»Alle Türken wollen
Apos Kopf«
Ankara und seine rechtsextremen
Hilfstruppen schüren Völkerhaß
»Seit mehr als zehn Jahren
lebe ich hier in Istanbul. Meine Frau ist Türkin. Wir Kurden haben
uns immer wieder um Frieden bemüht. Aber wie soll
das gehen. Die letzten zehn Tage
haben mich mehr gelehrt als zehn Jahre. Die türkische Gesellschaft
hat ihren wahren Charakter gezeigt«. Halil
stammt aus Siverek bei Urfa und
betreibt mit seinem Bruder einen kleinen Teppichladen im Istanbuler Touristenviertel
Sultanahmet. »Wir Kurden
haben immer von Brüderlichkeit
geredet. Aber wir haben uns Illusionen gemacht, das sind keine Brüder,
sie sind schlimmer als Wölfe.«
Seit der Festnahme von PKK-Chef
Abdullah Öcalan in Rom hat eine chauvinistische Massenmobilisierung
die Türkei erfaßt. Die von den Politikern
sämtlicher staatstragenden
Parteien und den Medien unisono geschürte Stimmung gegen die kurdische
Bewegung hat in zahlreichen Städten der
Türkei zu brutalen antikurdischen
Ausschreitungen geführt. Landesweit wurden antikurdische Kundgebungen
durchgeführt, aus denen heraus
prokurdische Einrichtungen überfallen
und verwüstet wurden. In Izmit wurde der 45jährige Lehrer Metin
Yurtsever von Militanten der faschistischen
MHP vor den Augen der Polizei
so schwer verletzt, daß er im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag.
Zwei weitere Kurden überlebten
schwerverletzt.
In von Rechten dominierten Stadtvierteln
Istanbuls sowie einigen Städten Anatoliens führten Anhänger
der MHP Ausweiskontrollen durch und
drangsalierten diejenigen Bürger,
die laut Eintrag im Ausweis aus kurdischen Gebieten stammen.
Opposition ausgeschaltet
Parallel zu den pogromartigen Angriffen
des nationalistischen Mobs führten Polizei und Spezialeinheiten landesweit
Razzien gegen Büros der
Demokratiepartei des Volkes HADEP
oder der Zeitung Ülke'de Gündem durch und nahmen Masssenfestnahmen
vor. Türkeiweit wurden 50
Provinzbüros und rund 500
Kreis- oder Bezirksbüros der HADEP überfallen, durchsucht und
zum Teil geschlossen. Mehr als 3 000 Personen
wurden festgenommen. Allein in
Diyarbakir wurden am Abend des 19. November über 500 Personen aus
dem Umfeld der HADEP verhaftet.
Nachdem sich die im Stadteil Baglar
von Diyarbakir befindlichen HADEP-Mitglieder weigerten, der Polizei die
Tür zu öffnen, brachen die
Sicherheitskräfte in das
Büro ein, indem sie die Mauer einschlugen. Alle Anwesenden wurden
ohne Ansehen von Alter oder Geschlecht
festgenommen und auf die Polizeireviere
verbracht. Hier wurde der 18jährige HADEP-Aktivist Hamit Cakir zu
Tode gefoltert. Mittlerweile wurde
landesweit fast die gesamte Führungsriege
der HADEP, darunter der erst vor wenigen Wochen aus der Haft entlassene
Parteivorsitzende Murat
Bozlak, inhaftiert. Auch kurdische
Zeitungen und Kultureinrichtungen wurden überfallen, zum Teil verwüstet
und Mitarbeiter festgenommen. Im
Istanbuler Stadtteil Beyoglu wurden
drei Mitglieder der kurdischen Musikgruppe »Koma Roj Hilat«
während eines Konzertes von der Bühne weg
verhaftet.
