Main Echo 13.11.1998
Irak: Fortsetzung der Politik mit militärischen Mitteln
Wenn Diplomatie scheitert, ist Clinton zum Angriff entschlossen
WASHINGTON. Im neuesten Duell mit dem irakischen Staatschef Saddam Hussein
sind die USA zum Angriff fest entschlossen, falls eine diplomatische Lösung
mißlingt. Offen ist für diesen Fall nur noch, ob es gezielte,
»chirurgische« Militärschläge gegen mutmaßliche
Stätten mit verborgenen Massenvernichtungswaffen oder
einen wochenlangen Luftkrieg gegen andere militärische Machtzentren,
wie die 26000 Mann starke Republikanische Garde im Irak, geben wird
obwohl alle
Anzeichen für ersteres sprechen.
Eine andere Wahl hat US-Präsident Bill Clinton nach Auffassung
außenpolitischer Fachleute kaum, wenn er nicht empfindlich an Prestige
einbüßen will. Sein
sicherheitspolitisches Ziel, die Verbreitung chemischer, biologischer
und nuklearer Waffen einzudämmen, würde im Kern getroffen werden,
ließe er Bagdad
gewähren. »Ein Versäumnis, zu handeln, könnte
Saddam zur Rücksichtslosigkeit ermutigen«, warnte Clinton.
Die Chancen, Saddam durch militärische Gewaltanwendung endgültig
in den Griff zu bekommen, werden zwar als sehr gering eingeschätzt.
Sie wäre nach
Washingtoner Kalkül aber nicht bloß Ausdruck amerikanischer
Entschlossenheit, sondern auch Ausdruck eines wachsenden internationalen
Druckes.
Anders als bei den früheren amerikanischen Irak-Angriffen nach
dem Golfkrieg in den Jahren 1993 und 1996 wären Schläge aus der
Luft diesmal eine echte
»Fortsetzung der Politik mit militärischen Mitteln«.
Damals waren es weitgehend einseitige US-Strafaktionen für angebliche
Attentatspläne auf den Golfkriegssieger,
Ex-Präsident George Bush, und für einen irakischen Vormarsch
in den kurdischen Norden des Landes.
Diesmal ging Clinton nach eigenen Worten zunächst diplomatisch
die »Extrameile«, um eine friedliche Lösung zu erreichen.
Er verwies darauf, daß nichts unversucht
geblieben sei, um Bagdad mit Hilfe des Weltsicherheitsrates zur Vernunft
zu bringen. Selbst die Gegner militärischer Gewalt wie China, Rußland
und Frankreich
könnten nach dieser Argumentation nichts mehr dagegen einwenden,
wenn die gemeinsame Anstrengung fehlschlägt. Ein Versäumnis,
zu handeln »würde auf Dauer
die Glaubwürdigkeit des UN-Sicherheitsrates schädigen, eine
Kraft zur Förderung von Frieden und internationaler Sicherheit zu
sein«, betonte Clinton.
US-Kommentatoren glauben auch, daß die Zeit für den Präsidenten
günstig sei. Er habe auf eine klare Provokation durch Saddam Hussein
gewartet, sich geduldig
um ein stärkeres Mandat bemüht und es mit einem relativ vorteilhaften
Umfeld am Persischen Golf und im Nahen Osten zu tun, seit das Zwischenabkommen
Israels
mit den Palästinensern gelang. Außerdem sei jetzt eindeutig,
daß der Chef der einzigen Supermacht die Lewinsky-Affäre heil
überstanden habe und kaum mehr dem
Vorwurf ausgesetzt werde, er wolle mit Waffengewalt von innenpolitischen
Problemen ablenken.
Wiener Zeitung : 12.11.98
USA verstärken Truppen im Golf weiter
Vor Militärschlag auf Irak
Washington · Nachdem die USA am Mittwoch 84 weitere Kampfjets
und 3000 Soldaten in die Golfregion entsandt haben, scheint ein Angriff
auf den Irak immer wahrscheinlicher.
Die Verstärkungen soll zwar erst in ein bis zwei Wochen am Persischen
Golf eintreffen. Der Chef des US-Generalstabes, Henry Shelton, drohte aber,
Luftangriffe könnten auch von den bereits im Krisengebiet stationierten
Schiffen und Flugzeugen aus geführt werden. Ein Ultimatum an den Irak
wird es nach Angaben des US-Außenministeriums nicht geben.
Insgesamt sind bereits 23.500 Soldaten, Marineinfanteristen und Piloten
vor Ort.
Der britische Premierminister Tony Blair warnte den irakischen Staatschef
Saddam Hussein im Rundfunksender BBC erneut vor einem bevorstehenden Angriff.
„Der nächste Schritt sind Taten“, sagte Blair am Donnerstag.
Angesichts der sich zuspitzenden Krise haben die Vereinten Nationen
am Donnerstag weitere 25 Mitarbeiter aus dem Irak abgezogen. Alle 103 UN-Rüstungsinspektoren
waren bereits am Mittwoch nach Bahrain ausgereist, weitere 130 UN-Beschäftigte
verließen das Land in Richtung Amman. Rund 195 Mitarbeiter humanitärer
UN-Programme halten sich noch im Irak auf, die meisten im kurdischen Norden,
der von einem möglichen Angriff der USA vermutlich nicht betroffen
wäre. Die UNO-Lebensmittelhilfe für die irakische Zivilbevölkerung
soll nicht komplett eingestellt werden. Am Mittwoch hatte der Weltsicherheitsrat
im Konflikt mit dem Irak die Führung in Bagdad indirekt zum Einlenken
gedrängt. Ohne eine eigene Erklärung abzugeben, stellte sich
das Gremium hinter den Appell von UNO- Generalsekretär Kofi Annan
an den irakischen Staatschef, seine Entscheidung zu revidieren und die
Zusammenarbeit mit den Waffeninspektoren unverzüglich wieder aufzunehmen.
Mit der Warnung, daß die Irak-Krise außer Kontrolle geraten
könnte, sprach sich auch China am Donnerstag für eine friedliche
Lösung des Konflikts aus. Peking forderte den Irak erneut auf, umfassend
mit der UNO zusammenzuarbeiten.
Die irakische Führung ließ unterdessen keine Anzeichen eines
Einlenkens erkennen. Die regierungsnahe Zeitung „Al Thawra“ schrieb von
„psychologischer Kriegsführung“ der Amerikaner. Das Blatt rief den
Weltsicherheitsrat auf, US-Angriffe gegen den Irak zu verhindern und forderte
Annan zur Vermittlung in der Krise auf. Syrien hat sich inzwischen gegen
einen US-Militäreinsatz ausgesprochen. In der Regierungszeitung „Techrine“
hieß es, der Irak habe alle Auflagen der UNO erfüllt. Die USA
hätten wegen ihres einseitigen Eintretens für Israel ihre Glaubwürdigkeit
im arabischen Raum verloren.
In Israel wurden am Donnerstag 65 Verteilstationen für Gasmasken
eröffnet, mit denen die Bevölkerung sich im Falle eines irakischen
Vergeltungsangriffs schützen soll.