Als »Verräter« in der Türkei im Gefängnis
Deutsche Richter lieferten kurdischen Deserteur politischen Verfolgern
aus
Am 14. Juli 1998 wurde der kurdische Deserteur Abdulmenaf Düzenli
mit seiner schwangeren Frau und den drei kleinen Kindern gewaltsam aus
dem Kirchenasyl in Mutterstadt (Rheinland-Pfalz) gezerrt und in die Türkei
abgeschoben. Am gleichen Tag hatte das zuständige Verwaltungsgericht
in Neustadt einen Eilantrag der Familie abgelehnt mit der Begründung,
es drohe ihr keine politische Verfolgung. Die vorgelegten Dokumente über
ein Verfahren gegen Düzenli vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir
wegen Separatismus wertete das Gericht zu Unrecht als Fälschung- und
machte damit den Weg frei für die Abschiebung. In Istanbul angekommen,
wurde Herr Düzenli wegen Fahnenflucht verhaftet. Er wurde zunächst
von der »Anti- Terror-Polizei« unter Schlägen verhört,
dann den Istanbuler Militärbehörden übergeben, die ihn an
seine Einheit nach Izmir überstellten. Inzwischen sitzt er im Militärgefängnis
in Izmir in Isolationshaft, wo er als »Vaterlandsverräter«
militärischem Drill unterworfen und gezwungen wird, mehrmals täglich
die türkische Nationalhymne und Soldatenlieder zu singen. Am 23.November
wurde er vom Militärgericht Izmir wegen Desertion zu zweieinhalb Jahren
Haft verurteilt. Parallel hierzu ist ein Verfahren gegen Düzenli wegen
»Separatismus« vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir
anhängig. Grundlage der Anklage ist die schriftliche Kriegsdienstverweigerung,
die Düzenli aus Deutschland »als Kurde« mit Menschenrechtsverletzungen
in der Türkei begründet hatte. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung
gibt es in der Türkei jedoch nicht. Düzenli droht eine weitere
Haftstrafe zwischen einem und drei Jahren.
Der Fall Düzenli macht deutlich, daß die deutsche Rechtssprechung,
wonach Desertion und die Verweigerung des Kriegsdienstes in der Türkei
lediglich als »Straftat« zu bewerten sei und keine politische
Verfolgung nach sich zöge, nicht aufrecht erhalten werden kann. Anders
als in Deutschland hat das höchste holländische Gericht in Den
Haag in mehreren aufsehenerregenden Entscheidungen festgestellt, daß
»Kriegsdienstverweigerung aufgrund der Angst, gegen das eigene Volk
oder die Familie eingesetzt zu werden, (...) ein Grund für die Anerkennung
des Flüchtlingsstatuts« sein kann.
Kai Weber, Förderverein des Niedersächsischen Flüchtlingsrats