Celle: Medico recherchiert vor
Ort
Zweifel an einer Entführung
durch die PKK wachsen
Der Sprecher der Hilfsorganisation
medico international, Hans Branscheidt, will am heutigen Freitag in Celle
klären, ob die Kurdische
Arbeiterpartei PKK dort tatsächlich
sieben Jugendliche entführt hat.
Dies hatte die Gesellschaft für
bedrohte Völker (GfbV) in der vergangenen Woche behauptet. Nach Darstellung
des GfbV-Vorsitzenden Tilman
Zülch sollen die Mädchen
und Jungen aus kurdisch-jesidischen Familien im Alter von 14 bis 17 Jahren
vor etwa vier Wochen von der PKK
verschleppt worden sein, um sie
für den Kampf gegen das türkische Militär zu rekrutieren.
Zülch, der sich auf »anonyme Zuschriften aus jesidischen
Kreisen« beruft, bat Branscheidt
in einem Offenen Brief um Vermittlung in der Angelegenheit, weil medico
seit vielen Jahren ein »gutes Verhältnis«
zur PKK habe.
Er fahre jetzt nach Celle, um »mit
den angeblich betroffenen Familien und ihren Angehörigen zu sprechen«,
sagte Branscheidt am Donnerstag
gegenüber junge Welt. Auf
seine Bitte, ihm die Namen und Adressen der vermeintlichen Entführungsopfer
zu überlassen, habe Tilman Zülch bislang
leider nicht reagiert. Ein weiteres
Schweigen des GfbV- Vorsitzenden werde »fatale Konsequenzen«
für dessen zukünftige Glaubwürdigkeit haben.
Zweifel an der Entführung
sind auch von anderer Seite aufgetaucht. Ein Sprecher der Lüneburger
Staatsanwaltschaft sagte auf jW-Anfrage, es lägen
keine Vermißtenanzeigen
von kurdischen Familien aus Celle vor. Die Polizei ermittle in der Region
jedoch aufgrund von »anderen Hinweisen«
wegen Kindesentziehung. Bislang
scheine sich zu bestätigen, »daß ein 14jähriges Mädchen
verschwunden« ist, sagte der Behördensprecher.
Die Föderation Kurdischer
Vereine in Deutschland erklärte, die GfbV-Behauptungen seien unwahr.
Die angeblich betroffenen Familien könnten
sich »nicht erklären,
warum ihre Namen in diesem Zusammenhang genannt worden seien«. Dies
hätten sie auch gegenüber dem kurdischen
Fernsehsender Med-TV geäußert.
Das Kurdistan- Informationszentrum und die Informationsstelle Kurdistan
unterstellten dem GfbV-Vorsitzenden
gar, er habe wissentlich gelogen,
um die PKK zu diskreditieren.
Teilweise völlig absurde Vorwürfe
tauchen immer wieder in den Medien auf. Demnach soll die PKK sowohl für
den Anschlag auf den Papst 1987
als auch für das Attentat
auf Olof Palme im Januar 1986 verantwortlich gewesen sein.
Eine Überprüfung der
aktuellen Anschuldigungen ist schwierig. Den Vorwurf etwa, kurdische Oppositionelle
und abtrünnige Kritiker in Europa
liquidiert zu haben, hat die PKK
offiziell stets zurückgewiesen. Lediglich im Fall des ehemaligen ZK-Mitglieds
Cetin Güngör, der vor dreizehn
Jahren in Schweden ermordet wurde,
erklärte die Partei, ein »kurdischer Patriot« haben ihn
bestraft.
Den Vorwurf von »Schutzgelderpressungen«
und gewaltsamer Spendeneintreibung bestreitet die PKK ebenfalls. Der Verfassungsschutz
bezifferte
das Spendenaufkommen in Deutschland
für die Kurdische Arbeiterpartei 1996 auf rund 30 Millionen Mark für
das zurückliegende Jahr. Tatsächlich
ist der Kampf der PKK auch bei
vielen Kurden in der Bundesrepublik außerordentlich populär.
Viele kurdische Flüchtlinge sympathisieren mit der
Organisation oder sind sogar für
sie aktiv.
Viele Kurden beklagen sich über
das verzerrte Bild, das deutsche Medien über den türkisch-kurdischen
Konflikt und den Widerstand der PKK
zeichnen. So werde die eingeworfene
Fensterscheibe eines türkischen Konsulats in der deutschen Öffentlichkeit
negativer bewertet als das Wüten
türkischer Soldaten in Kurdistan.
Reimar Paul