"Türkei hat ein Kurdenproblem"
Vizepremier will Verhandlungen / PKK zieht Angebot zurück
Von Gerd Höhler
ATHEN, 13. September. Erstmals hat ein führender türkischer
Regierungspolitiker dafür plädiert, die Kurdenfrage auf dem
Verhandlungsweg zu lösen. "Es führt zu nichts, das Problem
zu
verschleiern", mahnte Hüsamettin Cindoruk am Freitag in einer
Ansprache vor Unternehmern in Istanbul. Die Rede zur Kurdenfrage
klang aus dem Mund eines türkischen Regierungspolitikers geradezu
revolutionär. Die Nordirland-Friedensgespräche, so Cindoruk,
könnten
als Modell für den Neuanfang in der Kurdenpolitik dienen.
Der wegen seiner Integrität hochangesehene Cindoruk gehörte
bis 1996
der konservativen Partei des Wahren Weges (DYP) an. DYP-Chefin Tansu
Ciller jagte ihn nach schweren Zerwürfnissen aus der Partei. Er
gründete die Demokratische Türkei-Partei, die der im vergangenen
Sommer gebildeten Minderheitskoalition unter Ministerpräsident
Mesut
Yilmaz angehört. Neben dem Sozialdemokraten Bülent Ecevit
amtiert
Cindoruk in der Regierung als Vizepremier.
Seine jetzt geäußerten Ansichten zur Kurdenfrage stehen allerdings
in krassem Gegensatz zur offiziellen Linie der Regierung und der
Militärs in Ankara. Danach gibt es überhaupt kein Kurdenproblem,
sondern nur ein "Terrorismusproblem".
Die kurdische Arbeiterpartei PKK, deren Rebellen in der Ost- und
Südosttürkei für Autonomie kämpfen, zog ihr Ende
August
unterbreitetes Waffenstillstandsangebot zurück. Nachdem die
türkische Regierung das Angebot nicht angenommen habe, werde die
PKK
nun den bewaffneten Kampf wiederaufnehmen und ihre Angriffe
verstärken, sagte PKK-Chef Abdullah Öcalan der aus Belgien
sendenden
kurdischen Fernsehstation MED-TV. "Wir haben nichts mehr zu
verlieren; lieber kämpfe ich, als ein ehrloses Leben zu führen",
sagte Öcalan.
Türkische Regierungspolitiker hatten den angebotenen
Waffenstillstand und die Forderung Öcalans nach Verhandlungen
über
eine politische Lösung der Kurdenfrage zurückgewiesen. Mit
einer
Terrororganisation wie der PKK könne es nie Gespräche geben,
teilte
die Regierung mit.