Türkische Zeitung „Hürriyet“ hetzt gegen Grünen-Politiker
Des Agitators Angst vor der Integration
Chefkolumnist will den türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten
Özdemir als Ausländerbeauftragten in Deutschland verhindern
Von Wolfgang Koydl
Istanbul, 16. Oktober – Dem designierten Bundeskanzler wird der Name
Ertug Karakullukcu vermutlich unbekannt sein, und auch der künftige
Bundesaußenminister müßte schon den einen oder anderen
Parteifreund danach fragen. Deshalb dürfte es Gerhard Schröder
und Joschka Fischer wahrscheinlich auch entgangen sein, daß sich
Ertug Karakullukcu seit geraumer Zeit mit ganz konkreten Vorstellungen
darüber zu Wort meldet, wer in der nächsten Bundesregierung welchen
Posten zu bekleiden habe. Vor allem einer soll auf keinen Fall etwas werden:
Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir.
Es wäre falsch, Karakullukcu zu unterschätzen. Schließlich
ist er einer der mächtigsten Meinungsmacher Deutschlands. Als Chefkolumnist
der deutschen Ausgabe der türkischen Tageszeitung Hürriyet erreicht
er Tag für Tag Abertausende von Lesern – Sonntag inklusive. Mit einer
Auflage von täglich knapp 90 000 Exemplaren ist das Blatt die größte
und einflußreichste türkische Publikation in Deutschland, und
seit einiger Zeit mischt Karakullukcu von seinem Schreibtisch in Istanbul
aus in der deutschen Innenpolitik mit. Das Ziel des Kommentators vom Bosporus
ist es, mit allen Mitteln den Schwaben Özdemir als neuen Ausländerbeauftragten
der Bundesregierung zu verhindern.
„Bitte“, schrieb er am vergangenen Mittwoch an die „sehr verehrten
Herren Schröder und Fischer“, „bitte schenken Sie Leuten wie Cem Özdemir
keine Beachtung“. Er stehe „in totalem Gegensatz zu den Grunderwartungen
der türkischen Gesellschaft“, sei „ein unechter Demokrat“, der von
den Türken in Deutschland „nicht akzeptiert“ werde. Auch mit Ex-Innenminister
Manfred Kanther und mit Adolf Hitler hat Karakullukcu den Grünen-Politiker
schon verglichen.
In seinem Haß auf Özdemir hat sich der Kolumnist Karakullukcu
sogar dazu hinreißen lassen, dessen innerparteiliche Konkurrentin
um den Ausländerposten zu unterstützen: „Sogar Claudia Roth wäre
besser“, meinte er, sie sei „die Schönheit der Schönheiten, unsere
Claudia“; allerdings solle sie nun ihr Versprechen einlösen und endlich
Türkisch lernen: „Statt des Türken, pardon, ,türkisch-stämmigen‘
Cem Özdemir, würden wir die ,reinblütige‘ Deutsche Claudia
Roth vorziehen“, weil sie wenigstens aufrichtig sei.
Die derart Gepriesene ist gar nicht glücklich über das Lob.
Sie erinnert sich, daß der Hürriyet-Agitator schon weniger galante
Worte über sie gefunden hat. Özdemir selbst sieht die Kampagne
weniger als persönliche Auseinandersetzung, sondern als Kampf zweiter
integrationspolitischer Modelle. Der Grünen-Politiker will, daß
Türken in Deutschland die vollen bürgerlichen Rechte erhalten
und sich in die deutsche Gesellschaft integrieren. „Integrieren, nicht
assimilieren“, betont Özdemir. Dagegen sei Hürriyet das Sprachrohr
jener, welche die Türken „ins Getto drängen“ wollten. „Sie wollen
die Anerkennung als nationale Minderheit; das wäre nichts anderes
als das osmanische Millet-System“, fügt er hinzu. Im osmanischen Reich
waren die nicht-muslimischen Minderheiten der Griechen, Juden und Armenier
in Millets gegliedert, die große innere Eigenständigkeit besaßen
und von ihrem eigenen geistlichen Oberhaupt geführt wurden.
Letztlich geht es darum, daß Özdemir seine Landsleute in
Deutschland von der Gängelung durch Ankara befreien will. Das aber
macht ihn gefährlich. „Diese Leute haben Angst vor mir“, meint
er, „und nicht ganz zu Unrecht“. Erschwerend – in den Augen Karakullukcus
– kommt hinzu, daß Özdemir eine politische Lösung des Kurden-Problems
anmahnt und der toleranten islamischen Glaubensgemeinschaft der Aleviten
angehört, welche in weiten Kreisen der Türkei verächtlich
gemacht wird. Gleichwohl versuchte Hürriyet, den Abgeordneten nun
auch noch in die Nähe des radikalen Islam zu rücken, dem ärgsten
Gegner der Aleviten.
Özdemir kennt seinen größten Fehler: Er hat sich dazu
bekannt, Deutscher zu sein, zwar mit türkischem Hintergrund, aber
ohne türkische Loyalität. Einmal habe ihn ein Hürriyet-Mitarbeiter
dazu aufgefordert, „in die Familie (der türkischen Nation) zurückzukehren“.
„Ich habe gesagt, daß ich schon eine Familie habe, mit Mutter, Vater
und allem, mit der ich recht zufrieden bin“, erinnert er sich fröhlich.
Karakullukcu selbst will zu seinen Kolumnen, seiner frischen Liebe zu Claudia,
und zu seinen Ratschlägen für die künftige Bundesregierung
nicht Stellung nehmen. „Mit ihrer Zeitung rede ich nicht“, knurrt er. „Sie
schreiben schlecht, Sie schreiben falsch. Wir sind keine Nazis, wir sind
nicht nationalistisch, und wir sind nicht gegen die Integration.“ Dann
lag auch schon der Hörer auf der Gabel.