DIE WELT, 19.9.1998
  Kurdenclans im Irak vereinen sich gegen Saddam
  Auf Druck der USA - Türkei mißtrauisch

  Von EVANGELOS ANTONAROS
  Athen - Vier Jahre lang haben sie sich blutig bekriegt - nun soll Frieden sein. Nach sechsmonatiger Vorbereitung und mit
  amerikanischer Vermittlung, die oft die Gestalt eines gar nicht so sanften Druckes annahm, haben die beiden wichtigsten
  Clanführer der kurdischen Bevölkerung im Nordirak per Handschlag die Überbrückung ihrer Differenzen vereinbart: Massud
  Barsani und Dschalal Talabani.

  Bei mehrtägigen Gesprächen unter der Aufsicht von US-Außenministerin Madeleine Albright einigten sich die Demokratische
  Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK) auf die Bildung einer Übergangsregierung. Freie Wahlen
  sollen im Sommer 1999 stattfinden.

  Dennoch bleiben die Hintergründe dieser schwierigen Aussöhnung unklar - der Wortlaut des vereinbarten Abkommens ist
  wohlweislich nicht veröffentlicht worden.

  Vermutlich hängt diese Geheimniskrämerei mit der Absicht der USA zusammen, die beiden wichtigsten Kurdengruppen in ein
  Bündnis gegen Iraks Diktator Saddam Hussein einzubinden. Sie verfügen gemeinsam über etwa 70 000 teilweise
  schwerbewaffnete Krieger (peshmerga).

  Die amerikanischen Behörden haben neuerdings einen Betrag von zehn Millionen Dollar zur Finanzierung der gegen Saddam
  gerichteten Pläne freigegeben. Ein Rundfunksender mit Sitz in Prag soll unter anderem versuchen, die irakische Bevölkerung gegen
  das Regime in Bagdad zu mobilisieren.

  Die Zuverlässigkeit der beiden kurdischen Gruppen als Partner des Westens im nordirakischen Unruheherd ist jedoch äußerst
  zweifelhaft. Seit der Einrichtung einer vom Westen garantierten Schutzzone im Nordirak nach dem Golfkrieg haben sie sich, von
  kurzen Unterbrechungen abgesehen, blutige Schlachten um Macht und Einnahmen aus dem illegalen Ölgeschäft mit der Türkei
  geliefert.

  Tausende von Kurden kamen bei den bisher schlimmsten Zusammenstößen im Sommer 1996 ums Leben, als Barsani und
  Talabani, jeder für sich, nach der ganzen Macht griffen. Talabani hatte sich mit Irans Mullahs verbündet; Barsani bat Bagdad um
  Hilfe und öffnete somit - zum erstenmal seit Ende des Golfkrieges - das Kurdengebiet der Armee Saddam Husseins.

  Die Folge: Innerhalb weniger Tage brach ein seit Jahren vom Westen mühsam aufgebautes Informations- und Spitzelnetz
  zusammen. Aus Angst vor irakischen Repressalien mußten Tausende von kurdischen Informanten in die Türkei zwangsevakuiert
  werden.

  Der Zusammenbruch des kurzlebigen kurdischen Teilstaates im Nordirak wurde nicht nur von Bagdad, sondern auch von der
  Türkei mit stillem Wohlwollen begrüßt. Und zwar nicht nur weil sich im Laufe der Zeit wegen des dort herrschenden
  Machtvakuums Gruppen der radikalkurdischen PKK eingenistet hatten. Ankara befürchtet zudem seit jeher, daß das Enstehen
  eines Kurdenstaates auch die eigenen geschätzt 15 Millionen Kurden auf ähnliche Ideen bringen könnte.

  Den Schulterschluß mit Barsani hat die Türkei von Anfang politisch kräftig ausgenutzt. Wann immer sie es für nötig hielten, durften
  Ankaras Generäle ihre Truppen jenseits der Grenze PKK-Kämpfer jagen lassen.

  Talabani seinerseits behauptet, dahinter stecke Absicht: Nach jeder Aktion würden immer türkische Geheimagenten
  zurückbleiben, die die inzwischen größeren Landstriche im Nordirak kontrollieren würden. Langfristig plane die Türkei die
  Einverleibung dieser Gebiete. Ankara weist solche Behauptungen regelmäßig als "Unsinn" zurück.

  Aber noch vor Bekanntgabe der Vereinbarung zwischen Barsani und Talabani hatte sich ein Sprecher des Außenministeriums in
  Ankara gegen eine "autonome kurdische Behörde im Nordirak als Dauereinrichtung" gewandt. Vermutlich mit Rücksicht auf
  Ankaras Sicherheitsvorstellungen haben die beiden Kurdenchefs unter anderem ausdrücklich vereinbart, daß sie der PKK künftig
  im Nordirak "absolut keine Bewegungsfreiheit" gewähren wollen.