Die türkische Verlegerin Ayse Zarakolu Menschenrechtspreis an Zarakolu
Die türkische Verlegerin darf den Preis nicht persönlich
entgegennehmen
Die türkische Verlegerin und Menschenrechtsaktivistin Ayse Zarakolu
hat den Menschenrechtspreis der Internationalen Verlegerunion erhalten.
Doch sie durfte ihn nicht selbst entgegennehmen - die türkische Regierung
verhindert ihre Ausreise.
PEN-Club zu Ayse Zarakolu (engl.)
Gerichtstermine und Verurteilungen gehören - so düster dies
klingt - zum Alltags-Geschäft von Ayse Zarakolu. Sie hat Schriften
von Andrej Sacharow und Nelson Mandela verlegt, aber auch Berichte über
die Verfolgung der Kurden, die Willkür des türkischen Militärs.
Ayse Zarakolu:
“Ja, in der Tat, man hat mich mehr als nur einmal beschuldigt. Seit
1982 war ich viermal im Knast. Wegen 33 Büchern und wegen zweier unerwünschter
Reden. Manche dieser Verfahren sind noch im Gange. Das ist eine beinahe
tragische Angelegenheit: Im 50. Jahr der Menschenrechtskonvention bekomme
ich einen Preis - für unser Engagement in einem Land, in dem extrem
viele und sehr schlimme Vergehen gegen die Menschenrechte geschehen.”
Die Entscheidung der Internationale Verlegerunion, Ayse Zarakolu zur
ersten Preisträgerin des Menschenrechtspreises zu küren, wird
weltweit anerkannt.
Ayse Zarakolu:
“Wenn die oberste Dachorganisation unseren Kampf für würdig
empfand, dann sind die Kosten des Kampfes, nicht nur meine Leiden im Gefängnis,
nicht umsonst gewesen. Dieser Preis gilt vor allem denen, die im Kampf
um ihre Rechte, umgekommen sind - oder noch immer in den Knästen sitzen.
Ja, dieser Preis bedeutet Verantwortung. Aber er macht meine Freunde und
mich auch stolz, trotz all der schmerzlichen Erlebnisse. Wir können
unsere Sache nun vor eine Weltöffentlichkeit bringen.”
Aber Ayse Zarakolu hat derzeit nur einen Personalausweis, keinen Reisepaß,
den sie zur Ausreise nach Deutschland bräuchte. Die türkischen
Behörden haben ihre Papiere kassiert. Auch eine Intervention aus Bonn
half bislang nichts. Von Tag zu Tag wird die Verlegerin vertröstet.
Ayse Nur Zarakolu:
“Seit mehr als zwei Wochen gehe ich nun Tag für Tag zu den verantwortlichen
Ämtern. Aber immer heißt es: “Kommen Sie morgen wieder.” Ob
ich den Paß bekomme - oder zumindest: warum nicht - das wird mir
vorenthalten. Diese Preisverleihung hat schon sehr düstere Züge:
Ausgezeichnet werde ich für mein Engagement in Sachen Menschenrechte.
Und gleichzeitig wird mir mein Grundrecht zu reisen vorenthalten. Nun,
wir sind eben in der Türkei.”
Zarakolu, die über ein Jahr ihres Lebens im Gefängnis verbrachte,
kann diese Schikane wenig schrecken. Zusammen mit ihrem Mann Ragib,
als Mitverleger und Übersetzer auch schon mehrfach inhaftiert, hat
sie weit Schlimmeres erlebt.
Ayse Zarakolu:
“Ich gehöre zu einer Generation, die in jüngster Vergangenheit
zwei Militärputsche erlebt hat. Viele geliebte Freunde mußten
ins Gefängnis, viele haben wir durch Morde verloren, die niemals aufgeklärt
wurden. Und viele wurden hingerichtet. Da ist es nicht besonders
wichtig, daß wir für ein paar Monate inhaftiert waren. Zehntausende
von Menschen sitzen derzeit in türkischen Knästen. Sie sind ausschließlich
wegen ihrer ethnischen Identität oder wegen ihrer politischen Überzeugung
ihrer Freiheit beraubt. Und vielleicht werden sie ihre Freiheit niemals
wieder erleben, weil die Gesundheitsprobleme in den Gefängnissen aufgrund
der Haftbedingungen gewaltig sind. Aber, in den Monaten, in denen wir einsaßen,
haben wir an dem Leid der anderen teilgenommen. Wir haben erfahren, daß
es unsere gottverdammte Pflicht ist, dafür zu kämpfen, daß
die politischen Gefangenen in der Türkei freigelassen werden. Sie
müssen ihre Meinung wieder in Freiheit vertreten können. Kurzum:
Niemand sollte denken, daß Leute wie ich, die einige Monate im
Gefängnis verbrachten, sich aus dem Kampf zurückzuziehen werden
- im Gegenteil.”
Einschüchtern ließ sich die couragierte Frau auch nicht,
als vor einigen Jahren in ihrem kleinen Verlag eine Bombe hochging. Die
Polizei hat die Ermittlungen bald eingestellt. Ayse Zarakolu hat
trotzig mit ihren Mitteln reagiert: Sie verlegte das Gedächtnisprotokoll
eines gefolterten Kurden, einen Menschenrechtsbericht aus Amerika, indem
die Türkei wegen der Verfolgung unbotmäßiger Intellektueller
hart kritisiert wird.
Jüngster Streitfall: Eine Chronik des Putsches 1980. 12 Hinrichtungen
werden aufgerollt. Ein tabuisiertes Thema, auf das - schätzt Ayse
Zarakolu - einmal mehr vier Monate Haft stehen könnten. Gerade mit
diesem Buch dürfte auch der verweigerte Pass zusammenhängen.
Doch der Einzelfall hat durchaus Methode.
Ayse Zarakolu:
“Nicht nur ich, sondern alle Verleger, die ähnliche Betätigungsfelder
haben, sind in einer vergleichbaren Situation. In meiner 20jährigen
Arbeit habe ich mehr als 500 Bücher vorbereitet. Mehr als dreißig
wurden staatlicherseits beanstandet, mehr als dreißig, zum Teil sehr
langwierige Verfahren eröffnet. Der starke Staat hat Angst; er zieht
gegen alle in den Krieg, die anders denken als er. Das können Kommunisten
sein, Sozialisten, Kurden, ja sogar der politische denkende Islam. Alle
die anders denken oder anders sind, bekommen den Zorn des Staates zu spüren.”
Es ist sicher, daß dieser Skandal Ayse Zarakolus gewichtiger
Botschaft noch mehr Beachtung zuteil werden läßt:
Ayse Zarakolu:
“Wir erwarten von der Menschheit, so heißt es in meiner vorbereiteten
Rede, daß sie dieser Türkei keine Waffen mehr liefert. Wir erwarten,
daß sie ihre Pflicht im Namen der Menschheit erfüllt.”