Türkische Medienschau
Werden wir Kohl missen?
Der Chefredakteur der Europaausgabe von Hürriyet kritisiert die
Äußerungen von Bundesinnenminister Otto Schily: „Während
die Kohl-Regierung vor den Wahlen vehement bestritt, daß Deutschland
ein Einwanderungsland ist, behaupteten SPD und Grüne damals das Gegenteil.
Nun sind sie an der Macht, und was behauptet einer der leidenschaftlichsten
Einwanderungspolitiker, Otto Schily? Er sagt: „Deutschland verträgt
keine weitere Zuwanderung.“ Wo ist nun der Unterschied zu einem Helmut
Kohl? Was wird nun aus der Reform des Staatsbürgerrechts? Wir
werden die neue Regierung genau beobachten. Wir werden sehen, ob sie ihr
Wahlversprechen in den nächsten sechs Monaten einlösen wird.
Ein Rückzug in Sache Staatsbürgerschaft wäre eine totale
Selbstverleugnung dieser Regierung. (3.12.1998)
Eine preußische Phantasie
So lautet die Überschrift einer Sabah-Kolumne: „Gott sei Dank
gibt es deutsche Regierungen, die sich bemühen, internationale Probleme
zu lösen. Die alte deutsche Regierung hat den Bosnienkonflikt für
sich ziemlich „unblutig“ gelöst. Will die neue Regierung nun im Fall
des PKK-Chefs Öcalan der Türkei einen Gefallen tun?... Auf die
Frage, „ob Deutschland für die Freilassung Öcalans plädieren
würde, wenn er nicht vor ein internationales Gericht gestellt würde,
antworte der deutsche Kanzler: ,Ich phantasiere nur. Die Verantwortung
trägt der italienische Ministerpräsident. Ich werde mich bemühen,
meine Vorstellungen zu verwirklichen. Ich werde mich mit meinen Pantasien
auseinandersetzen.`“ Auf türkisch heißt das: Geben sie mir ein
wenig Zeit. Ich träume nur. Um den Preis solcher leerer Phantasien
sind dreißigtausend unserer Menschen ermordet worden. Deutschland
bemüht sich, nach dem Balkan nun auch im Nahen Osten mitzureden...
Die Türkei hat im Ersten Weltkrieg Zehntausende ihrer Söhne preußischen
Phantasien geopfert. Wir haben nicht vor, unser Land im 21 Jahrhundert
den Phantasien einer deutschen Regierung zu opfern. (1.12.1998)
Und noch einmal Kohl
Zum Gerangel um die Auslieferung des in Rom sitzenden Öcalan schreibt
die Hürriyet: „Ist es nicht ein erstaunlicher Zufall, daß in
Deutschland die Forderung, daß Öcalan vor ein internationales
Gericht gestellt werden soll, und die Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots
nahezu im gleichen Atemzug diskutiert werden? Offen gestanden denken
sehr viele Türken, daß eine Kohl-Regierung Öcalan längst
nach Deutschland gebracht und ihm den Prozeß gemacht hätte.
Und eine Kohl-Regierung hätte in diesem Zusammenhang nicht die Aufhebung
des PKK-Verbots in Deutschland angesprochen. (3.12,1998)
Zusammengestellt von Bülent Tulay