Die Türkei auf dem Weg nach Europa
Der neue Staatsminister im Auswärtigen Amt, der Kulmbacher Günter
Verheugen, hat sein Herz für die Türkei entdeckt. Während
die alte Regierung unter Helmut Kohl vor allem mit Verweis auf ungelöste
Menschenrechtsfragen und die Kurden-Problematik Ankara eher auf Abstand
hielt, wenn es um eine mögliche EU-Mitgliedschaft ging, geht Verheugen
in die Offensive: Die Türkei sei selbstverständlich ein Land,
das als EU-Vollmitglied in Frage komme.
Die neuen Töne aus Bonn werden in Ankara aufmerksam registriert,
hatte die traditionelle Deutschfreundlichkeit der Türkei zuletzt doch
etwas gelitten.
Unzweifelhaft ist, daß der NATO-Staat am Bosporus ein geostrategischer
Diamant für die Allianz ist. Eine noch stärkere Einbindung in
westliche Strukturen wie die EU dient nicht zuletzt auch den Europäern
selbst. Und auch die Menschenrechte, die die Türkei teilweise noch
immer mit Füßen tritt, finden eher die ihnen gebührende
Beachtung, wenn Ankara der Eintritt in den Europa-Klub konkret in Aussicht
gestellt wird.
Daß ein EU-Beitritt des Riesenlandes, das Europa mit Asien verbindet,
rein finanziell teuer zu stehen kommt, ist nicht von der Hand zu weisen.
Doch auch die osteuropäischen Kandidaten für die Gemeinschaft
werden Nettoempfänger und nicht -zahler sein.
Die Finanzen stehen in Ankara nicht zum besten; eine Reihe von Hausaufgaben
müssen hier noch erledigt werden. Die gewaltige Inflationsrate - 66
Prozent im 1. Halbjahr 1998 - ist eine von vielen Hürden auf dem Gang
nach Europa. Immerhin aber wächst die Wirtschaft mit zuletzt rund
sechs Prozent doch recht kräftig.
Wie bei den Osteuropäern rangiert auch im Fall eines EU-Beitritts
der Türkei das politische Moment vor dem rein finanziellen. Letzt
Endes profitieren auch die Industrieländer von einheitlich geregelten
Märkten und dem Wegfall von Handelsbarrieren.
Abseits der politisch-diplomatischen Ebene entwickeln sich die deutsch-türkischen
Beziehungen gut. Heimkehrende Türkei-Reisende schwärmen auch
heute noch von der beispielhaften Gastfreundschaft, die sie im Land zwischen
Schwarzem Meer und Mittelmeer erfahren durften. Aber auch viele Türken,
die früher in Deutschland arbeiteten und nun zurück in ihre Heimat
gekehrt sind, denken gerne an ihre Zeit „beim Opel“ oder sonstwo zurück.
Vom fremdenfeindlichen Deutschen, wie er hierzulande mitunter beklagt
wird, haben sie zumindest nichts bemerkt.
ROLAND TÖPFER