Aus: Kurdistan-Rundbrief, Nr. 20, Jg. 11, 7.10.1998
 

Wenn eine Frau anfängt zu reden ...

Interview mit Sükran Esen, in „Özgür Politika“ vom 11.7.1998

Was war der Grund für Ihre erste Festnahme?
Am Abend vor meiner ersten Festnahme gab es in der Nähe unseres Dorfes Auseinandersetzungen (zwischen PKK-Guerilla und dem Militär d.Red.).  Gegen Morgen wurde das Dorf von Soldaten umzingelt. Alle Dörfler wurden auf den Schulhof getrieben. Zum Schluß kamen sie zu unserem Haus. Als sie kamen, lag ich krank im Bett. Sie installierten auf unserem Dach eine Flugabwehrrakete und niemand durfte das Haus verlassen. Noch nicht einmel meine sieben Jahre alte Schwester durfte draußen auf’s Klo.

Was geschah dann?
Sie durchwühlten das gesamte Haus. Dann schlugen sie mich und wollten von mir das Geständnis erzwingen, daß ich den Abend zuvor das Feuer auf sie eröffnet hätte. Ich sagte Ihnen, daß ich wegen meiner Krankheit kaum aus dem Bett gekommen sei, aber sie wollten mir nicht glauben. Dann fragte ich, warum sie uns nicht auf den Schulhof gebracht hätten, obwohl sie doch alle Dorfbewohner dort versammelt hätten. Sie hätten ja sogar die Frauen aus dem Wochenbett geholt und niemanden in den Häusern gelassen.

Hatten sie zu dem Zeitpunkt eine Ahnung was passieren könnte?
Sie waren zu Hause über mich hergefallen, dachte aber, daß es damit genug sei. Ich ging zu den anderen Dorfbewohnern und setzte mich zu ihnen. Sie (die Soldaten d.Red.) gingen um unsere Menge herum und fragten immer nach meinem Namen. Und während sie immer wieder meinen Namen riefen, warteten sie. Aber ich meldete mich nicht. Weil ich meinen Personalausweis nicht dabei hatte und ich in der Menge der Dorfbewohner etwas unterging, hoffte ich, daß sie mich vergessen würden. Während mir das durch den Kopf ging, behaupteten sie, ich hätte mich ihnen widersetzt und wollte nun hier untertauchen. Damit versuchten sie in die Menge einzudringen. Ich wollte ihnen noch sagen, daß ich nichts getan hätte, weshalb ich mich hier verstecken müßte, aber sie gaben mir dazu nicht mehr die Möglichkeit sondern schlugen mich mit den Worten „Das hier ist die Terroristin“ und verbanden mir die Augen. Ich widersprach immer wieder ihren Anschuldigungen, weil ich mir nichts zu Schulden hatte kommen lassen. Die erste Ohrfeige, die sie mir als Antwort darauf gaben, schlug mir drei Zähne aus.

Wollten sie einen Schuldigen suchen und wählten Sie dafür aus?
Auf jeden Fall! Danach brachten sie mich wieder nach Hause. Sie durchsuchten jeden Winkel im Haus und Stall. Aber sie fanden natürlich nichts. Dann führten sie mich wieder vor die Dorfbewohner. Der Offizier griff vor den Augen aller in meine Haare und stieß meinen Kopf ein paar Mal gegen den Panzer. Dabei sagte er immer wieder „Du hast auf uns gefeuert.“ Dann stießen sie mich in den Panzer. So brachten sie mich irgendwo hin. Ich bemerkte nur, daß es eine Polizeistation gewesen sein mußte. Sofort nachdem sie mich hineingebracht hatten, zogen sie mich splitternackt aus. Sie begannen, mich zu schlagen. Sie fragte mich etliche Fragen wie: „Zu wem kommen die Guerilla im Dorf, was machst Du im Dorf, wer von Euch im Dorf ist in die Berge gegangen, wie heißen die?“. Ich sagte „Ich habe keine Ahnung.“ Bis morgens vier Uhr ließen sie mich so splitternakt.

Wissen Sie wohin man Sie gebracht hatte?
Das war in Derik. Ich wußte, daß sie dort laufend foltern.

