Spannungen zwischen Syrien und der Türkei
Der Funke am Pulverfaß
Von FRANK HERRMANN
Ankara/Damaskus - Der Konflikt war programmiert: Seit Jahren knistert
es zwischen Syrien und der Türkei. Nun droht eine Eskalation.
Der türkische Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu sprach von
„Krieg“. Regierungschef Mesut Yilmaz sagte, die Militärs warteten
auf den Befehl zum Angriff. Ägyptens Präsident Husni Mubarak
eilte jetzt als Vermittler in die Region.
Der Funke, der das Pulverfaß zum Explodieren bringen könnte,
ist der türkische Ärger darüber, daß Syrien die Kurdische
Arbeiterpartei PKK unterstützt. Deren Vorsitzender Abdullah „Apo“
Öcalan lebt in Damaskus. Zwar hat die syrische Regierung dies immer
bestritten, aber Zeitungen in Ankara veröffentlichten sogar die mutmaßliche
Wohnadresse.
Dabei hegt Syrien keinerlei Sympathien für die Kurden. Ein kurdischer
Staat im Osten Anatoliens paßt Damaskus nicht ins Konzept, denn dann
müßte es einen Dominoeffekt fürchten. Im Norden und
Nordosten Syriens leben mehr als eine Million Kurden. Etliche von ihnen
gelten offiziell als staatenlos und haben noch weniger Rechte als ihre
Blutsbrüder in der Türkei.
Vielmehr handelt der syrische Präsident Hafis el-Assad nach der
orientalischen Devise: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Aus
seiner Sicht ist die PKK ein Faustpfand. Er will sie erst dann opfern,
wenn Ankara auf seine Forderungen eingeht.
Wichtigster Zankapfel ist der Euphrat. Der Fluß entspringt in
der Türkei, fließt durch Syrien und Irak und mündet in
den Persischen Golf. Ein völkerrechtliches Abkommen über die
Aufteilung des Euphratwassers gibt es nicht - gerade das macht den Streit
so gefährlich. 1987 erhielt Damaskus nur eine mündliche Zusage
Ankaras, nach der pro Sekunde 500 Kubikmeter über die Grenze fließen.
Doch je mehr die als Jahrhundertprojekt gefeierte türkische Staudammkaskade
GAP am Oberlauf des Euphrat Gestalt annimmt, desto tiefer werden die Sorgenfalten
in Damaskus und Bagdad. Die stromab gelegenen Anrainer fürchten, daß
ihnen eines Tages der Hahn zugedreht wird. 2010 soll das GAP-Projekt vollendet
sein. Nach Schätzungen dürfte dann ein Drittel weniger über
die türkisch-syrische Grenze fließen. Irak könnte sogar
vier Fünftel des Zuflusses verlieren.
Umstritten ist auch der Status der Mittelmeerprovinz Hatay. Auf Betreiben
Frankreichs und Großbritanniens wurde sie vor dem Zweiten Weltkrieg
von Syrien abgetrennt und der Türkei zugeschlagen. Doch Damaskus hat
sich nie mit dem Verlust der mehrheitlich von Arabern bewohnten Provinz
abgefunden.
Obwohl es nicht an Zündstoff mangelte, köchelte der Konflikt
jahrelang auf Sparflamme. Einen Krieg, so hieß es, würden
die Streithähne nicht riskieren, weil keiner ihn gewinnen könnte.
Nun aber hat sich die Kräftebalance geändert. Vor zwei Jahren
schloß die Türkei mit Israel ein Abkommen über militärische
Zusammenarbeit. Seitdem schälen sich immer deutlicher die Umrisse
eines neuen Bündnisses im Nahen Osten heraus. Syrien begreift die
Allianz als akute Bedrohung.