Hamburg, 2. Okt. ‘98
Die Samstags-Mütter gehen keinen Schritt zurück
 

26. September 1998, Istanbul. Alle, die an der 176. Kundgebung der Samstags-Mütter teilnehmen werden verhaftet. Die Frauen werden geschlagen und an den Haaren zu Polizeitransportern geschleift. In einen Gefangenentransportbus, in dem 30 Frauen Parolen wie „Die Menschlichkeit siegt über die Folter“ rufen, werfen Polizisten Tränengaspatronen.
 

Seit mehr als drei Jahren protestieren die Samstags-Mütter, die Angehörigen der Verschwundenen in der Türkei jeden Samstag auf dem Galatasary-Platz in Istanbul. Sie fordern die Aufklärung über den Verbleib ihrer Angehörigen und daß die Verantwortlichen für das „Verschwindenlassen“ zur Rechenschaft gezogen werden. Von Anfang an waren die Samstags-Mütter immer wieder massiven Repressionen des türkischen Staates ausgesetzt. Durch ihre Ausdauer und ihren großen Mut gelang es den Müttern, sich international Gehör zu verschaffen. Eine Zeitlang setzte das türkische Regime seine direkten Angriffe auf den Protest der Mütter aus. Aber mit großem Polizeiaufgebot wurde immer die Drohung aufrecht erhalten, die Mütter und Angehörigen von der Straße zu prügeln.
Seit dem 15. August greifen die Sicherheitskräfte die Samstags-Mütter wieder jeden Samstag an. Die Protestaktion konnte seitdem nicht mehr durchgeführt werden. Mal wurden die Mütter schon auf dem Weg zum Galatasary-Platz festgenommen, mal griff die Polizei direkt nach Beginn des Protestes die Versammelten an. Immer wurden die Protestteilnehmerinnen geschlagen, mißhandelt und für 2-3 Tage inhaftiert. Einige der Mütter haben im Laufe der letzten zwei Jahre mehr als 100 Tage in Haft verbracht, ohne jemals vor einem Gericht gestanden zu haben. Anwälte versuchen derzeit mit einer Sammelklage auf diese ungesetzliche Praxis hinzuweisen. Unter diesen Umständen das ohnehin schwierige alltägliche Leben zu organisieren, ist nahezu unmöglich. Trotzdem setzen die Mütter ihren Protest fort und trotzen dem staatlichen Terror. Es gilt für sie die Losung der argentinischen Mütter der Plaza de Mayo, die mit ihrem Kampf um ihre Kinder der argentinischen Militärdiktatur zum Zusammenbruch verhalfen. Ihre Losung heißt:
NI UN PASO ATRÁS - KEINEN SCHRITT ZURÜCK !
Je mehr der Verantwortliche für das Verschwindenlassen in Untersuchungshaft, die Hinrichtungen auf offener Straße, Folter und Unterdrückung seine Maske fallen läßt und darunter sein Mördergesicht zum Vorschein kommt, desto skrupelloser wird er in seinen Angriffen. Die Angriffe auf die Samstags-Mütter spiegeln  exakt den Charakter des zur Mafia gewordenen Staates wider. Der Vorsitzende des Istanbuler Menschenrechtsvereins, Ercan Kanar, sagte dazu: „Derselbe Staat, der rote Pässe (Diplomatenpässe) an faschistische Banden austeilt, kann es nicht ertragen, daß die Samstags-Mütter nach ihren Kindern suchen.“

Wir protestieren auf das Schärfste gegen die faschistischen Angriffe auf die Samstags-Mütter und werden solange, wie sie Rechenschaft über den Verbleib ihrer Angehörigen fordern müssen, an ihrer Seite sein. Wir sehen mit großer Sorge den kommenden Samstagen entgegen und fordern die Öffentlichkeit auf, gegen die erneut zu befürchtenden Angriffe und Festnahmen Stellung zu beziehen.

Hamburger Komitee zur Unterstützung der Samstags-Mütter in der Türkei und Kurdistan