Können sie bitte fortfahren?
Um 4.00 Uhr morgens haben sie mich dann so nackt wie ich war wie zu einer zwei gefaltet in einen Reifen gesteckt. Sie nahmen einen Stock in ihre Hand und sagten, daß sie mich damit vergewaltigen wollten, wenn ich nicht mit dem von ihnen Gesagtem einverstanden wäre. Einer sagte wortwörtlich:“Entweder Du bejahst oder wir stecken Dir diesen Stock so in Dein Genitalorgan hinein, daß er Dir zum Mund wieder rauskommt.“
Sie stießen den Stock in mich hinein und ließen ihn dort stecken. Dann bespritzten sie mich mit kaltem Wasser. Ungefähr eine halbe Stunde verblieb ich so mit Stock in mir bis ich vor Schmerz ohnmächtig wurde.  Soweit ich mich erinnern kann waren vier Leute um mich herum. Als ich zu mir kam war es Morgen geworden. Ich schrie und sie fragten mich, was passiert sei. Dann wurde ich wieder ohnmächtig. Als ich meine Augen aufschlug, hatten sie zwei Ärzte geholt. Ich erinnere mich daran, daß ein Arzt sagte:“ Was ist das für eine grausame Art und Weise. Was wollt Ihr denn bloß tuen? Solchen jagt doch eine Kugel in den Kopf; so hat sie es hinter sich und ihr seid sie loß.“

Die zweite Vergewaltigung
Sie ließen mich noch eine Nacht in Ruhe. Gegen Morgen wurde ich in ein Zimmer gebracht. Meine Augen waren verbunden und ich konnte nicht sehr viel erkennen, aber ich erahnte in dem Zimmer einige Sessel und einige Personen. Sie sagten zu mir ‘steh auf’ und warfen mich dann von hinten zu Boden. Dann hoben sie mich hoch und entkleideten mich. Meine Augen waren verbunden, aber ich erkannte am Teppich und an den Sachen, daß sie mich in ein normales Zimmer gebracht hatten. Danach vergewaltigte mich jemand mit seiner Hand. Ich weiß noch, daß ich große Schmerzen währenddessen hatte, aber an den Rest erinnere ich mich nicht mehr.  Bis zum Abend kam ich nicht mehr zu mir. So ließen sie mich auch an dem Tag dann in Ruhe.
Am zweiten Tag brachten sie mich nachts zu später Stunde mit verbundenen Augen woanders hin. Dort folterten sie mich auf andere Art und Weise. Nachdem sie mich mit kalten Wasser bespritzten, mir Eletroschocks gaben, in den Reifen steckten, mich auf palästinensiche, gerade und mit dem Kopf nach unten aufgehangen hatten wurde ich noch von zwei Personen vergewaltigt.

Haben Sie über die Vergewaltigungen geredet?
Als ich das erste Mal zum Arzt und zum IHD (InsanHalklari Dernegi/Menschenrechtsverein d.Red.) konnte ich über die Vergewaltigungen nicht reden.
In Kiziltepe ließen sie mich frei.
Ich ging zum Arzt und dann nach Hause.
 

Wie wurden Sie das zweite Mal inhaftiert?
Es war im März 1994. Sie kamen nur mit einem, der mit der Polizei zusammenarbeitete. Als ich sie kommen sah, lief ich aus dem Haus und lief unter das Dorf in ein Wäldchen und versteckte mich dort. Als sie mich nicht fanden verwüsteten sie alles und gingen weg. Abends kehrte ich nach Haus zurück und am nächsten Morgen in der Frühe kamen sie wieder. Alle wurden in der Dorfmitte nach Frauen, Männern und Kindern gruppiert zusammengetrieben. Wieder suchten sie mich heraus.  Derjenige, der mich herauspickte war der Offizier aus Derik.