Nach der Entscheidung der italienischen
Regierung, Abdullah Öcalan nicht an die Türkei auszuliefern,
wurden auch italienische Einrichtungen zur
Zielscheibe der nationalistischen
Ausschreitungen: Vor dem italienischen Konsulat in Istanbul sowie der Botschaft
in Ankara fanden tagelang
Demonstrationen statt, bei denen
italienische Fahnen verbrannt wurden und die Teilnehmer - überwiegend
aus dem Spektrum der faschistichen
MHP - versuchten, das Gebäude
zu stürmen. Vor laufenden Kameras aller türkischen TV- Kanäle
zertraten Händler italienisches Obst und
Gemüse; Schuhe, Möbel,
Kühlschränke und Motorräder wurden verbrannt. An Läden
und Gaststätten hingen Pappschilder: »Wir verkaufen keine
italienischen Waren« und
»kein Zutritt für Italiener«. Das italienische Gymnasium
in Istanbul schloß aus Angst vor Übergriffen auf seine Schüler
für
einige Tage.
Selbst der als liberal geltende
Textilindustrielle Cem Boyner, der in der Türkei die Ladenkette der
italienischen Marke Benetton betreibt, hat »aus
Protest gegen die italienische
Haltung« die Schaufenster sämtlicher Benetton- Läden schwarz
verhängt. Vor vier Jahren war Boyner noch
Shooting-Star der türkischen
und internationalen Medien, als er sich mit seiner neugegründeten
Partei »Neue Demokratie Bewegung« für eine
friedliche Lösung der Kurdenfrage
einsetzte. Zahlreiche Personen aus dem linken Spektrum, unabhängige
Intellektuelle und Kurden hatten sich
damals Boyners Partei angeschlossen,
darunter auch Halil. Nun verkünden täglich neue Wirtschaftsvereinigungen
einen Boykott italienischer Waren,
Taxifahrer, Autohändler,
Firmen und Staatseinrichtungen stornieren Bestellungen in Italien, ja sogar
die Apothekerkammer beschloß, keine
italienischen Medikamente zu verkaufen.
Die Presse meldet derartige Beschlüsse jeweils wie Siegesmeldungen
von der Front und erstellt
Rekordrechnungen über die
(erhofften) Einbußen, die der italienischen Wirtschaft entstehen.
Inszenierter Pogrom
»Es herrscht eine Stimmung
wie am Vorabend der Septemberpogrome 1955« meint Metin, Buchhändler
und Mitbegründer des türkischen
Menschenrechtsvereins. »Wenn
die Regierung diesen Mob nicht wieder zurückpfeift, kann etwas ganz
Schreckliches passieren.« In der Nacht vom
16. zum 17. September 1955 waren
in nur einer Nacht Hunderte Läden griechischer Besitzer demoliert
und niedergebrannt worden; 29 Kirchen
wurden niedergebrannt, weitere
30 demoliert, Friedhöfe geschändet und 30 Personen griechischer
Abstammung gelyncht.
Auftakt des damaligen Pogroms war
ein angeblicher Bombenangriff auf das türkische Konsulat in Saloniki,
bei dem auch das benachbarte
Geburtshaus Atatürks beschädigt
wurde. Wie nach dem Militärputsch von 1960 auch gerichtlich festgestellt
wurde, war dieser Anschlag im Auftrag
der damaligen Regierung Menderes
vom türkischen Geheimdienst ausgeführt worden. Andan Menderes
wurde unter der kemalistischen Militärjunta
von 1960 für dieses und andere
Verbrechen zum Tode verurteilt und gehängt, interessanterweise jedoch
während der 80er Jahre unter dem als
»liberal« geltenden
Ministerpräsidenten Özal rehabiliert und mit allen Ehren in der
Nähe anderer Staatsführer beigesetzt. Wahrer Hintergrund der
damaligen antigriechischen Ausschreitungen
waren die Spannungen um Zypern: im Streit um die Mittelmeerinsel benutzte
die türkische Regierung die
in der Türkei lebenden Griechen
mehrfach als Geiseln, um ihre Interessen gegen Griechenland durchzusetzen.
