Istanbul (taz) - In ungewöhnlich scharfer Form haben sich in den
letzten Tagen der türkische Staatspräsident Demirel und der Generalstabschef
der türkischen Armee, Hüseyin Kivrikoglu, gegenüber Syrien
geäußert. Demirel sagte in seiner Rede zur Eröffnung des
türkischen Parlaments nach der Sommerpause: „Unsere Geduld mit Syrien
ist am Ende, die diplomatischen Mittel sind erschöpft.“ Kivrikoglu
sprach gar von einem „unerklärten Krieg“ zwischen beiden Ländern.
Während das Außenministerium Kriegsvorbereitungen bestreitet,
berichten die türkischen Medien von geplanten Truppenverstärkungen
an der syrischen Grenze von bis zu 10.000 Mann. Zur Zeit fliegt die türkische
Luftwaffe verstärkte Tiefflugpatrouillen entlang der Grenze. Für
die türkische Armee ist eine generelle Urlaubssperre verhängt
und Alarmbereitschaft angeordnet worden. Am Samstag schaltete sich der
ägyptische Staatspräsident Mubarak ein, um einen drohenden militärischen
Schlag noch zu verhindern. In Rahmen einer Shuttle- Diplomatie besuchte
Mubarak gestern zuerst Damaskus und heute Ankara.
Offizieller Anlaß für die türkische Drohkulisse gegenüber
Damaskus ist die anhaltende syrische Unterstützung der kurdischen
Arbeiterpartei PKK. Ankara hatte in der letzten Woche seinen Botschafter
für drei Tage zurückbeordert und ihn dann mit einem offiziellen
Auslieferungsbegehren für PKK-Chef Abdullah Öcalan nach Damaskus
zurückgesandt. Eine syrische Reaktion auf diese Forderung steht noch
aus, bislang hat der syrische Außenminister lediglich erklärt,
sein Land sei bereit, alle Probleme diplomatisch zu lösen.
Offenbar glauben die türkischen Militärs das nicht mehr.
Im Juli hatte Ankara einen diplomatischen Anlauf gemacht und Syrien eine
Charta vorgeschlagen, in der - ohne die PKK namentlich zu erwähnen
- Lösungen für die Probleme zwischen den beiden Ländern
vorgeschlagen wurden. Dabei ging es um das Euphrat-Wasser, diverse
Grenzsteitigkeiten und ein Abkommen über die Bekämpfung des Terrorismus.
Syrien hat darauf nicht reagiert.
Nach dem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Yilmaz
in Israel vor drei Wochen, wobei sicher über die gemeinsamen Probleme
mit Syrien gesprochen wurde, glauben die türkischen Militärs
jetzt offenbar, genug Rückendeckung zu haben, um Syrien massiv militärisch
unter Druck setzen zu können. Auch jetzt sind die israelischen Reaktionen
uneindeutig. Während Verteidigungsminister Mordechai seine Truppen
angewiesen hat, die Routineaktivitäten entlang der syrischen Grenze
zu reduzieren, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, Israel sei mit
der Türkei zu einer gemeinsamen Aktion angetreten, wird Netanjahu-Berater
Bar Ilan mit verständnisvollen Worten für die türkische
Aggression zitiert.
Aktueller Anlaß für die jetzige Krise war, daß Syrien
das Wasser des kleinen Flusses Asi, der die türkische Region Hatay
bewässert, die zwischen beiden Ländern umstritten ist, umgeleitet
hat. Die türkischen Medien und die meisten Parteien unterstützen
offen das Vorgehen gegen Syrien. Lediglich die islamische Fazilet-Partei
hat den Kriegskurs kritisiert und darauf hingewiesen, daß das Regime
in Ankara offenbar von seinen Problemen mit der Verstrickung in Mafia-Aktivitäten
ablenken will.
Jürgen Gottschlich