Salzburger Nachrichten, 15.05.2002

Die Kurden bleiben auf der Strecke

Den USA und der EU ist der Anti-Terror-Verbündete Türkei wichtiger als Minderheitenrechte

BIRGIT CERHA

ANKARA (SN). Seit mehr als zweieinhalb Jahren hält sich die "Kurdische Arbeiterpartei" PKK im Ringen um die nationalen Rechte des kurdischen Volkes in der Türkei an einen Waffenstillstand. Während sich Tausende Guerillas auf Anordnung des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan aus dem Land zurückzogen, liefern einige wenige andere türkischen Sicherheitskräften nur dann Gefechte, wenn sie angegriffen werden.

Wiewohl Ankara von Waffenstillstand nichts wissen will und der PKK unverändert den Krieg "bis zur Vernichtung" androht, hat Öcalans Organisation die alte kämpferische Rhetorik gestrichen. In ihrer Propaganda haben Worte wie Friede, Versöhnung und Demokratie Begriffe wie Selbstbestimmungsrecht oder Kampf gegen Unterdrückung vollends verdrängt.

Kurz gesagt: Die PKK versucht seit Öcalans Verurteilung zum Tode im Jahr 1999 alles, um die Türkei nicht zu provozieren. Um den Bruch mit der militärischkämpferischen Vergangenheit zu besiegeln und die ersehnte Integration in die türkische Politik zu erleichtern, hat sie jetzt auch noch ihren Namen geändert. Sie heißt nun "Demokratie und Freiheitskongress Kurdistans" (KADEK). Ihr bewaffneter Arm nennt sich künftig "Nationale Verteidigungskraft". Damit ist klar gestellt, dass sich der Kampf ausschließlich auf Schutz gegen Angriffe beschränkt. Von einem unabhängigen kurdischen Staat ist längst nicht mehr die Rede, ja nicht einmal mehr von Autonomie. Einzig kulturelle Rechte, wie die Verwendung der kurdischen Muttersprache in Schulen und im Fernsehen, erfleht die KADEK - ein Recht, das so selbstverständlich ist, dass man darum nicht einmal bitten dürfte.

Doch Ankara bleibt unerbittlich. Der mächtige, von Generälen dominierte "Nationale Sicherheitsrat" nennt die Forderung nach Unterricht in kurdisch einen "subversiven Akt", das Eintreten für kulturelle Rechte der Kurden wird unvermindert mit Gefängnis bestraft.

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der EU, die PKK auf die Liste der Terrororganisationen zu setzen, zutiefst beunruhigend. Sie entbehrt jeder Logik, da die PKK seit zweieinhalb Jahren glaubhaft alles tut, um sich vom Makel des Terrors zu befreien. Jene, die seit dem 11. September befürchten, Grundrechte von Menschen und Völkern könnten in dem von den USA angeführten Anti-Terrorkampf auf der Strecke bleiben, fühlen sich bestätigt.

Es besteht kein Zweifel, dass sich die EU dem Druck der USA beugte. Washington liegt mehr denn je daran, Ankara bei Laune zu halten. Im Anti-Terror-Krieg kommt der Türkei eine zentrale strategische Rolle zu, nun auch als Führerin der internationalen Friedenstruppe in Afghanistan. Für solche Dienste wollen die Türken belohnt werden, nicht zuletzt auch, indem die EU nicht allzu energisch auf die Achtung von Minderheitenrechten pocht und schon gar nicht den Namen "Kurden" in offiziellen Dokumenten erwähnt. Auf der Strecke bleiben wieder einmal - wie so oft in der Geschichte - die Kurden.