Frankfurter Rundschau 22.10.98
Kommentar
Alles im Fluß
Ankaras Militärs schaffen das Problem neu, das sie soeben beseitigt glauben
Von Karl Grobe

Syrien wird der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in Zukunft nicht mehr zur Seite stehen und auch nicht als eine Art Rückzugsgebiet dienen; das ist so besiegelt, und der türkische Außenminister Ismail Cem sieht damit ein 15 Jahre altes Problem als gelöst an. Daß nicht Syrien die PKK stark gemacht hat, sondern daß die Repression der türkischen Militärs im genannten Zeitraum die Radikalisierung immer größerer kurdischer Gruppen bewirkt hat, kümmert ihn weniger. Der Kern des Problems bleibt indes hart.
Ankara hat nicht durch Einsicht oder Einlenken das Abkommen mit der Regierung in Damaskus erreicht. Die türkische Regierung kann andere Druckmittel einsetzen und tut das auch, nicht ohne Geschick. Das Zusammenspiel mit Israel in gewissen militärischen Dingen gehört dazu. Die geographische Lage des Landes ist aber ein noch stärkerer Trumpf.
Die Türkei beherrscht die Quellen des wichtigsten Flusses, der Syrien erreicht: Sie kontrolliert und staut den Oberlauf des Euphrat. Aber Wasser, begütigt Präsident Süleyman Demirel, ist natürlich keine Waffe. In Damaskus mag man das glauben oder nicht. Und die Kurden am Euphrat machen eine besondere Beobachtung. In den Entwicklungsgebieten am Atatürk-Damm wandert viel türkisches Kapital zu, es schafft auch Arbeitsplätze, aber eben keine kurdischen. Das Phänomen erzeugt Widerstand. Um den zwecks ungestörter Investition zu brechen, glauben Ankaras Militärs wiederum militärische Gewalt einsetzen zu müssen. Sie schaffen das Problem neu, das sie soeben beseitigt glauben. Alles bleibt im Fluß.