junge Welt                      Interview                     04.12.1998
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    Warum bleiben Sie im Hungerstreik?
    jW sprach in Rom mit einer 68jährigen Kurdin aus Essen
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    * Die Kurdin Kaitan Bircan (Name von der Redaktion geändert) lebt
    seit drei Jahren in Essen und ist nach der Festnahme von PKK-Chef
    Abdullah Öcalan nach Rom gekommen, um vor dem Militärkrankenhaus
    Celio zu demonstrieren

    F: Nachdem die PKK-Sprecher jetzt alle Kurden zur Rückkehr in die
    Länder aufgefordert hat, in denen sie leben - fahren Sie jetzt
    wieder zurück nach Deutschland?

    Nein, ich bleibe in Italien und setze den Hungerstreik fort.

    F: Was denken Sie über die Haltung der italienischen Regierung im
    »Fall Öcalan«?

    Wir sind damit zufrieden und haben volles Vertrauen in die
    italienische Regierung.

    F: Haben Sie erwartet, daß Abdullah Öcalan sich so schnell wieder
    auf freiem Fuß befinden würde? Er muß sich zwar in Rom aufhalten,
    sitzt aber nicht im Gefängnis.

    Noch vor einiger Zeit konnte man damit nicht rechnen, aber seitdem
    er hier ist, gab es gute Gründe zu hoffen, daß es so ausgehen
    würde.

    F: Meinen Sie, daß er politisches Asyl in Italien erhält?

    Auf jeden Fall. Wir rechnen damit, daß die Italiener ihm Asyl
    gewähren. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann werden wir ihn
    nicht allein lassen.

    F: Befürchten Sie nicht, daß Deutschland die Auslieferung verlangen
    könnte und Italien dann schwerlich nein sagen kann?

    Das hoffen wir natürlich nicht. Mein eigener Sohn war sechseinhalb
    Jahre in Deutschland inhaftiert, und in vielen Fällen ist kein
    Unterschied auszumachen zwischen dem Verhalten der Deutschen und
    der Türken. In diesem Fall glauben wir, daß Deutschland keinen
    Auslieferungsantrag stellen wird.

    F: Warum war Ihr Sohn sechseinhalb Jahre in Haft?

    Er wurde in einem PKK-Prozeß verurteilt.

    F: Gibt die PKK jetzt den bewaffneten Kampf auf und sucht die
    politische Lösung?

    Die PKK hat schon dreimal einseitig den Waffenstillstand erklärt.
    Seit dem letzten Mal sind 100 unserer Genossen gefallen. Wenn der
    Westen mehr Druck auf die Türkei ausüben würde, damit sie diesem
    Waffenstillstand ähnliche Taten folgen läßt, würde die PKK die
    Waffen ganz niederlegen. Aber ich will unterstreichen, daß wir
    sowohl zu einer politischen Lösung als auch zum Kampf bereit sind.

    F: Beunruhigt Sie die angespannte Stimmung in der Türkei zwischen
    Kurden und Türken?

    Die Kurden sind friedlich. Der türkische Staat aber läßt die
    Parteibüros der kurdischen HADEP überfallen. Hunderte Menschen
    wurden verhaftet, die Büros geplündert und alles kurz und klein
    geschlagen. Die Türkei stützt sich vor allem auf drei Länder:
    Deutschland, Israel und die USA.

    Deutschland hat die Waffen und Panzer geliefert, mit denen die
    Menschen zu Tode geschleift wurden. Deutschland, England und die
    USA sollten keine Waffen an die Türkei liefern, weil diese Waffen
    gegen die Kurden gerichtet werden.

    Die Türkei ist wirtschaftlich am Ende. Ohne die Unterstützung der
    USA und ohne den Drogenschmuggel würde sie ökonomisch nicht
    weiterkommen und wäre bald pleite. Das ist nicht das erste Mal, daß
    ich mit der Unterdrückung durch den türkischen Staat konfrontiert
    bin.

    Ich komme aus Dersim in Kurdistan. Ich habe den Aufstand 1938 in
    Dersim miterleben müssen. Damals wurden 80 000 Menschen
    niedergemetzelt, Zehntausende hingerichtet. Und die, die überlebt
    haben, werden, was vor 60 Jahren geschah, nicht vergessen. Die
    Saat, die damals gesät wurde, trägt jetzt Früchte.

    Interview: Cyrus Salimi-Asl, Rom