Was haben sie mit den anderen Frauen/Mädchen Ihres Alters gemacht?
Den anderen haben sie nichts getan. Während sie behaupteten, ich wäre angezeigt worden und ich wäre eine Terroristin, banden sie mir die Hände und verbanden meine Augen. Mit den drei Dorfbewohnern Sinan Erdem, Mehmet Can und Metin wurde ich nach Derik gebracht. Einer von ihnen wurde später von Sicherheitskräften entführt und ermordet.
Im Garten dieses Zentrums nahmen sie mir die Augenbinde ab. Ich konnte nichts richtig erkennen und mir war schwindelig. Sie forderten mich auf:“Flieh!“. Ich blieb stehen. Ich wußte, daß sie mich beim Fluchtversuch erschossen hätten. So sehr sie mich auch drängten, ich floh nicht. Sie schlugen mit dem Schaft der Waffe auf mich ein. Vom oberen Stockwerk steckte jemand derweil seinen Kopf aus dem Fenster und rief zu den unten Stehenden:“Diese Terroristin bringt mal zu mir, ich hab was mit der zu tuen.“ Indem sie mir die Augen verbanden brachten sie mich herein. Die ganze Folter, die ich beim erstenmal erlebte, erlitt ich wieder.
Sie vergewaltigten mich körperlich mit dem Gummi- und Schlagstock.  Nachdem ich dort acht Tage inhaftiert war, ließen sie mich ohne Gerichtsverhandlung frei.
Als ich raus kam waren meine Füße dick und ich konnte kaum gehen. Von einigen Bekannten wurde ich zum Arzt gebracht. Nach zwei Monaten hörte ich, daß sie mich erneut suchten. Ich hatte Angst, ins Dorf zu gehen.  Ich blieb bei Verwandten und Bekannten. Ich hatte ständig Angst, erneut verhaftet und vergewaltigt zu werden.
Es war drei Tage nachdem ich wieder im Dorf war...
Nachdem ich rund sechs Monate nicht im Dorf war, erreichte mich die Nachricht meiner Mutter, daß ich nun heimkehre könne. Als ich ins Dorf kam, sahen mich einige Leute. Es war nun der dritte Tag nach meiner Rückkehr ins Dorf. In der Nähe des Dorfes gab es im Gebiet nahe des Dorfes eine heftige militärische Auseinandersetzung. Morgens früh sperrte das Militär das Gebiet ab und ich versteckte mich mit einigen Dorfbewohnern im Stall unterm Haus. Die Soldaten, Spezialkräfte und Dorfwächter, die in Richtung unseres Dorfes kamen, fanden uns dort.  Der Kommandant, der mich festnahm, sagte zu mir: „Wir haben dich oben gesucht, aber auf der Erde gefunden“, und er sagte mir, daß er wußte, daß ich seit drei Tagen ins Dorf zurückgekehrt sei. Er schleifte mich an den Haaren auf den Boden und fing an, mich zu schlagen. Piro (jemand, der drei Monate später von zu Hause entführt wurde und in der Nähe des Dorfes ermordet wurde), wurde ebenfalls geschlagen, weil er Partei für mich ergriff. Sie banden ihm ein Seil um sein Genitalteil und zogen ihn hinter sich her. Während sie mich schlugen warf sich ein Älterer, der dem nicht zusehen konnte, auf mich, um mich zu schützen.  Sie schlugen ihn mit dem Schaft des Gewehres und er wurde bewußtlos.  Meine Mutter folterten sie an einem anderen Platz. Sie drohten mir, meine kleinen beiden Schwestern zu vergewaltigen, weil ich nicht zugeben würde, daß ich seitens der PKK vergewaltigt worden wäre.  Darauf sagte ich, daß ich für alles verantwortlich sei. Sie nahmen mich und brachten mich etwas weiter weg. Dort ließen sie mich mit zwei Dorfwächtern zurück. Einer der Dorfwächter drohte mir, er würde mich auf jeden Fall töten. Als ich darüber nachdachte, sagte ich dem Alten mit Namen Haci, den sie zuvor gefoltert hatten noch schnell: „Sie werden mich bestimmt töten, sie haben mich vorher schon in der Haft vergewaltigt. Wenn sie mich töten, solltest Du das wissen und die Schuldigen zur Verantwortung ziehen.“ Sie warfen mich zwischen die Trümmer verbrannter Häuser und Hölzer. Mit Gläsern schütteten sie mir Salz in den Mund und stocherten danach mit dem Holzlöffel solange, bis ich alles runtergeschluckt hatte. Sie brachte mich in die Nähe von Wasser und behindeten mein Trinken. Die Folter dauerte Stunden an.  Die, die mich folterten, waren der Oberst und andere von militärischem Rang. Sie meinten, daß sie mich ein drittes Mal micht mehr laufen lassen würden und auf jeden Fall ermorden würden. Danach brachte der Oberst mich in einen Stall und vergewaltigte mich. Dann sagte er den anderen Soldaten, die dort waren „Ihr habt freie Hand!“ und ließ sie auf mich drauf. Grausam behandelten sie mich. Viele von denen, die mich vergewaltigten, hatten ihr Gesicht zugedeckt. Ich weiß nicht wieviele sich auf mich warfen, denn nach dem vierten wurde ich ohnmächtig. (...)
Als ich wieder zu mir kam, fragte der Oberst mich wieder: Gibst Du nun zu, daß die PKK’s Dich vergewaltigt haben?“. Ich dachte sie würden mich nun deshalb töten und hatte sogar den Wunsch, zu sterben. Als ich ihnen sagte, daß sie mich vergewaltigt hätten, schossen sie um mich herum. Als das Magazin leer war, schlugen sie mit dem Schaft auf meinen Kopf. Ich erinnere mich nur noch daran, wie sie begannen, mich zu schlagen.
Sie ließen mich so liegen und gingen weg. Nach neun Tagen schlug ich die Augen im städtischen Krankenhaus zu Mardin auf. 48 Tage behandelten sie mich dort. Sie hatten mir viele Knochen gebrochen.  Meine Gebärmutter war kaputt. Als Folge der Schläge war ein Riß im Schädel entstanden.

