taz 7.12.98
Taxi nur für Deutsche
Wer in der Grenzstadt Zittau Ausländer mit seinem Taxi mitnimmt,
läuft Gefahr, wegen „Einschleusens“ im Gefängnis zu landen. Denunziationspflicht
fördert
Fremdenangst. Die dort lebenden Ausländer sehen ihre Legitimität
ständig in Frage gestellt
Von Marina Mai
Altan Karargöl lebt seit vier Jahren in der sächsischen Grenzstadt
Zittau im Dreiländereck Deutschland - Polen - Tschechien. Wenn der
Kurde nachts von seinem City-Kebap am Marktplatz nach Hause fahren will,
nimmt er sich ein Taxi. Nur 200 Meter liegt der Taxistand von seiner Dönerbude
entfernt. Viele Taxifahrer sind gute Kunden von ihm. Dadurch hat Karagöl
mehrere „persönliche Chauffeure“, die ihn kennen. Irgendeiner dieser
Fahrer hat immer Nachtdienst und bringt ihn sicher nach Hause.
Als Karagöls Freund aus Dresden neulich ihn Zittau zu Besuch war,
wollte dieser nachmittags mit dem Taxi zum Bahnhof. Erfolglos. Er fand
keinen Fahrer, der ihn mitnahm. „Die Taxifahrer haben gesagt, sie dürften
meinen Freund nicht fahren“, erzählt Karagöl und zuckt verständnislos
die Schultern. Doch der Fall seines Freundes ist kein Einzelfall. Er hat
System. Einem schwerverletzten türkischen Dönerbuden-Betreiber
hatten die Taxifahrer vor fünf Wochen die lebenswichtige Fahrt ins
Krankenhaus verweigert. Der 38jährige Nazim Acar war nachts von rechten
Jugendlichen zusammengeschlagen worden und hatte sich mit letzter Kraft
durch das menschenleere Stadtzentrum zum Taxistand geschleppt. Er hatte
ein Bein und eine Rippe gebrochen, vier Zähne verloren und blutete
aus dem Ohr. Es half nichts. Acar mußte sich weiterschleppen zur
Wohnung einer Bekannten. Die rief schießlich den Krankenwagen.
Entlang der deutschen Ostgrenze wurden bislang etwa 150 Ermittlungsverfahren
gegen Taxifahrer wegen „Einschleusens von Ausländern“ eingeleitet.
Nirgendwo anders als in Zittau mußten die Chauffeure allerdings dafür
ins Gefängnis. Bereits vier Taxifahrer sitzen dort, weil sie Ausländer
mitgenommen hatten, die zuvor illegal über die Grenze aus Polen oder
Tschechien eingereist waren. 39 Taxifahrer gibt es in der Stadt.
Elf von ihnen standen wegen „Einschleusen“ vor dem Kadi. „Einschleusen“
bedeutet aber nicht etwa, die Taxifahrer hätten Flüchtlinge über
die Grenze gebracht. Ihnen wird zur Last gelegt, illegal Eingereiste
innerhalb der Bundesrepublik transportiert zu haben. Auch in den Brandenburger
Grenzstädten Guben und Forst wurden gegen drei Taxifahrer Bewährungsstrafen
ausgesprochen.
Lassen Sie sich von Schleuserbanden nicht mißbrauchen!
Nehmen Sie keine offensichtlich illegal eingereisten Personen in ihrem
Taxi mit“, steht auf einem Flugblatt, das der Bundesgrenzschutz (BGS) entlang
der deutschen Ostgrenze an Taxifahrer verteilt. Wie „offensichtlich illegal
eingereiste Personen“ aussehen und sich verhalten, war am Amtsgericht Zittau
und am Landgericht Görlitz bereits mehrfach Gegenstand von Verhandlungen.
So waren die Richter der Meinung, Taxifahrer hätten spielsweise auf
einen illegalen Aufenthalt schließen können, weil Ausländer
nachts mit schmutziger Kleidung zustiegen oder weil sie ihr Gepäck
nicht im Kofferraum, sondern auf dem Rücksitz ließen, um im
Fall einer Kontrolle schnell weglaufen zu können.
Staatsanwaltschaft und Gerichte sehen in den Taxifahrern das letzte
Glied einer arbeitsteilig organisierten internationalen Schleuserorganisation.
In keinem einzigen Verfahren konnte nach Kenntnis der Taxifahrer-Verteidigerin
Karin Zebisch nachgewiesen werden, daß die Fahrer im direkten Kontakt
zu Schleusern standen. Die Indizienkette, mit denen sächsische Gerichte
die Fahrer verurteilten, ist geradezu abenteuerlich: So wurde als Sachverständige
eine Beamtin der Ausländerbehörde vernommen. Sie sagte
aus, im ganzen Landkreis würden nur etwa 1.000 Ausländer wohnen.
