der Probleme zu schaffen.

Die praktische Bedeutung dieses Waffenstillstandes - die Länge: zwei Wochen, ein Monat.... das ist nicht festgelegt - ist die Überwindung der schwerwiegenden Krise auf demokratischem Wege. Die momentane Situation ist sehr kompliziert: die Wahlatmosphäre und die Diskussion um Amnestie fällt zusammen mit der aktuellen Änderung in der Struktur und Befehlshierarchie der türkischen Armee - diese braucht natürlich Zeit für eine Situationsbewertung. Wir haben diesen Waffenstillstand in die Wege geleitet, damit dieser, zur historischen Tatsache gewordene, verdeckte und offene Krieg, der der Türkei nichts

nützt, sondern sehr schadet, nicht länger fortdauert. Alle inneren und äußeren Bedingungen sind dafür geeigneter als 1993; das sollte beachtet werden. Ich denke, das entspricht auch den Erwartungen der nationalen wie internationalen Öffentlichkeit.
Wir werden unseren Waffenstillstand halten, wenn man uns nicht mit Operationen überzieht und versucht, die Guerilla zu vernichten. Wir haben unsere Guerilla unter Kontrolle und sie wird nicht angreifen. Ich wiederhole es noch einmal: um die Situation zu entschärfen, um der politischen Auseinandersetzung eine günstige Atmosphäre zu schaffen, werden wir aus unseren Reihen Gewaltaktionen keine Möglichkeit geben.

Aus unseren Reihen wird keine Provokation kommen. Vor allem bin ich sicher, daß nicht noch einmal eine Provokation wie 1993 erfolgen wird. In dieser Hinsicht haben wir unsere Kräfte unter Kontrolle. Ich betone noch einmal im Hinblick auf den Zeitrahmen: ausschlaggebend wird sein, wie positiv die Entwicklungen sein werden. Günstigenfalls kann die Zeit bis zu den Wahlen als maximaler Zeitrahmen angesehen werden. Aber ich kann keine Garantien geben. Wenn von der Gegenseite aus Provokationen unternommen werden und die Operationen kein Ende nehmen, werden wir unser legitimes Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen. Wir haben dann keine andere Wahl. Wir sagen, daß der Krieg lange genug gedauert hat. Wir glauben, daß die Auseinandersetzung auf politischer Ebene unseren Völkern viel nutzen kann, daß es ein dringendes Bedürfnis danach gibt. Wir wissen genau, daß hier der Schlüssel zur Lösung der Probleme liegt. Dies muß genau so verstanden werden. Die interessierten Kreise dürfen unseren Schritt nicht als alltägliche Taktik ansehen. Wenn man uns Garantien gibt, wird deutlich werden, daß wir nicht taktieren, sondern eine ernsthafte und dauerhafte Entwicklung einleiten wollen.

Wenn in dieser Angelegenheit glaubwürdige, günstige Bedingungen geschaffen würden, würde deutlich, daß wir weder eine der Einheit der Türkei schadende separatistische Kraft sind, noch deren Souveränität in Frage stellen. Im Rahmen unseres Bewußtseins von Freiheit werden wir all unsere Aufgaben erfüllen, die nötig sind für die Verwirklichung einer starken, einheitlichen Türkei, die nicht von äußeren Bündnissen abhängig ist, sondern auf der Souveränität ihrer Völker beruht. Ich habe immer betont, daß wir die stärkste Kraft für Demokratie und Helligkeit der Türkei sind. Etwas anderes akzeptieren wir nicht. Wir sind zugleich die stärkste Kraft für Demokratie und Helligkeit des kurdischen Volkes. Wir sind keine separatistische Kraft. Ich möchte betonen, daß es wichtig ist, dies richtig zu bewerten. Auf Gewalt basierende Methoden sollten keine Anwendung mehr finden. Wenn jedoch auf Gewalt bestanden wird, sind unsere Möglichkeiten zur Ausdehnung der Gewalt größer als je zuvor. Bis jetzt wurde Gewalt bis zum Gipfel angewendet, aber die Probleme wurden damit nicht gelöst. Man sollte diesen Methoden kein Vertrauen mehr schenken.

Wie man sieht, will man auf der Welt die Probleme verstärkt gewaltlos lösen: so das Tschetschenien-Problem in Rußland, das Kolumbien-Problem, das Irland-Problem, und sogar das Palästina-Problem wird so zu lösen versucht. Die Türkei braucht diese Entwicklung unseres Jahrhunderts am meisten. Das ist für die Türkei der einzig kluge Weg. Ich sage unserer Öffentlichkeit und vor allem denjenigen, die endlich von diesem Problem befreit werden wollen, daß wir die Möglichkeit haben müssen, unsere Ernsthaftigkeit zu beweisen. Wir wollen zeigen, wie konstruktiv wir sind, vor allem für die Entwicklung der Demokratie der Völker. Wir werden zeigen, daß wir dies in jedem Fall mit Schritten auf dem richtigen Weg nutzen werden.
 
 

VIII. Bilanz der Menschenrechtsverletzungen 1993 - Juni 1998
 

Angriffe und Morde durch
„unbekannte„ Täter                                    :       1 170 Tote, 182 Verletzte
Liquidationen und in der Polizeihaft
durch Folter gestorbene Personen              :       923
Tote bei militärischen Gefechten                 :       15 172 Tote
Angriffe gegen Zivilisten                             :       999 Tote, 1.377 Verletzte
Angriffe auf Gefangenen                             :       146 Verletzte
Die Angegriffen und Bedrohten                  :       325 Personen
In der Polizeihaft
„verschwundene„ Personen                        :       858
Registrierte Folterfälle                                :       3 374
Festnahmen(ohne Haftbefehle)                   :       98 134
Verhaftungen                                             :       7 274
Entvölkerte Dörfer und Ortschaften            :       2 717 Dörfer, 31 Wälder
Repressionen im Arbeitsleben                    :       733 890  Entlassungen
Bombenanschläge                                      :        696
Verbote von Vereinen, Parteien,
Gewerkschaften, Publikationen                   :       636
Angriffe und Durchsuchungen der
o.g. Institutionen                                         :       763
Verhaftete Mitarbeiter der Zeitungen           :       1 180
Beschlagnahmte Publikationen                    :       1 679
Geforderte Gefängnisstrafen                       :       6 549 Jahre, 9 Monate
Festgelegte Gefängnisstrafen                       :       1 483 Jahre, 8 Monate
Wegen „Meinungsschuld„
zur Zeit im Gefängnis sind                           :       135 Personen