junge Welt
Interview
08.10.1998
-----------------------------------
Jetzt neue Türkei-Politik?
jW sprach mit Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der PDS
-------------------------------------------------------------------
F: Seit geraumer Zeit geht die türkische Armee auch auf nordirakischem
Territorium gegen die kurdische Guerilla der PKK vor. In Bonn hat dieser
Bruch des Völkerrechts zuletzt keinerlei offizielle Reaktionen provoziert.
Wird die Türkei zukünftig hier etwas mehr unter Druck geraten?
Erst einmal macht es mich wütend zu sehen, wie gleichgültig
sich die Bundesregierung gegenüber diesem völkerrechtswidrigem
Vorgehen des NATO-Partnerlandes Türkei gezeigt hat. Sie entzieht sich
völlig der Verantwortung, hierzu eine verurteilende Position zu beziehen.
Es müßte einen gewaltigen Druck von seiten der internationalen
Staatengemeinschaft geben. Ich bin aber im Zweifel, ob die Türkei
wirklich etwas mehr unter Druck gerät.
F: Die türkischen Streitkräfte sind augenblicklich auch an
der syrischen Grenze zusammengezogen worden. Wie ernst sind die Kriegsdrohungen
gegenüber Syrien zu nehmen?
Die Türkei steht derzeit mit dem Rücken zur Wand. Sie hat
innenpolitisch mit einer Unmenge an Problemen zu kämpfen. Sie ist
tief verstrickt in Mafia-Machenschaften, und die Inflationsrate steigt
unaufhörlich. Mit Hilfe der Außenpolitik wird eine Ablenkungsstrategie
betrieben. Ich glaube aber, die Türkei wird das Kriegs-»Abenteuer«
gegen Syrien nicht ausweiten und wird es bei Drohungen belassen. Alles
andere wäre Feuer ins Öl gießen.
F: Der PKK-Vorsitzende Öcalan hat nun einen einseitigen Waffenstillstand
verkündet. Im Nord-Irak stehen unverändert türkische Soldaten.
Ist eine politische Lösung des Konflikts nicht sogar weite Ferne gerückt?
Erst einmal: Ich begrüße den einseitigen Waffenstillstand,
den Abdullah Öcalan ja auch auf Südkurdistan ausgedehnt hat.
Diesen Schritt hat die Türkei gleich als »irrelevant«
und Zeichen der Schwäche der PKK gewertet und signalisiert, daß
sie ihren Krieg gegen das kurdische Volk fortsetzen will. Es bleibt abzuwarten,
ob eine politische Lösung durch das Verhalten der Türkei in weite
Ferne gerückt ist. Das kommt entscheidend darauf an, wie die USA und
die EU sich jetzt verhalten.
Die Türkei will in Erinnerung bringen, daß ohne sie im Nahen
Osten nichts zu laufen hat. Auf der anderen Seite weiß die Türkei,
daß es bei einem Angriff auf Syrien zu arabischen Zusammenschlüssen
kommen könnte. Das wiederum liegt sicher nicht im Interesse Israels,
das mit der Türkei erst kürzlich militärische Kooperationsverträge
abgeschlossen hat. Der Nahe Osten war und ist ein politisches Pulverfaß,
und die Kurdinnen und Kurden sind und bleiben der Spielball internationaler
und vor allem imperialer Interessenpolitik. Das ist die große Tragik.
F: In Frankreich sitzt ein führendes Mitglied der türkischen
Mafia in Auslieferungshaft. Der hat angekündigt, wenn er auspacke,
könne die ganze Regierung ihren Hut nehmen. Eine Änderung der
harten Position und bei der Macht des türkischen Militärs hat
es aber bisher auch nach Regierungswechseln nicht gegeben.
Dieser Mafia-Mann steht in der Kontinuität des Susurluk- Unglücks
vor zwei Jahren. Schon seit langer Zeit ist bekannt, wie extrem der türkische
Regierungs- und Machtapparat in schmutzige mafiöse Geschäfte
und Strukturen verwickelt ist. Vor Susurluk wollte das bloß niemand
hören, und nur wenige Menschen haben sich ernsthaft damit beschäftigt
und diese Verflechtungen offengelegt. Eine grundlegende Änderung kann
es im Regierungs- und Militärapparat nicht geben, weil zu viele in
den Sumpf verwickelt sind. Gleichgültig wer den Staat repräsentiert
- abhängig sind Regierung und die sogenannten Opposition vom Militär.
F: Welche Initiativen wird die PDS ergreifen, welche Einflußmöglichkeiten
bestehen?
Es geht nun verstärkt darum, Druck auf die rot-grüne Regierung
zu machen, die Militär- und Wirtschaftshilfe an die Türkei einzustellen,
die Einhaltung der Menschenrechte und grundlegende demokratische Verhältnisse
zu fordern. Die neue Bundesregierung sollte eine internationale Konferenz
zur Lösung des Kurdistan-Konflikts anstoßen und endlich die
Aufhebung des PKK-Verbots umsetzen. Die Gelegenheit muß jetzt wahrgenommen
werden.
Interview: Thomas W. Klein