Darunter seien 600 polnische Studenten und 150 Asylbewerber, die aufgrund
ihrer wirtschaftlichen Situation als Taxikunden ohnehin nicht in Frage
kämen. Daraus schloß das Gericht, die Chauffeure hätten
genau gewußt, daß es sich bei ihren Fahrgästen nur um
„Illegale“ handeln könne. Zwei Taxifahrer wurden verurteilt, ohne
überhaupt Flüchtlinge gefahren zu haben. Der Taxifahrer
Michael R. hatte auf dem Rückweg von einer Fahrt am Waldrand sein
Fahrzeug gehalten und die Motorhaube geöffnet. In der Nähe
dieser Stelle hatte der BGS gerade eine Gruppe illegal eingereister Flüchtlinge
gestellt. Die Gerichte sahen es in drei Instanzen als erwiesen an, daß
Michael R. die Flüchtlinge hatte mitnehmen wollen.
Selbst eine Denunziationspflicht gibt es in Sachsen per Richterspruch.
Der Taxifahrer Bernd L. wurde wegen Mitnahme von illegal Eingereisten zu
16 Monaten Haft verurteilt. Laut Gerichtsurteil hätte „durchaus die
Möglichkeit bestanden, durch einen Anruf beim BGS die Personen überprüfen
zu lassen, um jedes Risiko für sich auszuschließen“. Der BGS
hat der Taxi-Innung noch weitere Vorschläge unterbreitet. Fahrer sollten
etwa durch Lichthupen anzeigen, daß Ausländer im Fahrzeug sitzen.
Damit würden sie dem BSG ein Zeichen zur Kontrolle geben und, falls
illegal Eingereiste in ihrem Auto säßen, dann straffrei ausgehen.
Und das Landratsamt hat der Taxi-Innung eine schriftliche Generalamnestie
ausgesprochen, falls ein Ausländer mit Aufenthaltsrecht einen Chauffeur
wegen der Verletzung der Personenbeförderungspflicht anzeigt.
Ein Taxifahrer hat nicht das Recht, die Personalien seiner Fahrgäste
zu kontrollieren. Er kennt sich auch zuwenig aus“, meint die Anwältin
Karin Zebisch. „Manchmal weiß der BGS selbst nicht, ob beispielsweise
ein Jugoslawe ein Visum benötigt. Die Be- amten müssen oft stundenlang
in ihren Dienstanweisungen blättern, wenn sie Leute kontrollieren.“
Harald Glöde von der Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration
spricht von der Kriminalisierung eines ganzen Berufsstands. Er hält
es für einen Skandal, daß Taxifahrer gezwungen werden, ihre
Fahrgäste aufgrund phänotypischer Merkmale nach rassistischen
Merkmalen zu selektieren.
Die Situation der Zittauer Taxifahrer führt zu obskuren politischen
Diskussionen. Für Taxifahrer Udo Knepper gäbe es eine einfache
Lösung: „Der BGS sollte sich an die drei Ausfahrtsstraßen aus
dem Landkreis stellen und jedes Fahrzeug kontrollieren.“ Das brächte
Rechtssicherheit. „Denn man könnte uns nicht mehr unterstellen, wir
hätten nicht mit Kontrollen gerechnet.“ Ähnliche Forderungen
gibt es im sächsischen Innenministerium. In der letzten Sitzung des
Innenausschusses hatte ein Ministeriumssprecher angekündigt, „eine
Empfehlung für Verhaltensweisen“ an Taxifahrer über ihre Rechte
und Pflichten gegenüber ihren Kunden auszuarbeiten. Die SPD-Fraktion
hält eine solche Empfehlung im Interesse einer größeren
Rechtssicherheit der Taxifahrer für überfällig. Allein die
PDS lehnt es ab, Taxifahrer per Ministeriumsempfehlung zum Selektieren
oder Denunzieren von Fahrgästen zu zwingen, und verweist auf das staatliche
Gewaltmonopol. Sie bereitet eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des
Schleuserparagraphen vor. Auch Harald Glöde sieht es als unentbehrlich
an, die Hilfe zur Wahrnahme des Grundrechts auf Asyl gegenüber Flüchtlingen
nicht länger unter Strafe zu stellen. „Dazu muß das Ausländergesetz
geändert werden.“
Leute wie Altan Karagöl und Nazim Acar sind die Opfer der Illegalenhatz.
Sie beklagen sich, daß in der gegenwärtigen Situation jeder
das Recht hätte, ihre Legitimität in Frage zu stellen. „Die BGSler
kaufen bei mir Döner, und hinterher lassen sie sich auf der Straße
den Paß zeigen, ob ich auch hierher gehöre.“ sagt Acar.