junge Welt    23.09.1998

       Türkische Führung verschärft den Terror
       Druck auf Istanbuler Samstagsmütter nimmt nach PKK-Waffenruhe zu

       Die Polizeiaktion gegen die türkischen Samstagsmütter vom vergangenen Wochenende sorgt immer noch für Aufsehen. Die 175. Protestaktion der
       Frauen in Istanbul am 19.September war von den Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst worden, bevor die wöchentliche Protesterklärung
       verlesen werden konnte. 22 Personen wurden verhaftet. Seit mehr als drei Jahren protestieren die Istanbuler Samstagsmütter, die Angehörigen der
       Verschwundenen in der Türkei, jeden Samstag auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul. Sie fordern die Rückkehr ihrer Angehörigen und Ermittlungen
       gegen die Verantwortlichen für das »Verschwindenlassen«.

       Von Anfang an waren die Samstagsmütter immer wieder den Repressionen des türkischen Staates ausgesetzt. »Es ist schon passiert, daß ich auf
       der Polizeiwache so verprügelt wurde, daß ich am ganzen Körper blaue Flecken hatte«, äußerte Emine Ocak, eine der Istanbuler Samstagsmütter,
       gegenüber jW. »Sie können mich einsperren und schlagen, so oft sie wollen. Trotzdem werde ich jeden Samstag wiederkommen. So lange, bis die
       Verantwortlichen am Tode meines Sohnes zur Rechenschaft gezogen werden.« Die Familie Ocak initiierte mit Unterstützung des türkischen
       Menschenrechtsvereins IHD und Angehörigen anderer Verschwundener die wöchentlichen Sitzstreiks, nachdem Hasan Ocak nach seiner
       Verhaftung spurlos verschwand und seine Leiche 55 Tage später gefunden wurde.

       Seitdem der Vorsitzende der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, der türkischen Regierung eine bedingungslose Waffenruhe, die am
       1. September in Kraft trat und von der Guerilla auch eingehalten wird, vorschlug, haben sich die Repressionen des türkischen Staates
       bezeichnenderweise verschärft. Eine Reihe von Parteien und Organisationen - darunter auch die Samstagsmütter - unterstützten diese
       Friedensinitiative in einem Aufruf. Darauf folgte eine Welle von Verhaftungen Oppositioneller. Fast 250 Angehörige und Unterstützer der
       Samstagsmütter wurden seit dem 15. August bei den wöchentlichen sit-ins festgenommen, manche von ihnen sogar schon auf dem Weg zum
       Galatasaray-Platz.

       Birgit Gärtner, Istanbul