taz, 8.10.1998
Die Geehrte muß warten
Die türkische Regierung läßt die Menschenrechtlerin
Ayse Zarakolu nun doch zur Buchmesse nach Frankfurt reisen
Von Ömer Erzeren
Berlin (taz) - Ayse Zarakolu, Trägerin des Menschenrechtspreises
„International Freedom to Publish“, den der Börsenverein des Deutschen
Buchhandels und die Internationale Verlegerunion erstmalig in diesem Jahr
vergeben, konnte gestern ihren Preis nicht entgegennehmen. Die türkischen
Behörden hatten über Wochen hinweg die Verlängerung ihres
Passes verweigert und sie somit an der Ausreise gehindert. Erst nachdem
es Proteste hagelte, wurde Zarakolu in der Nacht zu gestern dann doch der
verlängerte Paß ausgestellt - zu spät für die Teilnahme
am Festakt.
Die 52jährige Verlegerin wird allerdings noch auf der Buchmesse
erwartet. Zarakolu gründete als erste Frau in der Türkei 1977
den Belge-Verlag. Dutzende Gerichtsverfahren sind gegen sie anhängig,
sie war mehrfach im Gefängnis und wurde mit Geldstrafen belegt.
Im Belge-Verlag wurde über 350 Titel publiziert. Unter ihnen Bücher
zu Themen, die in der Türkei tabu sind, darunter Gedichte, Romane
und soziologische oder historische Abhandlungen.
Die Bekannntschaft mit Gefängnissen spielt eine wichtige Rolle
im Lebenslauf der Verlegerin. Nach dem Militärputsch 1980 wurde sie
wegen dem Buch „Neue Erkenntnisse über die alte Linke“ - der Historiker
Mete Tuncay hatte über die türkische Linke Anfang des Jahrhunderts
geschrieben - verhaftet. Vier Monate verbrachte sie im berüchtigten
Militärgefängnis Metris. In den achtziger und neunziger Jahren
folgten immer wieder Polizeihaft, Prozesse und Gefängnisstrafen. Zuletzt
1996 wegen des Buches von Faysal Dagli „Brakuji - der Bürgerkrieg
der Kurden“. Als Verlegerin habe sie „separatistische Propaganda“ betrieben,
befand das Staatssicherheitsgericht.
Auch wegen der türkischsprachigen Publikation eines Berichtes
der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, „Weapon
Transfers and Violation of the Laws of War in Turkey“, wurde Zarakolu verurteilt.
Mit Herausgabe von Büchern zur Geschichte des Osmanischen Reiches
und der Türkei versuchte der Verlag Belge sich der Vergangenheit anzunehmen
und politische Gegenkultur zum offiziell propagierten Nationalismus zu
schaffen.
Ein mutiger Akt war es, als sich der Verlag entschloß, das Buch
„Das armenische Tabu“ von Yves Ternon auf türkisch zu publizieren.
Es folgten der „Genozid im internationalen und nationalen Recht“ des armenischen
Autors Vahakn Dadrian und Franz Werfels „Die vierzig Tage des Musa Berg“.
Als die Staatsanwälte Zarakolu voller Wut vernahmen und später
Anklageschriften verfaßten, wußte die Verlegerin: „Wir haben
offensichtlich ein tiefverwurzeltes Tabu angekratzt.“ Mit der Verleihung
des Preises an die Verlegerin wollen die Internationale Verleger-Union
und der Börsenverein Zeichen setzen.