Main Echo 30.12.98

USA registrieren keine Flüge irakischer Maschinen
15 Demonstranten vor dem Weißen Haus festgenommen
Washington. Die USA und Großbritannien haben bisher keine Flüge irakischer Maschinen in den Flugverbotszonen registriert, wie Sprecher der
Verteidigungsministerien mitteilten. Beide Regierungen erklärten aber, daß sie das Verbot irakischer Flugbewegungen in den beiden Zonen im Norden und Süden
Iraks durchsetzen wollten. Zuvor hatte die Führung in Bagdad erklärt, Irak würde sich nicht an das Verbot halten und auf feindliche Maschinen feuern.
Am Montag war es zu Gefechten zwischen irakischen Stellungen und US-Kampfflugzeugen gekommen. Dabei wurden vier irakische Soldaten getötet. Die Zonen
wurden nach dem Golfkrieg zum Schutz von Kurden und Schiiten gegen Luftangriffe irakischer Flugzeuge eingerichtet. Vor dem Weißen Haus in Washington wurden
am Dienstag 15 Demonstranten festgenommen, die gegen die Irakpolitik der USA protestierten. Nach Polizeiangaben blockierten die Demonstranten den Gehweg
vor dem Sitz des US-Präsidenten und versprühten eine rote Substanz. Weitere Demonstranten, die sich in der Nähe aufhielten, forderten in Sprechchören ein Ende
der UN-Sanktionen gegen das arabische Land.



Frankfurter Rundschau 30.12.98

Rückkehr zur Politik
Die USA und ihr Knappe Großbritannien sollten zurückkehren zu einer von der Weltgemeinschaft getragenen Politik
Von Katharina Sperber
Wie peinlich. Jetzt müssen hohe US-Militärs dementieren, daß die irakische Luftabwehr eines ihrer Flugzeuge abgeschossen hat. War die Operation „Wüstenfuchs“ nicht dazu bestimmt, Iraks Diktator zu zwingen, allen Auflagen der Vereinten Nationen nachzukommen? Das Gegenteil ist eingetreten, Saddam Hussein läßt die Waffeninspektoren nicht mehr ins Land und schert sich einen Teufel um die von den Alliierten im zweiten Golf-Krieg bestimmten Flugverbotszonen.
Saddam weiß, daß die UN das Flugverbot still akzeptierten, um die Kurden im Norden Iraks und die Schiiten im Süden vor seinen Angriffen zu schützen. Jetzt, wo die Irak-Politik der UN dahin ist, kann Saddam darauf bauen, daß sich Mitglieder des Sicherheitsrates der anglo-amerikanischen Interpretation des quasi von den UN gedeckten Flugverbots nicht mehr anschließen.
Wieso führt die einzige Supermacht so verbissen diesen Krieg gegen Saddam, der 21 Millionen Iraker dabei als Geiseln nimmt? Um wenigstens dem Eindruck zu wehren, die USA rührte letzteres nicht, müht sich US-Präsident Bill Clinton, seit Tagen irgendeinen Sinn in das Vorgehen der anglo-amerikanischen Allianz hineinzureden. Ohne Erfolg. Die arabischen Verbündeten rücken ab, verborgen hinter durchsichtigen Verbal-Attacken des ägyptischen Präsidenten gegen Irak, der allen Grund hat, den USA für materielle und ideelle Unterstützung gegen die Islamisten am Nil dankbar zu sein.
Washington bekommt mit Nachdruck eine Frage auf den Tisch, die US-Politiker nicht gern hören mögen, schon gar nicht laut. Sogar in Saudi-Arabien fragen Journalisten (die selbstredend nicht unabhängig vom Herrscherhaus denken, sonst wären sie dort ja keine Reporter): Warum darf Israel UN-Resolutionen ungestraft brechen, während die USA gegen Irak kein Pardon kennen? Diese anschwellende Unzufriedenheit sollten die USA, mit ihren sogenannten vitalen Interessen an Erdöl und -gas im Nahen Osten nicht kalt lassen. Die befreundeten Monarchen, Diktatoren und die semi-demokratisch gewählten Politiker herrschen über Untertanen, die in ihrer Mehrheit Saddam als Held sehen. Washington kann nicht wissen, wie sich diese Herren entscheiden werden, ist deren Macht erst bedroht.
Die USA schütten derzeit im Überfluß Öl ins Feuer und gefährden damit die Sicherheit Israels, die sie vorgeben zu schützen. Clinton kann man kein glückliches Händchen in der Nahost-Politik nachsagen. Vieles hat er versucht, alles ist gescheitert: Frieden bleibt nicht nur zwischen Israel und Palästinensern, sondern in der ganzen Region ein Fremdwort.
Die USA und ihr Knappe Großbritannien sollten zurückkehren zu einer von der Weltgemeinschaft getragenen Politik. Franzosen, Russen und Chinesen sowie die Nachbarn Iraks sind an Geschäften interessiert.  Deswegen reden sie normalen Beziehungen zu Saddam das Wort. Auch ihnen geht es um sogenannte vitale Interessen. Moskau beispielsweise möchte die Schulden Bagdads eintreiben, weil in Rußland jeder Dollar gelegen kommt.
So einfach aber sollte der Massenmörder nicht zurückkehren dürfen auf die internationale Bühne. Auch eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts muß bessere Ziele kennen, als allein den Reibach. Kann Saddam aber damit rechnen, daß die Sanktionen gegen sein Land gelockert werden, wenn er sich wohl und den internationalen Gepflogenheiten entsprechend verhält (dazu gehört Abrüstung, in dem Maße, wie sie international überhaupt zu überwachen ist), dann wird er sich - unberechenbar gewiß - aber doch mühen, weil sein Gewinn beträchtlich wäre: Er reüssiert innen- und außenpolitisch, ohne Macht einzubüßen.
Kein unwichtiger Nebeneffekt: den Irakerinnen und Irakern wird es ein klein wenig besser gehen. Und erinnern wir uns: Vor Saddams Überfall auf Kuwait und die folgende achtjährige Abrüstung unter Sanktionen war Irak kein rückständiger Felachenstaat, sondern ein modernes Industrieland, unter Militärherrschaft zwar, aber mit einer Alphabetisierungsquote und Frauenrechten, von denen die Menschen in Saudi-Arabien oder Jordanien nur träumen dürfen.
Soll das heißen, mit Saddam, die politische Lösung vorantreiben? Ja! Es gibt derzeit keine andere Möglichkeit und eröffnet vielleicht einer Opposition überhaupt etwas Luft zum Atmen.
Das geht nicht? Doch: Die USA haben ein gutes Beispiel geliefert. Der syrische Diktator Hafis al-Assad wurde vor acht Jahren von der Liste der internationalen Terroristen gestrichen, weil er sich auf die Seite der Anti-Saddam-Koalition schlug. Hafis al-Assad! Ein Mann, der die islamistische Opposition blutig zu Tausenden metzelte, der mit Geheimdiensten und Militär Syrien unter seiner Knute hält, der sich Libanon nach dem Bürgerkrieg, den er kräftig schürte, einverleibte, der fast täglich Israel mit Katjuscha-Raketen angreifen läßt, via Hisbollah in Südlibanon. Wodurch unterscheidet sich denn Hafis al-Assad von Saddam Hussein? Der eine wurde, als es opportun war, zum good guy erklärt, während der andere ewig der böse Bube bleiben soll? Das kann niemand ernsthaft Politik nennen.