Stuttgarter Zeitung 24.12.98

Ankara: Parteiloser soll Regierung bilden

ANKARA (dpa). Der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel hat gestern in Ankara den amtierenden parteilosen Industrie- und Handelsminister Yalim Erez mit der Regierungsbildung beauftragt. Nach dem rund 30minütigen Gespräch mit Demirel sagte der 54jährige kurdisch-stämmige frühere Geschäftsmann vor Journalisten im Präsidialpalast, er wolle sich um eine Koalition des Konsenses und des Dialogs auf breiter Basis bemühen.
¸¸Ich stehe in gleichem Abstand zu allen Parteien im Parlament’’, sagte Erez. Sein erster Verhandlungspartner werde der Vorsitzende der islamistischen Tugendpartei, Recai Kutan, sein, weil er über die größte Fraktion verfüge. Danach werde er mit allen Parteichefs nach der Reihenfolge ihrer Fraktionsstärken zusammenkommen. Die vom amtierenden Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz geführte Drei-Parteien-Koalition war vor einem Monat durch ein Mißtrauensvotum gestürzt worden. Sein Stellvertreter Bülent Ecevit hatte zu Wochenbeginn den Auftrag zur Regierungsbildung zurückgegeben.



Tatblatt 24.12.98

Parteiloser Erez soll Türkei regieren

Der türkische Präsident Demirel hat gestern den bisherigen Industrie- und Handelsminister Yalim Erez mit der Bildung einer neuen Regierung betraut.  Erez war im bisherigen Kabinett Yilmaz der einzige parteilose Politiker.
Jan Keetman/Istanbul
Vor Erez hatte der Sozialdemokrat Bülent Ecevit vergeblich versucht, eine neue Regierung zu bilden, nachdem Premier Mesut Yilmaz durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden war.  Der 54jährige Erez wurde als Autor eines Berichts der «Vereinigung der Handelskammern und Börsen der Türkei» bekannt. Darin wurde erklärt, das Kurden-Problem sei nicht allein mit militärischen Mitteln zu lösen. Der Bericht schlug vor, den Kurden kulturelle Rechte zuzugestehen und die Region wirtschaftlich zu entwickeln. Mit der Entscheidung, keinen Parteiführer mit der Regierungsbildung zu beauftragen, versucht Präsident Demirel, die Blockierung der Innenpolitik durch die Zerstrittenheit der grossen türkischen Parteien zu überwinden. Gelingt es jedoch auch Erez nicht, eine Regierung zu bilden, kann Demirel eine Experten-Regierung einsetzen, die nicht vom Parlament bestätigt werden muss, aber innert 45 Tagen Neuwahlen durchführen müsste.