26. September 1998, Istanbul. Alle, die an der 176. Kundgebung der Samstags-Mütter
teilnehmen werden verhaftet. Die Frauen werden geschlagen und an den Haaren
zu Polizeitransportern geschleift. In einen Gefangenentransportbus, in
dem 30 Frauen Parolen wie „Die Menschlichkeit siegt über die Folter“
rufen, werfen Polizisten Tränengaspatronen.
Seit mehr als drei Jahren protestieren die Samstags-Mütter, die
Angehörigen der Verschwundenen in der Türkei jeden Samstag auf
dem Galatasary-Platz in Istanbul. Sie fordern die Aufklärung über
den Verbleib ihrer Angehörigen und daß die Verantwortlichen
für das „Verschwindenlassen“ zur Rechenschaft gezogen werden. Von
Anfang an waren die Samstags-Mütter immer wieder massiven Repressionen
des türkischen Staates ausgesetzt. Durch ihre Ausdauer und ihren großen
Mut gelang es den Müttern, sich international Gehör zu verschaffen.
Eine Zeitlang setzte das türkische Regime seine direkten Angriffe
auf den Protest der Mütter aus. Aber mit großem Polizeiaufgebot
wurde immer die Drohung aufrecht erhalten, die Mütter und Angehörigen
von der Straße zu prügeln.
Seit dem 15. August greifen die Sicherheitskräfte die Samstags-Mütter
wieder jeden Samstag an. Die Protestaktion konnte seitdem nicht mehr durchgeführt
werden. Mal wurden die Mütter schon auf dem Weg zum Galatasary-Platz
festgenommen, mal griff die Polizei direkt nach Beginn des Protestes die
Versammelten an. Immer wurden die Protestteilnehmerinnen geschlagen, mißhandelt
und für 2-3 Tage inhaftiert. Einige der Mütter haben im Laufe
der letzten zwei Jahre mehr als 100 Tage in Haft verbracht, ohne jemals
vor einem Gericht gestanden zu haben. Anwälte versuchen derzeit mit
einer Sammelklage auf diese ungesetzliche Praxis hinzuweisen. Unter diesen
Umständen das ohnehin schwierige alltägliche Leben zu organisieren,
ist nahezu unmöglich. Trotzdem setzen die Mütter ihren Protest
fort und trotzen dem staatlichen Terror. Es gilt für sie die Losung
der argentinischen Mütter der Plaza de Mayo, die mit ihrem Kampf um
ihre Kinder der argentinischen Militärdiktatur zum Zusammenbruch verhalfen.
Ihre Losung heißt:
NI UN PASO ATRÁS - KEINEN SCHRITT ZURÜCK !
Je mehr der Verantwortliche für das Verschwindenlassen in Untersuchungshaft,
die Hinrichtungen auf offener Straße, Folter und Unterdrückung
seine Maske fallen läßt und darunter sein Mördergesicht
zum Vorschein kommt, desto skrupelloser wird er in seinen Angriffen. Die
Angriffe auf die Samstags-Mütter spiegeln exakt den Charakter
des zur Mafia gewordenen Staates wider. Der Vorsitzende des Istanbuler
Menschenrechtsvereins, Ercan Kanar, sagte dazu: „Derselbe Staat, der rote
Pässe (Diplomatenpässe) an faschistische Banden austeilt, kann
es nicht ertragen, daß die Samstags-Mütter nach ihren Kindern
suchen.“
Wir protestieren auf das Schärfste gegen die faschistischen Angriffe auf die Samstags-Mütter und werden solange, wie sie Rechenschaft über den Verbleib ihrer Angehörigen fordern müssen, an ihrer Seite sein. Wir sehen mit großer Sorge den kommenden Samstagen entgegen und fordern die Öffentlichkeit auf, gegen die erneut zu befürchtenden Angriffe und Festnahmen Stellung zu beziehen.
Hamburger Komitee zur Unterstützung der Samstags-Mütter in
der Türkei und Kurdistan