Die Türkei verrennt sich
ÖCALAN
Als Abdulah Öcalan am 12. November in Rom in Haft genommen wird,
ist wie das Ende einer langen Jagd: Der Kurdenführer ist gestellt,
jetzt soll einen Gericht über seinen Anteil am endlosen Blutvergießen
im Krieg zwischen der Türkei und den Kurden urteilen.
Doch die Deutschen wollen ihn nicht, Haftbefehl hin oder her. Die neue
Bundesregierung fürchtet um den inneren Frieden im Land und läßt
Rechtsprinzipien außer acht. Schließlich hebt Italien den Hausarrest
über Öcalan sogar auf. Denn an die Türkei soll der Kurdenführer
in keinem Fall ausgeliefert werden das Land ist kein sicher funktionierender
Rechtsstaat, schon gar nicht, wenn es gegen den „Staatsfeind Nummer Eins“
geht. Das wird den Türken unmißverständlich klargemacht
und verstärkt den Trend des ganzen Jahres: Unter schrillen Tönen
driften die Türkei und Europa auseinander. Ankara ist stark verärgert
und in seinem Stolz verletzt, daß es nicht in den erweiterten Kreis
der möglichen EU-Beitrittskandidaten aufgenommen worden war. Premier
Mesut Yilmaz versteigt sich zu Tiraden gegenüber dem einstigen Freund
Deutschland. Mehrfach greift Yilmaz den damaligen Bundeskanzler Kohl persönlich
an. Das deutsch-türkische Verhältnis wird schwer strapaziert.
Auch gegenüber dem Nato-Partner Italien läßt sich Yilmaz
zu massiven Drohungen hinreißen, sogar von Krieg war die Rede, sollte
Italien die PKK weiterhin unterstützen. Seine kämpferische Rhetorik
soll ihm auch Punkte in der heimischen Innenpolitik sichern, doch daraus
wird nichts. Ende November stürzt seine Regierung über ein Mißtrauensvotum;
die Türkei steht wieder vor einer Phase innenpolitischer Unruhe. „Das
21. Jahrhundert wird ein türkisches sein“, hatte der türkische
Staatspräsident Süleyman Demirel noch Mitte des Jahres verkündet.
Doch am Ende des Jahres 1998 dümpelt die Türkei mit unbewältigten
Problemen und in innenpolitischer Lethargie dahin erschreckend weit
entfernt von Europa, an das das Land sich doch eigentlich anlehnen will.
al