Elena, eine in der Türkei
lebende Griechin, sieht noch eine weitere Parallele zu den damaligen Ereignissen:
»Die Ausschreitungen sind damals wie
heute zentral organisiert. Damals
wurden Faschisten aus Thrakien nach Istanbul verfrachtet und ihnen die
griechischen Einrichtungen gezeigt. Es
dauerte nur eine Nacht, da wurde
alles zerstört. Auch die Ereignisse der letzten Tage wirken wie zentral
organisiert.«
Den Startschuß für die
aktuelle Angriffswelle gegen prokurdische Einrichtungen hatte Ministerpräsident
Mesut Yilmaz bereits an dem Tag gegeben,
als die Nachricht von der Festnahme
Öcalens in Italien bekannt wurde. Auf einer Massenkundgebung versprach
Yilmaz dem Volk Rache an der
kurdischen Bewegung: »Das
vergossene Blut wird nicht auf der Erde bleiben«. Und er nannte die
Zielscheibe: »Wir führen den Kampf ja nicht nur
gegen die Terroristen auf den
Bergen, sondern auch gegen die mit den Krawatten in den Städten.«
Als nach der Entscheidung der italienischen
Regierung, Öcalan nicht auszuliefern,
der Siegestaumel der türkischen Politiker und Massenmedien über
die Festnahme in aggressive Enttäuschung
umkippte, riefen Politiker aller
staatstragenden Parteien die Bevölkerung auf, »ihre nationale
Gesinnung« auch öffentlich zu bekunden. Rechte
Parteien bis hin zur »sozialdemokratischen«
CHP überboten sich in der Durchführung antikurdischer und antiitalienischer
Kundgebungen.
Journalisten-Krieg
Eine entscheidende Rolle in dieser
Inszenierung spielen (wieder einmal) die türkischen Massenmedien.
Zehn Tage lang versuchten Reporter und
Moderatoren auf allen Kanälen
fast rund um die Uhr, die Stimmung am Kochen zu halten. Im Sprachgebrauch
aller türkischer Fernsehsender hat
der PKK- Chef den langen Namen
»Der für 30000 Morde verantwortliche mit blutigen Händen
beschmutzte Bandenchef und Mörder« - selbst in
»liberalen« Sendern
fällt kein Wort davon, daß die übergroße Mehrheit
der in diesem Krieg gefallenen Menschen Kurden sind, die von der
türkischen Armee umgebracht
wurden und daß es die kurdische Seite ist, die sich seit Jahren immer
wieder um eine friedliche Lösung des Konflikts
bemüht. Die antikurdischen
und zunehmend auch antiitalienischen Ausschreitungen werden wieder und
wieder gezeigt.
Eine Trennung von Nachricht und
Kommentar gibt es dabei nicht. »Wir - alle Türken - wollen dasselbe:
Apos Kopf«, lautet der Tenor. Faschisten
rufen vor laufender Kamera zum
Bruch internationaler Konventionen und zur Folter auf. »Wenn die
Italiener ihn nicht ausliefern, fahr ich selber und
hol ihn. Und dann soll er ganz
ganz langsam und qualvoll sterben.« Der Moderator lächelt und
nickt zustimmend. Presseethik gibt es nicht. Der als
Bindeglied zwischen der ehemaligen
Regierungspartei DYP, der faschistischen MHP und der Drogenmafia bekannte
Yasar Öz, der im Istanbuler
Gefängnis Metris auf seinen
Prozeß wartet, nahm einen italienischen Mithäftling als Geisel,
um so die Auslieferung Apos zu erpressen. Nicht ein
Journalist stellt auch nur die
Frage, wieso ein Häftling über Waffen verfügt und offensichtlich
einen ganzen Gefängnisblock kommandiert. Statt
dessen führen die Sender
Life-Inter- views per Telefon mit dem »geehrten Herrn Öz«,
der wie ein Starpolitiker hofiert wird.
»Ich fliege, um Apo zu holen«,
schreibt der Hürriyet- Kolumnist Fatih Altayli und läßt
sich noch auf der Gangway zum Flugzeug filmen, als sei er ein
Kommandokämpfer auf dem Weg
zum Fronteinsatz. Als der türkische Außenminster Cem wenige
Tage später in Rom eine Pressekonferenz abhält,
antwortet derselbe Altayli an
Stelle des Ministers und hebt vor den verdutzten ausländischen Journalisten
zu einer Propagandarede gegen den
»kurdischen Terrorismus«
an.
