Neue Zürcher Zeitung 28.12.1998

Annäherung zwischen Kairo und Ankara

Ägypten will die Türkei fester an die arabische Welt binden

Die beiden letzten Besuche des ägyptischen Präsidenten Mubarak in Ankara haben zu einem deutlichen Aufschwung in den türkisch-ägyptischen Beziehungen geführt. Während Mubaraks Blitzbesuch im Oktober der Rettung des Friedens zwischen der Türkei und Syrien gegolten hatte, war die Reise im Dezember ein seit Monaten geplanter Staatsbesuch.
ber. Kairo, im Dezember
 

Der ägyptische Präsident Mubarak ist kein seltener Gast in Ankara, ebensowenig wie der türkische Staatspräsident Demirel in Kairo. Innerhalb der letzten drei Jahre haben sich die beiden Staatschefs sechsmal getroffen. In den vergangenen Monaten intensivierten sich die Besuche. Im vergangenen Oktober reiste der ägyptische Präsident nach Ankara, um zwischen der Türkei und Syrien zu vermitteln, nachdem der Krieg der Worte zwischen den beiden seit langem verfeindeten Nachbarländern gefährliche Proportionen angenommen hatte. Mubaraks Reise im Dezember nach Ankara war hingegen der erste Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten in der Türkei.
Dessen Zweck war es, die bestehenden bilateralen Beziehungen zu vertiefen.

Lange gemeinsame Geschichte
Laut dem ägyptischen Vizeaussenminister für europäische Angelegenheiten, Fathi ash-Shazli, gibt es zahlreiche Gründe für den Wunsch Kairos, die Beziehungen zur Türkei auszubauen. Er verweist zunächst auf die gemeinsame Geschichte. Ägypten war von 1517 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Teil des Osmanischen Reichs. Einerseits wird die türkische Fremdherrschaft bis heute häufig als Zeit der Ausbeutung und des Niedergangs dargestellt. Andrerseits ist aus jener Epoche die Vermischung mit den Türken durch Einheirat nicht wegzudenken. Diese war auf Grund des gemeinsamen islamischen Glaubens möglich. Die türkische Fremdherrschaft wird in einem positiveren Licht gesehen als die spätere Besetzung durch die Engländer.
Laut ash-Shazli spielen neben der gemeinsamen Vergangenheit die Grösse und das politisches Gewicht der beiden Mittelmeerländer die Hauptrolle beim Ziel, die politischen Kontakte zu vertiefen. Ägypten war in seiner langen Geschichte nur in den achtziger Jahren nach seinem Separatfrieden mit Israel innerhalb der arabischen Welt isoliert. Seither spielt es eine führende Rolle bei der Förderung des Friedensprozesses und bei der Verständigung unter den Arabern. Nicht zuletzt spiegelt sich das im Kairoer Wolkenkratzer des Aussenministeriums wider. Mit seinen 3000 Angestellten und den angeschlossenen 150 Botschaften und Konsulaten im Ausland betreibe Kairo die aktivste Aussenpolitik der arabischen Welt, erklärt der Vizeminister. Diese Politik verfolge zwei Ziele: die Schaffung und Verstärkung des Friedens in der Region und zweitens deren politische und wirtschaftliche Entwicklung.

Gegengewicht zu Israel
Diese Zielsetzung wird dadurch eingeschränkt, dass Ägypten grundsätzlich den arabischen Ländern stärker verpflichtet ist als etwa der Türkei. So gab Mubarak Syrien zwar zu verstehen, dass dessen Unterstützung der PKK der Hilfestellung von Terroristen gleichkomme. Gleichzeitig liess er aber in Ankara keinen Zweifel daran, dass die Türken einen dauerhaften Frieden mit Syrien nur haben könnten, wenn sie die Wasserfrage gerecht lösten. Den dritten Streitpunkt dagegen, die sich in jüngster Zeit verstärkenden türkisch-israelischen Beziehungen, spielten Mubarak und sein Aussenminister herunter. Nach der letzten Israelreise des türkischen Regierungschefs Yilmaz war die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit der beiden Länder vereinbart worden. Diese hatte 1996 mit einem Vertrag zur militärischen Kooperation ihren Anfang genommen und sich rasch zu einer strategischen Partnerschaft entwickelt. Laut der ägyptischen Diplomatie liegt darin keine Gefahr, solange der Friedensprozess planmässig weiterläuft. Solche und ähnliche Abkommen könnten im Gegenteil Israel bei seiner Integration im Nahen Osten helfen, für die es letztlich keine Alternative gebe.
Was die Diplomaten verschwiegen, sagte die ägyptische Presse um so deutlicher. Mit der Vertiefung der Beziehungen zwischen Ägypten und der Türkei solle ein Gegengewicht zur türkisch- israelischen Militärallianz und der von Amerika bevorzugten Achse Türkei - Israel - Jordanien gebildet werden., hiess es in den Leitartikeln. Der ägyptische Staatsbesuch und die daraus resultierenden Abkommen würden die Bemühungen Israels neutralisieren, die islamische Welt zu spalten. Der türkische Botschafter in Kairo bestätigte, dass ein Grund für die stärker werdende Bindung der Türkei an Israel in der Furcht liege, in der arabischen Welt zunehmend isoliert zu werden.

Verdoppelung des Handelsvolumens
Neben mehreren Ministern begleitete auch eine grosse Delegation ägyptischer Geschäftsleute Mubarak nach Ankara. Ihr gehörten die sieben wichtigsten ägyptischen Unternehmer an. Laut ash-Shazli ist man zur Überzeugung gelangt, dass Handel und wirtschaftliche Abkommen ebenfalls der Erhaltung des Friedens dienten und die Entwicklung der Region beeinflussten. Ägypten hat im vergangenen Jahr an die Türkei Waren im Gesamtwert von 305 Millionen Dollar geliefert und türkische Güter im Wert von 284 Millionen Dollar importiert. Als neues Ziel wurde deklariert, den gegenseitigen Warenverkehr im kommenden Jahren auf eine Milliarde und bis 2005 auf zwei Milliarden zu erhöhen. Damit würde die Türkei zu Ägyptens wichtigstem Handelspartner noch vor Saudiarabien werden. Auch sind Freihandelszonen am Schwarzen Meer beziehungsweise in Suez geplant, die für die Türkei den afrikanischen und für Ägypten den zentralasiatischen Markt erschliessen sollen. Diskutiert wurde ausserdem die Schaffung einer Gaspipeline von Alexandria quer durchs Mittelmeer zur türkischen Küste. Ägypten sucht bereits seit längerer Zeit nach einem Abnehmer für seine reichen Erdgasvorkommen.