Die Presse  Wien 22.10.98

Türkei - Syrien: Friede mit Fragezeichen

Ankara gibt Entwarnung im Konflikt mit dem Nachbarn; Damaskus aber schweigt beharrlich.
Von unserem Korrespondenten
MARTIN PETER

ISTANBUL. Eine internationale Krise, die aus heiterem Himmel entstanden war, soll ebenso plötzlich wieder vom Tisch sein.  Doch weder für den Beginn noch für das Ende der türkisch-syrischen Auseinandersetzungen gibt es einleuchtende Erklärungen.
Seit langem streiten die beiden Nachbarn über die Grenzziehung im ehemaligen Mesopotamien. Seit Beginn des Staudammbaus in Südostanatolien liegen sich beide Staaten wegen der Aufteilung des Euphrat-Wassers in den Haaren. Und seit die türkische Kurdenguerilla PKK auf syrischem Boden Unterschlupf findet, sind sich Ankara und Damaskus erst recht spinnefeind.
Der jüngste Konflikt dauert schon 14 Jahre.  Anfang Oktober plötzlich drohten türkische Spitzenpolitiker und die Armee ohne offensichtlichen Grund dem südlichen Nachbarn mit Krieg, falls er nicht „innerhalb von Tagen“ mit der PKK aufräume.
Präsidenten und Außenminister aus Ägypten und dem Iran versuchten den drohenden Waffengang zu verhindern - offenbar mit Erfolg, wie am Dienstag aus einem gemeinsamen türkisch-syrischen Abkommen hervorgeht. Darin verpflichtet sich Damaskus, alle türkischen Begehren „bedingungslos zu erfüllen“, die PKK-Lager zu schließen und PKK-Chef Abdullah Öcalan aus Syrien zu verbannen.
In einem zweitägigen Geheimtreffen mit türkischen Kollegen gestanden syrische Sicherheitsbeamte Ankara gar „Kontrollgänge“ zu, um die Einhaltung der Abmachungen zu kontrollieren. Außerdem versicherte Damaskus, Öcalan habe Syrien bereits verlassen. Der türkische Regierungschef Mesut Yilmaz gab daraufhin bekannt, Öcalan halte sich in Moskau auf.
Wie glaubwürdig die
Nachbarschaftsversprechen sind, wird sich weisen. Zweifel sind jedenfalls angebracht.  Denn erstens melden Beobachter aus Südostanatolien neue türkische Truppenverstärkungen. Zweitens dementierte das russische Außenamt, daß sich Öcalan in Moskau aufhalte. Drittens stammen die Friedensmeldungen ausschließlich aus türkischen Quellen. Und viertens benötigt die türkische Regierung, die knietief im Mafiasumpf steckt, dringend außenpolitische Erfolgsmeldungen.