Quasi rund um die Uhr berichten
Reporter »von der Front« in Italien. Keine Lüge ist zu
dumm, keine Verleumdung zu dreist, um nicht stereotyp
wiederholt zu werden. Fernsehkanäle
zeigen wieder und wieder das Fenster des Krankenhauses, in dem Apo die
ersten Tage in Rom zur
Untersuchung untergebracht war,
um zu behaupten, daß dies ein Mehrbettzimmer sei und Apo dort einen
Puff eingerichtet habe. Eine
PKK-Kämpferin, die in Begleitung
Öcalans mit nach Rom gereist war, wird in sämtlichen Kanälen
als seine »Geliebte«, Mätresse« usw. tituliert,
das Wohnhaus ihrer Eltern und
Geschwister in Anatolien mit Adresse immer wieder gezeigt, bis die Familie
die Stadt verlassen muß. Die
Zehntausenden Kurden, die in Rom
demonstrieren, werden als »Hunde« bezeichnet, italienische
Politiker ebenfalls mit Schimpfworten bedacht.
Italiens Ministerpräsident
D'Alema wird durchgängig als »Maksimum Dalama« (der völlig
Durchgeknallte) bezeichnet, Danielle Mitterrand als »die
häßliche Geisteskranke«
und die europäische Politik allgemein als »hinterhältig«.
Der Kolumnist Bekir Coskun erklärt seinen Lesern die Haltung der
italienischen Regierung wie folgt:
»In Europa kennt man Italien als das Land der Mafia, der Kofferdiebe
und Straßenräuber. Daß diese Leute Apo
einladen und dann so tun, als
hätten sie ihn festgenommen, resultiert aus ihrem einschlägigen
Charakter.«
Als die Chance, »es den Italienern
mal so richtig zu zeigen«, hatten die Medien recht bald das ursprünglich
für den 25. November geplante
UEFA-Cup-Spiel Juventus Turin
gegen Galatasaray in Istanbul ausgemacht. »Dies ist weit mehr als
ein Fußballspiel, dies wird unser Sieg über
Italien«, ereifert sich
die Moderatorin, während in blauen Schriftbalken den Zuschauern die
Slogans für das Match auf italienisch beigebracht
werden. Doch spätestens mit
der Verschiebung dieses Spiels durch die UEFA um eine Woche, da die Sicherheit
der italienischen Spieler in Frage
stand, sowie der Erfahrung türkischer
Politiker, daß die von ihnen inszenierte Mobilisierung des nationalistischen
Mobs, insbesondere die
Boykottaufrufe gegen italienische
Waren, die italienische Regierung in ihrer Haltung nur bestärkten
und in der EU auf Kritik stießen, bemühten sich
die Politiker eiligst, die von
ihnen gerufenen Geister wieder unter Kontrolle zu bringen. DSP-Vorsitzender
Ecevit rief die »Bevölkerung« auf, »ihrem
berechtigten Anliegen« nicht
durch ungesetzliche Taten zu schaden. Wieder und wieder beschworen die
Fernsehsprecher nun ihre Zuschauer, sich
beim Spiel am vergangenen Mittwoch
ja diszipliniert zu verhalten, »da auch nur der kleinste Zwischenfall
international unser aller gemeinsamem
Anliegen Schaden kann«.
»Haltet den Dieb!«
In den letzten Tagen ist die Welle
der Gewalt vorerst wieder abgeebbt. Weiterhin organisieren Militärs
oder Parteien landauf landab
Anti-PKK-Demonstrationen, doch
man ist bedacht, daß es nicht erneut zu Auschreitungen kommt. Der
Mob hat - vorerst - seine Aufgabe erfüllt:
Die nationalistische türkische
Einheit von »Sozialdemokraten« bis hin zu Islamisten ist wieder
einmal hergestellt. Die ehemalige Ministerpräsidentin
Tansu Ciller, deren Beziehungen
zur MHP-Drogenmafia nach dem Susurluk- Unfall vor zwei Jahren ans Tageslicht
kam, und Regierungschef
Yilmaz, der vergangene Woche an
einem Mißtrauensvotum scheiterte, nachdem seine Beziehungen zur Mafia
ebenfalls offenkundig wurden, retteten
zumindest ihren Kopf, indem sie
sich gegenseitig vor einer beantragten Aufhebung ihrer Immunität schützen.
