Während die Wut auf Italien abebbt, rückt Bonns Botschafter ins Visier der türkischen Presse
Es gibt wieder Gorgonzola in Istanbul, man kann wieder ungestraft Spaghetti
kaufen. Sogar die türkischen Filialen des italienischen Modemachers
Benetton haben ihren Schaufensterpuppen die schwarzen Kleider wieder ausgezogen,
die man ihnen aus Protest gegen die Weigerung der italienischen Regierung
übergestreift hatte, den Führer der „Arbeiterpartei Kurdistans“
(PKK), Abdullah Öcalan, auszuliefern.
Der Zorn der Türkei über Italien ist ebenso schnell verpufft,
wie er entstanden war – obschon sich an der Ausgangslage nichts geändert
hat: Öcalan sitzt weiterhin in einem luxuriösen Hausarrest in
Rom, an seine Auslieferung an die Türkei ist nicht zu denken. Zudem
ist weiter unklar, welches Gericht ihn – wenn überhaupt – aburteilen
soll. Bedauerlich wenig Echo hat der Vorschlag eines deutschen Juristen
gefunden, den PKK-Chef vor ein türkisches Gericht zu stellen, das
in Italien tagt.
Vorsorglich hat nun ein Teil der türkischen
Massenmedien ein neues Feindbild entdeckt:
Deutschland. Das Massenblatt Hürriyet schoß sich sowohl
in seiner Deutschland-Ausgabe als auch im Istanbuler Hauptblatt auf den
deutschen Botschafter in Ankara, Hans-Joachim Vergau, ein. Der hatte
sich „erdreistet“ (O-Ton Hürriyet), die amtliche Bonner Linie wiederzugeben,
daß das Kurdenproblem nicht allein die Türkei etwas anginge,
sondern auch Deutschland mit seiner kurdisch-stämmigen Minderheit.
Ganz scharf schoß Hürriyet-Kolumnist Fatih Altayli, der
Bonn Einmischung in innere Angelegenheiten vorwarf. Altayli war schon früher
aufgefallen, als er ankündigte, er werde nach Rom fahren und Öcalan
persönlich zurückschaffen. Nun titulierte er Botschafter Vergau
als „Analphabeten“ und meinte, daß Ankara ein viel größeres
Recht habe, sich in deutsche Dinge einzumischen. Schließlich
lebten mehr Türken als Kurden zwischen Nordsee und Alpen, und deren
Menschenrechte seien ein Anlaß zur „Sorge“.
In den Rauchschwaden der Mediensalven ist ein Punkt untergegangen:
Die Türkei hat offenbar kein Interesse an den Aussagen Öcalans.
Denn die Regierung in Ankara hat zwar mit einiger Verzögerung einen
Auslieferungsantrag gestellt. Aber bisher hat noch kein türkischer
Staatsanwalt den „Staatsfeind Nummer eins“ in Rom verhört, obwohl
die Justiz das Recht dazu hätte. Eine Erklärung für dieses
Verhalten gibt es nicht.
Wolfgang Koydl
sz, 15.12.98