Wußten die Ärzte im Mardiner Krankenhaus, was passiert war? Wie verhielten sie sich?
Sie fragten mich. Ich sagte ihnen, daß das die Soldaten waren.
Daraufhin hatten sie Angst und schrieben mir nur ein Attest.

Was haben Sie gemacht, als Sie aus dem Krankenhaus entlassen wurden?
Ich wurde von Verwandten nach Izmir gebracht. Dort bin ich zum IHD(Menschenrechtsverein) gegangen. Ich bin in der Stiftung zur Behandlung und Rehabilitation des Menschenrechtsvereins überwiesen worden und wurde dort behandelt.
Meiner Mutter ging es auch wegen der erlittenen Folter schlecht. Die Spezialkräfte hatten ihr ihre Kleider angezogen und so eine Woche lang durch die Dörfer geschleppt und stark gefoltert. Sie schlugen ihr Zähne aus. Das, was sie ihr angetan hatten, erzählte sie nur mir. Ich weiß, daß, wenn sie nach einer Weile fähig ist, über ihr Schicksal zu berichten, es keinen Unterschied zwischen dem von ihr und mir Erlittenen gibt. Sie ist nach wie vor in der Türkei. Ich habe Angst, daß sie ihr etwas antuen. Meine Familie leidet nun -wie viele andere auch - in den türkischen Metropolen unter der Verfolgung des Staates.

Wann kamen Sie nach Deutschland?
Im November 1997

Haben Sie der Europäischen Menschenrechts Kommission berichtet?
Der türkische Menschenrechtsverein hat sich um die Anträge gekümmert; bei der Kommission wurde mein Antrag eingereicht. Zunächst muß jedoch ein Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft in Mardin eingebracht werden. Man sagte mir, daß zunächst der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft werden muß.

Wenn Sie nach dem ersten Mal schon über ihre Vergewaltigung geredet hätten, hätten sie die darauffolgenden vielleicht verhindern können?
Ich hatte Angst. Ich habe zwei Geschwister, die zu der Zeit 7 und 13 Jahre alt waren. Sie drohten mir bei der zweiten Festnahme an, auch sie zu vergewaltigen. Ich hätte niemals erlaubt, daß ihnen auch etwas passiert. Für sie habe ich geschwiegen ...

Wie geht es Ihnen jetzt.
Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich sofort die gleichen Bilder.  Ohne Beruhigungsmitttel kann ich nicht schlafen. Ich habe Angst vor Menschen. Wenn z.B. in Med TV eine ernste Musik gespielt wird, muß ich weinen.

Sie sagten zu Anfang, daß es noch andere Frauen  gäbe. Müßte man nicht auch deren Schicksal zur Sprache bringen?
Ich kenne eine ganze Menge solcher Frauen. Ich weiß die Namen, aber ich denke, daß es besser ist, wenn diese Frauen selbst darüber sprechen. Bei dem dritten Überfall wurden noch zwei andere Frauen vergewaltigt. Sie haben Angst, über die Vergewaltigung zu reden. Erste Reaktionen auf die Veröffentlichung meines Schicksals waren sogar, daß einige sagten: Du hast unsere Ehre beschmutzt.“. Als das ganze dann so schlimm endete, baten mich einige , die das gesagt hatten, sogar um Entschuldigung.
Ich rufe diese dazu auf: Indem sie solche Verbrechen zu vertuschen versuchen, geben sie dem türkischen Staat und der Armee einen Freibrief dafür.
Ich meine, daß diese Vergewaltigungen in Kurdistan keine
Einzelschicksale sind. Im Grunde werden sie am ganzen Volk verübt. Bis zum Schluß werde ich versuchen mein Recht zu bekommen.

Können Sie eines Tages das alles vergessen?
Wie kann ich das vergessen. Jeden Tag erlebe ich das gleiche. Ich hasse diese Leute, die mir das angetan haben.