Als der Kurde Mehmet Ali Akbas nach seiner Abschiebung aus Deutschland
im Januar in der Türkei nachweislich schwer gefoltert wurde, sorgte
das für beträchtliches Aufsehen in den Medien. Der FDP-Bundestagsabgeordnete
Burkhard Hirsch fragte öffentlich: „Wieviele menschliche Versuchskaninchen
benötigt der niedersächsische Innenminister noch, um sich von
der Vertragstreue der türkischen Politiker zu überzeugen?“
Offenbar braucht er noch einige mehr. Denn auch in einem weiteren Fall
wurde die Lüneburger Ausländerbehörde inzwischen aktiv.
Sie versprach den türkischen Behörden, ihnen mitzuteilen, wann
genau sie die kurdische Familie Diri abschieben wird. Die Vorbereitungen
laufen - obwohl das Lüneburger Verwaltungsgericht erst heute über
den Asylfolgeantrag der Familie verhandeln wird. Die zwölfköpfige
Familie Diri lebt seit acht Jahren in Lüneburg. Ihre Asylanträge
wurden abgelehnt, obwohl der Vater erst in der Türkei, dann auch von
Deutschland aus die kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützt. Also
stellte die Familie neue Anträge, auch die wurden abgelehnt. Sie reichte
eine Petition ein, erfolglos.
Schließlich erkrankt die Mutter psychisch. Ärzte bescheinigen
ihr, sie sei nicht reisefähig. Die Ausländerbehörde widerspricht.
Die Mutter kommt ins Krankenhaus. Noch immer ist die Behörde von ihrer
Reisefähigkeit überzeugt. Zwar stapeln sich auf dem Schreibtisch
des Sachbearbeiters Atteste, die dringend vor der Abschiebung warnen. Die
Ausländerbehörde jedoch glaubt keinem Gutachter, der nicht in
ihren Diensten steht: „Von allen abgegebenen Stellungnahmen“, so ihr Statement,
seien die Ausführungen des von ihr beauftragten Gutachters diejenigen,
„die am stärksten zu überzeugen vermögen“.
Der Arzt der Behörde war zu der Überzeugung gelangt, die
schweren Depressionen seien „nicht objektivierbar“ und folglich nicht von
Belang. Andere Ärzte hatten gewarnt, Frau Diri könne sich
im Falle der Abschiebung das Leben nehmen. Doch das beeindruckt die Ausländerbehörde
wenig: Da wäre es doch „für jeden abgelehnten Asylbewerber ein
leichtes, mit Hilfe von Selbstmorddrohungen eine Duldung zu erreichen“,
heißt es in einem amtlichen Schreiben.
Das Verwaltungsgericht hingegen hatte auch der Sachkunde anderer Ärzte
Glauben geschenkt und die Abschiebung Ende August vorerst gestoppt. Somit
muß die Ausländerbehörde zumindest den Ausgang des heutigen
Asylfolgeverfahrens abwarten. Durch Zeugen will die Rechtsanwältin
der Diris, Sigrid Töpfer, nun nachweisen, daß die politischen
Aktivitäten des Vaters über einen Spitzel in die Türkei
verraten wurden. Daß für Ibrahim Diri Verfolgungsgefahr in der
Türkei besteht, ist selbst der Stadt Lüneburg nicht entgangen.
Die fragte schriftlich in der Türkei nach, ob ein Strafverfahren gegen
ihn laufe. Die türkischen Behörden verneinten - so wie damals
bei Mehmet Ali Akbas.
Elke Spanner