Keine deutsche Waffen mehr in die Türkei?
jW fragte die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Claudia
Roth
F: Zum wiederholten Mal führt die türkische Armee derzeit
eine völkerrechtswidrige Militäraktion auf nordirakischem Territoruim
durch. Früher forderten die Bündnisgrünen Außenminister
Kinkel auf, gegen dieses Vorgehen zu protestieren. Wieso ist nun von Fischer
und von den Bündnisgrünen dazu nichts zu hören?
Es stimmt nicht, daß Fischer sich nicht dazu geäußert
hat - im Gegenteil: Schon in seiner Antrittsrede ist er auf die Türkei
eingegangen und hat seither einige klare Stellungnahmen abgegeben, in denen
er deutliche Signale von der Türkei in ihrer Haltung zur kurdischen
Frage und politische Reformen verlangte. Er hat in der kurzen Zeit seit
Amtsantritt schon mehr klare Worte dazu gefunden als Kinkel in seiner ganzen
Amtszeit. Auch zur Frage der Auslieferung Öcalans hat er sich klar
auf die Seite der italienischen Regierung gestellt und deutlich gemacht,
daß an eine Auslieferung in ein Land, in dem es die Todesstrafe gibt,
nicht zu denken ist.
F: Sie haben einmal davon gesprochen, daß bei Reisen durch Kurdistan
der Anblick der türkischen Streitkräfte keine Fragen zum Einsatz
deutscher Waffen offenlasse - es sei »wie auf einem deutschen Truppenübungsplatz«.
Der Unterschied zum »deutschen Truppenübungsplatz« ist
allerdings: Mit deutschem Kriegsgerät werden Dörfer zerstört,
Menschen vertrieben; es findet ein grausamer Krieg statt, der täglich
Opfer fordert. Ist da nicht ein sofortiges Waffenembargo dringend geboten?
Ich habe in den letzten Jahren stets den Standpunkt vertreten, daß
eine enge Polizeizusammenarbeit und Waffenlieferungen an die Türkei
politisch nicht zu verantworten sind. Es gibt leider keinen Anlaß,
meine Meinung zu ändern. So lange im Osten der Türkei Kriegszustand
herrscht, die türkische Armee immer wieder völkerrechtswidrig
in den Nordirak einmarschiert und Menschenrechte und Demokratisierung immer
wieder nur versprochen, aber nicht realisiert werden, so lange sollten
keine Waffen geliefert und keine finanziellen Hilfen zum Ankauf von Rüstungsgütern
gewährt werden.
F: In der Vergangenheit wurden Sie im Auswärtigen Amt damit abgespeist,
es lägen »keine Erkenntnisse« vor, daß deutsche
Waffen im Einsatz sind. Alle, die einmal mit Menschenrechtsdelegationen
im Kriegsgebiet unterwegs waren, wissen es besser. Werden Sie Ihren Parteikollegen
Fischer in nächster Zeit mal darauf ansprechen?
Ich brauche ihn auf diese Problematik nicht extra anzusprechen, da
er sich den Erkenntnissen, die es zum Einsatz deutscher Waffen in Kurdistan
gibt - da bin ich mir sicher - nicht verschließt, sondern verantwortungsvoll
damit umgehen wird. Ich gehe davon aus, daß sich dies zukünftig
in den Lageberichten des AA niederschlagen wird.
F: Die Nationale Befreiungsfront Kurdistans ERNK fordert - nachdem
Zeugenaussagen vorliegen, wonach die Deutsche Andrea Wolf von türkischen
Soldaten zunächst gefangengenommen und dann »liquidiert«
worden sei -, daß die Türkei sich an die Genfer Kriegskonventionen
halten müsse. Ist es nicht bezeichnend und alarmierend, daß
eine Guerilla-Bewegung die Einhaltung internationaler Konventionen fordert,
während zum Vorgehen der türkischen Armee auf internationaler
Bühne nur ein Schweigen zu verzeichnen ist?
Es stimmt nicht, daß auf internationaler Ebene geschwiegen wird.
Die Türkei ist immer wieder von verschiedenen Seiten aufgefordert
worden, sich an internationale Vereinbarungen wie die Menschenrechtskonvention
und die Genfer Kriegskonvention zu halten, so etwa vom Europarat und vom
Europäischen Parlament. Allerdings war oft die Kritik einzelner Regierungen
von doppelbödigem Charakter, denn man kann nicht erst die Waffen liefern,
und sich dann beschweren, wenn diese menschenrechtsverletzend eingesetzt
werden. Es kann nicht geduldet werden, daß die Türkei immer
wieder gegen internationale Vereinbarungen verstößt. Auf diese
Weise wird sie sich ins politische Abseits begeben, vor allem, was den
Zeitpunkt der Realisierung ihrer Aufnahme in die EU anbelangt. Es kann
aber genausowenig geduldet werden, daß die PKK gegen diese Konventionen
verstößt, der ja wie der türkischen Regierung - u. a.
von amnesty international - Fälle von Menschenrechtsverletzungen zur
Last gelegt werden.
Ich unterstütze natürlich die Forderung, den Fall Andrea
Wolf zu untersuchen und - so sich der Verdacht bestätigt, daß
sie von türkischen Sicherheitskräften liquidiert wurde - ihre
Mörder vor Gericht zu stellen und zur Verantwortung zu ziehen.
F: Trotz fortwährenden Bruchs des Völkerrechts, Mißachtung
der Menschenrechte, Folter und Tod im Staatsauftrag scheint die Türkei
aber zumindest die weitgehende Rückendeckung der USA zu haben. Es
gibt insgesamt keine, oder nur sehr sporadisch, Proteste in Bonn, London,
Paris oder Washington.
Wie gesagt: Es gibt Proteste auf internationaler Ebene. Allerdings,
da muß ich zustimmen, von viel zu wenig Seiten und oft viel zu zurückhaltend.
Gerade von seiten der USA wird eine wenig kritische Haltung gegenüber
der Türkei eingenommen, die ich politisch nicht nachvollziehen kann.
Es gilt im Moment auf internationaler Ebene, Italien zu unterstützen
und die türkische Regierung zu Gesprächen über eine friedliche
Lösung der kurdischen Frage zu bewegen. Der Türkei muß
unmißverständlich klargemacht werden, daß ihre kaum verhüllten
Drohungen und ihr Säbelrasseln gegenüber Italien nicht hingenommen
werden.
F: Wissen Sie, ob Rom die Absicht hat, Öcalan Asyl zu gewähren?
Wie sieht es mit einem Auslieferungsbegehren der Bundesrepublik aus?
Ich finde es richtig, daß von seiten der Bundesrepublik ein potentielles
Auslieferungsbegehren eingehend geprüft wird, und nicht, wie einige
Stimmen es pauschal verlangen, kurzerhand ein Auslieferungsantrag gestellt
wird - damit ist niemandem gedient. Ob die italienischen Behörden
Asyl gewähren werden oder nicht, weiß ich nicht. Ich gehe aber
davon aus, daß sie Öcalan auf keinen Fall an die Türkei
ausliefern werden. Sein Aufenthalt in Italien kann eine Chance sein, daß
endlich Schritte hin zu einer politischen Lösung der kurdischen Frage
möglich werden. Diese Chance nicht ungenutzt verstreichen zu lassen,
muß Schwerpunkt der Bemühungen der Bundesregierung sein.
Interview: Thomas W. Klein