Ausgerechnet diejenigen, die mit den
Einnahmen aus dem Drogengeschäft
eine faschistische Parallelarmee aus Spezialkommandos und Rambos unterhalten
und sich dabei selbst nicht
unerheblich bereichern, organisieren
nun Anzeigenkampagnen über den angeblichen Drogenhandel der PKK in
den italienischen Medien.
Die legale kurdische Opposition
wurde faktisch enthauptet, da landesweit Vorsitzende und Sprecher inhaftiert
wurden. Kritische Stimmen in der
Presse sowie die linke türkische
Opposition, die nach dem Susurluk-Unfall lautstark eine Aufdeckung des
faschistoiden Sumpfes innerhalb der
Regierungsparteien gefordert und
sich auch für eine politische Lösung der Kurdenfrage eingesetzt
hatten, sind unter dem Druck der vergangenen
zwei Wochen verstummt.
Lediglich der Menschenrechtsverein
IHD und einige kleinere linken Gruppierungen und Gewerkschaften nehmen
in einer Pressekonferenz gegen die
Politik der chauvinistischen Aufhetzung
Stellung und warnen vor der Schürung eines türkisch-kurdischen
Bruderkrieges in den Städten, der die
gesamte Gesellschaft an den Abgrund
führen würde. Öffentliche Protestaktionen gibt es nur von
Mitgliedern der HADEP, welche von der Polizei
sofort wieder zerschlagen werden.
Die ÖDP zum Beispiel, die
Freiheits- und Solidaritätspartei, die aus einem Bündnis türkischer
linker Organisationen entstand und bei den Wahlen im
Dezember 1995 gemeinsam mit der
HADEP auf einer Liste für »Frieden und Brot« kandidierte,
hat die »Solidarität« in ihrem Namen anscheinend
vergessen. »Was sollen wir
denn machen, sollen wir uns hinstellen, um uns verprügeln zu lassen?«
entgegenet Haluk, Vorstandsmitglied der ÖDP im
Istanbuler Stadtteil Besiktas,
auf die Kritik eines kurdischen Gewerkschaftlers an der Untätigkeit
der ÖDP. »Wenn ich mich hier auf der Straße
öffentlich äußern
würde«, sagt Haluk und zeigt auf die umliegenden Läden,
»würden die Besitzer herauskommen und mich lynchen.«
Letzteres stimmt nicht. Die Läden,
auf die Haluk zeigt, gehören sämtlich Kurden, wie zum Teil an
den Namen und Dekorationen ihrer
Firmenschilder zu erkennen ist.
Einer von ihnen ist Abdullah, der eine Papierwarenhandlung betreibt und
vor sechs Jahren aus Silvan nach Istanbul
gekommen ist. »Wovor soll
ich noch Angst haben?« fragt er. Die damals als Terrortruppe von
Staates Gnaden eingesetzte Hizbullah hatte ihn als
17jährigen 50 Tage lang in
einem unterirdischen Verlies festgehalten und gefoltert. »Wo soll
ich denn hingehen? Unsere ganze Familie ist hierher
geflohen. Wir haben unseren Besitz
verloren und hier ganz von vorne angefangen. Hier sind wir ganz im Westen
des Landes, weiter können und
werden wir nicht gehen.«
Nach seinen Schätzungen stellen
Kurden etwa 35 bis 40 Prozent der Einwohner Istanbuls. »Einen Bürgerkriegt
in den Städten würde für alle zu
einem Blutbad führen, dieses
Risiko kann auch die Regierung nicht eingehen.« Zu seinem eigenen
Schutz hat er vorgesorgt und mit den kurdischen
Besitzern der umliegenden Läden
eine gegenseitige Verteidigung vereinbart. Ähnliche Vorkehrungen haben
Halil und seine Nachbarn getroffen.
Anna Chondrula