Erstmals hatte der Iran im Zusammenhang mit dem Berliner
Mykonos-Prozeß, in dem es u. a. um die Verstrickungen iranischer
Regierungsvertreter in Terroraktionen gegen oppositionelle
Politiker im Ausland ging, damit gedroht, die Rolle der Bonner
Regierung bei den Chemiewaffen- und Giftgaslieferungen zur Sprache
zu bringen. Zu dieser Zeit war in Teheran davon die Rede, ein
internationales Gericht anzurufen. Davon scheint Teheran nun
Abstand zu nehmen. Statt dessen ist ein öffentlicher Prozeß
im Iran
geplant, in dem mehrere hundert Klagen gegen deutsche Firmen
verhandelt werden sollen.
Der Sinneswandel könnte damit zusammenhängen, daß die
Bundesregierung der Anrufung eines internationalen Gerichts hätte
gelassen entgegensehen können. Schließlich ist wegen Beihilfe
zum
Massen- oder Völkermord bisher noch keine Regierung der Welt durch
ein internationales Gericht verurteilt worden. Allerdings dürfte
der gegenwärtigen Regierung daran gelegen sein, dieses Thema zu
deckeln.
Schon Ende 1996 wies Regierungssprecher Schmülling jede
Mitverantwortung der Bundesregierung bei der irakischen
Giftgasherstellung »entschieden zurück«. Dieser Zurückweisung
stehen freilich eindeutige Fakten entgegen. Die deutsch-irakische
Zusammenarbeit während des ersten Golfkrieges hatte Saddam Hussein
tatsächlich zu einem mit Giftgas ausgestatteten Kriegsherren werden
lassen: Dabei war vom Bau der C-Waffenfabrik Samarra über
Ausbildung und Lieferung von Laborgeräten, Klimaanlagen,
Chemietechnik und den Grundstoffen zur Herstellung von Giftgas
alles fest in deutscher Hand. Brisant daran ist, daß die
Bundesregierung anstatt gegen die entsprechenden Firmen - unter
anderem Karl Kolb, Pilot Plant, Thyssen Rheinstahl und Rhein-Bayern
Fahrzeugbau - einzuschreiten, trotz entsprechender Informationen
und diplomatischen Drucks aus Washington den Geschäften jahrelang
tatenlos zusah. Bereits im Frühjahr 1984 hatte die »New
York Times«
Vorwürfe erhoben, durch die Lieferung von BRD-Firmen sei Irak
in
der Lage, Giftgas zu produzieren. Neben diesen Vorwürfen, die
ganz
offensichtlich von hohen US-amerikanischen Stellen lanciert wurden,
um die Bundesregierung nicht nur diplomatisch, sondern auch
öffentlich unter Druck zu setzen und zum Handeln zu bewegen, gab
es
weitere, eindeutige Hinweise.
Die britische BBC zitierte z. B. in einem Fernsehbericht westliche
Geheimdienste, wonach es sich bei einigen Anlagen im Irak klar um
Fabriken zur Herstellung von Chemiewaffen handelt. Auch hier wurden
ausdrücklich eine Reihe deutscher Firmen mit der Giftgasproduktion
des irakischen Regimes in Verbindung gebracht.
Doch erst im August 1990 wurde die Darmstädter Staatsanwaltschaft
aktiv und ließ sieben Personen aus dem Kreis der Firmen Karl
Kolb
und W.E.T. verhaften. Bemerkenswerterweise wurden mit dem
W.E.T.-Mitarbeiter Nazar Al-Kahdi und Peter Leifer zwei ehemalige
für den Bundesnachrichtendienst (BND) tätige Personen verhaftet.
Die Rollen des BND, seines ehemaligen Chefs Klaus Kinkel und auch
die von Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher sind in diesem
Zusammenhang äußerst dubios. Als der Chef der Rhein-Bayern
Fahrzeugbau, Anton Eyerle, wegen illegaler Lieferungen von
Raketenzündern und Gegenteilen zur Giftgasherstellung an den Irak
vor Gericht stand, luden seine Verteidiger den ehemaligen
Außenminister Genscher und Ex-BND-Chef Kinkel als Zeugen vor.
Diese
sollten bestätigen, daß die »vom BND angeleitete Firma
Telemit«, so
der Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom, »für etwa 100 Millionen
Mark zum Teil falsch deklarierte Rüstungsgüter mit Wissen
und
Erlaubnis der Bundesregierung an Saddam Hussein geliefert habe«,
die Bundesregierung über die zweifelhaften Geschäfte deutscher
Firmen also Kenntnis hatte und die betroffenen Firmen sich in dem
Glauben wähnten, die Rückendeckung offizieller Stellen zu
haben.
Doch obwohl z. B. die Telemit dem Auswärtigen Amt Dutzende Ersuchen
um die Unbedenklichkeit von Rüstungsexporten vorlegte, hatte
Genscher vor Gericht nur eine »blasse Erinnerung«. Und
der Beitrag
des amtierenden Außenministers zur Wahrheitsfindung bestand darin,
daß er erklärte, er könne nicht ausschließen,
das Wort Telemit
einmal gehört zu haben.
Möglich, daß nun durch einen Prozeß in Teheran den
Erinnerungen
deutscher Politiker und vor allem denen von Managern einiger
deutscher Firmen auf die Sprünge geholfen wird. In dem Prozeß
sollen der Tod von 10 000 Giftgasopfern, die Verletzungen weiterer
50 000 Menschen und die verhängnisvolle Rolle deutscher Firmen
behandelt werden. Damit würde unweigerlich ein düsteres Kapitel
deutscher Rüstungsexportpolitik und die Zusammenarbeit mit dem
irakischen Regime wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit
rücken. Und andere Aspekte in dem Prozeß der Wahrheitsfindung
als
»blasse Erinnerungen« dürften auch in den Vordergrund
treten.
Thomas W. Klein