Einigung zwischen den irakischen Kurdenführern
Vor einer gemeinsamen Aktion gegen Saddam Hussein?
(Reuters) Die beiden wichtigsten Kurdengruppen im Nordirak, die Patriotische
Union Kurdistans und die Demokratische
Partei Kurdistans, haben in Washington ein Friedensabkommen geschlossen.
Es sieht ein Ende der seit 1994 andauernden
Kämpfe zwischen den beiden Gruppen sowie Wahlen zu einer Regionalversammlung
vor.
vk. Limassol, 18. September
Nach den Angaben der beiden grossen Kurdenparteien im Nordirak enthält
das am Donnerstag in Washington geschlossene
Friedensabkommen alle wichtigen Elemente einer Versöhnung. Eine Erklärung
der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die sich mit den
sparsameren Erläuterungen des Chefs der Demokratischen Partei Kurdistans
(DPK), Barzani, deckt, führt einen Zeitplan zur
Wiederbelebung einer gemeinsamen Verwaltung der nordirakischen Kurdengebiete
an. Dazu zählt insbesondere die «Aufteilung der
Einkommen gemäss den Bedürfnissen der Bevölkerung»;
das war der wichtigste Grund für die erbitterten Kämpfe zwischen
der DPK und
der PUK vor allem im Sommer 1996 und Herbst 1997, welche über 3000
Todesopfer forderten. Die gemeinsame Regionalverwaltung und
ein Übergangsparlament sollen wiederbelebt werden. Es ist zudem geplant,
binnen eines Jahres Wahlen in Kurdistan durchzuführen. Auch
Bestimmungen über die Sicherung der Grenzen Kurdistans gegenüber
Iran, der Türkei, Syrien und den irakischen Regierungsgebieten sind
in der Vereinbarung enthalten. Laut Stimmen aus den beiden Kurdendelegationen
in Washington wurde ausgemacht, den türkischen
Kurdenkämpfern von Öcalans PKK jegliche Stützpunkte oder
Präsenz im Nordirak zu verunmöglichen. Wenn all das schon Wirklichkeit
wäre, so wären die überschwänglichen Reden Barzanis
und des PUK-Chefs Talabani von der Überwindung einer tristen Epoche
der
kurdischen Geschichte gerechtfertigt.
Abneigung gegen Autonomie
Doch können die Kenner der Lage keinen überzeugenden Grund dafür
ausmachen, dass sich die beiden verfeindeten Kurdenbrüder
ausgerechnet jetzt die Hand reichen sollten. Ihre gespielte Sorge um das
Wohl des Kurdenvolks und dessen Kriegsmüdigkeit hatten sie
selber unzählige Male verraten. Kurdistan ist durch seine schicksalshafte
Nachbarschaft zu einem immerwährenden Status der Halbheiten
verdammt, wo jeder immer sowohl die eine Lösung als auch ihr Gegenteil
praktiziert. Es ist nicht nur, wie ein skeptischer arabischer
Zeitungskommentar karikierend schrieb, «ein Spielfeld Bagdads und
zugleich auch Washingtons». Zu Kurdistan gehört auch die
ausgesprochene Abneigung in Ankara, Damaskus und Teheran gegen alles, was
nach substantieller Autonomie der irakischen Kurden
aussieht, weil das die kurdischen Bevölkerungsteile der Nachbarländer
gegen die Zentralgewalt aufzubringen droht.
Alle Zuschauer frohlockten, als sich schon im Mai 1992 die frischgebackenen
Autonomiebehörden nach den ersten Wahlen sofort wieder
entlang den Trennungslinien der beiden Grossparteien zu spalten begannen.
Obwohl Saddam Husseins Regime nicht für seinen Respekt vor
den Minderheitsrechten bekannt ist, wäre deshalb auf lange Sicht wohl
eine eingeschränkte kurdische Selbstverwaltung von Bagdads
Gnaden eine der stabilsten Regelungen. Vor allem infolge von Saddams Plünderfeldzug
nach Kuwait 1990 erlahmte der eiserne Griff der
irakischen Regierungskräfte zur Unterdrückung der Minderheiten.
Und die westlichen Verbündeten schufen durch ihre militärische
Drohung
eine Schutzzone für die Kurden im Norden. Die türkischen Streitkräfte
und die iranischen Revolutionswächter nutzten das wachsende
Machtvakuum im Nordirak teils durch direkte Einmischung, teils mittels
verbündeter Kurdenmilizen für ihre Zwecke aus. Auch die USA
richteten in Kurdistan eine Plattform für eine dem Westen zugewandte
irakische Opposition unter dem Dach des Irakischen
Nationalkongresses (INK) ein; dieser war in seinen besseren Tagen offen
auf den Sturz Saddams aus. Als sich jedoch im August 1996
Barzani mit den Sicherheitskräften des Regimes zusammentat, um die
Stadt Erbil von seinem Rivalen Talabani zurückzuerobern, mussten die
Amerikaner den ganzen aktiven Teil ihrer INK-Organisation evakuieren. Seither
sind von der amerikanischen Wühlarbeit nur noch die
entsprechenden Budgetposten im amerikanischen Kongress und ein Exilsender
der Opposition ersichtlich. Als wesentliche Entwicklungen im
Chaos kurdischer Bruderkämpfe im Nordirak stechen einerseits das Erstarken
der PKK und anderseits die wachsende Wahrscheinlichkeit
ins Auge, dass die Kräfte Bagdads schliesslich wieder die Oberhand
gewinnen.
Was gilt eine Verpflichtung der USA?
Barzani hat sich in den letzten Jahren eher auf die Seite Ankaras und Bagdads
geschlagen, Talabani hingegen auf diejenige Teherans. Eine
Konvergenz ihrer Interessen, welche den Handschlag in Washington herbeigeführt
hätte, ist kaum erkennbar. Deshalb nehmen viele ganz
einfach an, dass die Amerikaner aus ihren eigenen Interessen heraus einen
fetteren Lockvogel für die beiden Kurdenführer ausgesetzt haben.
Naheliegend ist die Vermutung, das Staatsdepartement habe eine entschlossene
Aktion gegen Saddams Regime angepriesen, welche von
Kurdistan als Basis auf irakischem Boden ausgehen sollte. Dass dafür
eine Verständigung der beiden Kurdenführer vonnöten ist,
versteht
sich von selbst. Doch war die amerikanische Golfpolitik, wie sich etwa
an den endlosen Krisen rund um die Uno-Abrüstungsinspektoren
ablesen lässt, wechselhaft und wird immer schmalbrüstiger. Ein
Seitenblick auf die Osloer Abkommen zwischen Israel und der
Palästinensischen Befreiungsbewegung, welche seinerzeit durch Präsident
Clintons Unterschrift garantiert wurden, lehrt, dass vom jüngsten
schriftlichen Engagement des Staatsdepartements zugunsten der Kurden nicht
allzuviel erwartet werden kann. Es ist demnach nicht
ausgeschlossen, dass Barzani und Talabani nach dem Einsammeln der Versöhnungsprämien
in Washington demnächst wieder in andern,
miteinander unvereinbaren Rollen auftreten.