junge Welt
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                                                                                                                    20.10.1998

       Satellitenpiraterie gegen »vereinigte Stimme der Kurden«
       Türkisches Militär stört offenbar kurdischen Sender MED-TV

       In den vergangenen Tagen haben türkische Militärs offenbar mehrfach die Ausstrahlung des kurdischen Satellitenfernsehens MED-TV zu verhindern
       versucht. MED- TV ist das einzige kurdische Satellitenfernsehen und arbeitet seit März 1995. Der Sender ist in Europa, Nordafrika und dem
       Mittleren Osten zu empfangen und strahlt sein Programm in allen drei kurdischen Dialekten (Kurmanci, Sorani, Zazaki) sowie in türkischer,
       arabischer, assyrischer und englischer Sprache aus. In den kurdischen Gebieten der Türkei unternahmen Sicherheitskräfte mehrfach Razzien, um die
       Bevölkerung davon abzuhalten, MED-TV zu sehen. Um den Empfang zu verhindern, wurden auch Satellitenschüsseln beschlagnahmt.

       Die Störmanöver begannen am 9. Oktober gegen 21 Uhr. An diesem Abend sollte - wie jeden Freitag - die Live- Übertragung einer
       Diskussionsrunde mit namhaften Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern ausgestrahlt werden. Neben der erwarteten telefonischen Zuschaltung
       des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, war die Sendung vor allem wegen des angekündigten Themas, der
       zugespitzten Krise zwischen der Türkei und Syrien, brisant. Die türkische Regierung fordert von Syrien die Auslieferung Öcalans und eine
       Zerstörung bzw. Schließung aller PKK-Einrichtungen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, läßt Ankara seit Wochen Zehntausende
       Soldaten an der türkisch-syrischen Grenze aufmarschieren. Für Anfang November ist ein Manöver angekündigt. Parallel marschierte der
       NATO-Partner erneut in die kurdischen Gebiete des Nordirak ein, um entlang der irakisch-syrischen Grenze Stellung zu beziehen. Das Spiel mit
       dem Feuer wird von der NATO mit Stillschweigen quittiert, was von Ankara als Zustimmung interpretiert wird. Dabei hatte die PKK erst am 1.
       September einen Waffenstillstand verkündet.

       Nur wenige Minuten nach Beginn der Live-Übertragung, die vorn Brüsseler Studio des Senders per Anschlußstation zum Satellit Orion ausgestrahlt
       wurde, verschwand das Bild. Weitere Versuche, die Live-Sendung auszustrahlen, schlugen ebenfalls fehl, so daß MED-TV schließlich sein
       Programm für den Abend einstellen mußte. In den folgenden Tagen dauerte kein Sendeversuch des täglichen Live-Programms länger als 15
       Sekunden, bis die Störung wieder einsetzte. Mehrere Versuche, die Ausstrahlung über andere Anschlußstationen via Orion zu gewährleisten,
       schlugen fehl.

       Nach Auskunft eines zuständigen Technikers bei der Satellitengesellschaft Orion handelte es sich bei den gezielten Störsignalen um eine Art
       militärischer Radarstörung. Eine Untersuchung der Betreibergesellschaft des Orion über die Ursache der Störmanöver hat ergeben, daß »mit hoher
       Wahrscheinlichkeit« die Störsignale gegen MED-TV von der türkischen Mittelmeerstadt Iskenderun ausgesandt worden sind. In Iskenderun
       befindet sich das Hauptquartier des »Syrischen Krisenstabs« der türkischen Regierung.

       In einer Protesterklärung vom 13. Oktober hat eine Reihe von Europaparlamentariern mittlerweile die Satellitenpiraterie der Türkei scharf verurteilt.
       Es handele sich um einen aggressiven Akt gegen die Freiheit der Presse und internationale rechtskräftige Vereinbarungen zum Schutz der Medien.
       Auch die deutsche Gewerkschaft IG Medien verurteilte die Störversuche. Als Teil eines umfassenden Plans, Syrien in die Knie zu zwingen und den
       Mittleren Osten neu zu formieren, bezeichnete die Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) den Angriff der Türkei gegen MED-TV, die
       »vereinigte Stimme des kurdischen Volkes«.

       Karin Leukefeld
 
 

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