junge Welt
Ausland
07.10.1998
-----------------------------------
Wovon will Ankara ablenken?
Die Türkei schmiedet ein Kriegsbündnis - nicht nur gegen
Syrien
-------------------------------------------------------------------
Ausgerechnet der in solchen Fragen bis dato eher zurückhaltende
türkische Staatspräsident Süleyman Demirel fachte am vergangenen
Donnerstag den seit einer Ewigkeit schwelenden Streit mit dem syrischen
Nachbarn wieder an. Vor dem Parlament in Ankara verkündete er, die
Türkei behalte sich das Recht vor, gegenüber Syrien wegen dessen
Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) »Vergeltung
zu üben«.
Ungeachtet der offiziellen Begründung liegen die wirklichen Gründe
für die jüngste Entwicklung bislang im dunkeln. Abgesehen davon,
daß das syrische Regime ohne besondere Überzeugungskraft seine
Unterstützung für die PKK, die seit August 1984 im türkischen
Teil Kurdistans einen nationalen Befreiungskrieg führt, leugnet, hat
sich in jüngster Zeit in Hinblick auf die tatsächliche Unterstützung
Syriens nichts geändert. Wenn überhaupt, so ist die Unterstützung
in den vergangenen Jahren eher geringer geworden. Die Existenz einiger
Ausbildungslager der PKK im libanesischen Bekaa-Tal und die Präsenz
ihres Generalsekretärs Abdullah Öcalan in Damaskus ist alles
andere als neu.
Warum die Türkei gerade jetzt so ein Geschrei macht, darüber
gibt es verschiedene Spekulationen. Die Neue Zürcher Zeitung etwa
schreibt über ein Ablenkungsmanöver angesichts einer sich zuspitzenden
innenpolitischen Krise. Da sind zum einen die seit dem Susurluk-Skandal
immer neuen Enthüllungen über die intimen Verbindungen von Politik,
Staatsapparat, faschistischen Banden und dem organisierten Verbrechen.
Außerdem befürchte die Staatsführung bei den für nächsten
April anstehenden Parlamentswahlen einen Sieg der Islamisten und wolle
diese Wahlen deshalb vermeiden. Im übrigen sei das Ende September
in Washington ausgehandelte Friedensabkommen zwischen den beiden führenden
Parteien Irakisch Kurdistans - der DPK und der PUK - ohne Beteiligung der
hier direkt interessierten Türkei ausgehandelt worden, was diese zu
besonderem Eifer in dieser Frage animiert habe.
Die Pariser »Le Monde« ihrerseit weist auf die wachsende
Rolle der Armee in der Türkei hin, die auch die treibende Kraft für
das Militärbündnis mit Israel war. Dort habe man auch die jüngste
US-Militäroperation gegen Guerillalager in Afghanistan und auf eine
Pharmaziefabrik im Sudan mit Interesse zur Kenntnis genommen. Nach diesem
Muster könnte die Armee Angriffe auf die PKK-Lager im syrisch kontrollierten
Bekaa-Tal ins Auge fassen.
In einem ganz anderen Zusammenhang könnten allerdings die jetzigen
Spannungen gesehen werden, wenn man der Darstellung des US-amerikanischen
»Global Intelligence Update - Red Alert« folgt. Dort
wird darauf hingewiesen, daß eine verstärkte Konfrontation zwischen
der Türkei und Griechenland anstehe, wenn die griechisch-zypriotische
Regierung im Oktober russische S-300 (Boden-Luft-Raketen) geliefert bekommt.
Die Türkei hatte bereits erklärt, sie werde diese Lieferung an
die neue Luftwaffenbasis Paphos mit allen Mitteln zu verhindern wissen.
Inzwischen - so der Intelligence Update - knüpfe die Türkei die
für eine solche Operation notwendigen regionalen Bündnisse. Der
Sender der israelischen Armee hat am 7. September berichtet, daß
der türkische Außenminister Ismail Cem während seines Besuches
im Juli Israels Ministerpräsdident Netanjahu für diesen Fall
um politische und militärische Unterstützung gebeten habe. Bereits
im August war aus NATO-Kreisen bekannt geworden, daß Israels Luftwaffe
türkische Piloten für einen Angriff auf Paphos ausgebildet hätte.
Um ein »Containment« Syriens geht es auch bei den Annäherungsbemühungen
Ankaras an Jordanien. Der Besuch von Ministerpräsident Mesut Yilmaz
in Amman am 6. und 7. September führte nicht zuletzt auch zur Unterzeichnung
von drei militärischen Abkommen. Der in London erscheinenden Zeitung
Al Hayat zufolge ist Jordanien zu gemeinsamen israelisch-türkischen
Militärmanövern im November eingeladen worden. Jordaniens Beteiligung
an einer antisyrischen Achse sei aber - so der Intelligence Update - nur
vorstellbar, wenn es der Türkei gelänge, das Regime in Bagdad
zu bewegen, dafür grünes Licht zu geben. Jordanien sei nämlich
immer noch wirtschaftlich mit dem Irak eng verbunden. Die Türkei könnte
der irakischen Baath- Regierung, die sich vor einigen Monaten an das seit
Jahrzehnten verfeindete »Bruder«-Regime in Syrien angenähert
hatte, dafür z.B. bessere Konditionen für den illegalen Export
von Erdöl und anderen Produkten angeboten haben.
Auf der anderen Seite unterstützt Griechenland seit langem die
kurdische Bewegung in der Türkei und ist gleichzeitig damit beschäftigt,
Bündnisse mit Ländern wie Syrien und Rußland zu knüpfen.
Wenn es sich bei der jetzigen türkisch- syrischen Krise um ein Ablenkungsmanöver
handelt, dann will Ankara wohl eher von der Zypern-Krise ablenken.
Anton Holberg