DIE WELT 28.12.98

Die Türkei verrennt sich
ÖCALAN

Als Abdulah Öcalan am 12. November in Rom in Haft genommen wird, ist wie das Ende einer langen Jagd: Der Kurdenführer ist gestellt, jetzt soll einen Gericht über seinen Anteil am endlosen Blutvergießen im Krieg zwischen der Türkei und den Kurden urteilen.
Doch die Deutschen wollen ihn nicht, Haftbefehl hin oder her. Die neue Bundesregierung fürchtet um den inneren Frieden im Land und läßt Rechtsprinzipien außer acht. Schließlich hebt Italien den Hausarrest über Öcalan sogar auf. Denn an die Türkei soll der Kurdenführer in keinem Fall ausgeliefert werden ­ das Land ist kein sicher funktionierender Rechtsstaat, schon gar nicht, wenn es gegen den „Staatsfeind Nummer Eins“ geht. Das wird den Türken unmißverständlich klargemacht ­ und verstärkt den Trend des ganzen Jahres: Unter schrillen Tönen driften die Türkei und Europa auseinander. Ankara ist stark verärgert und in seinem Stolz verletzt, daß es nicht in den erweiterten Kreis der möglichen EU-Beitrittskandidaten aufgenommen worden war. Premier Mesut Yilmaz versteigt sich zu Tiraden gegenüber dem einstigen Freund Deutschland. Mehrfach greift Yilmaz den damaligen Bundeskanzler Kohl persönlich an. Das deutsch-türkische Verhältnis wird schwer strapaziert. Auch gegenüber dem Nato-Partner Italien läßt sich Yilmaz zu massiven Drohungen hinreißen, sogar von Krieg war die Rede, sollte Italien die PKK weiterhin unterstützen. Seine kämpferische Rhetorik soll ihm auch Punkte in der heimischen Innenpolitik sichern, doch daraus wird nichts. Ende November stürzt seine Regierung über ein Mißtrauensvotum; die Türkei steht wieder vor einer Phase innenpolitischer Unruhe. „Das 21. Jahrhundert wird ein türkisches sein“, hatte der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel noch Mitte des Jahres verkündet. Doch am Ende des Jahres 1998 dümpelt die Türkei mit unbewältigten Problemen und in innenpolitischer Lethargie dahin ­ erschreckend weit entfernt von Europa, an das das Land sich doch eigentlich anlehnen will. al