junge welt , 03.01. 2003 Interview: Rüdiger Göbel
Ich will mir persönlich ein Bild von einem Land machen, das bei uns in den Medien nur in Klischees dargestellt wird. Hinzu kommt ein emotionaler Moment: Ich stelle mir vor, hier in München wüßten wir alle, in drei Wochen würden wir bombardiert. Was würde in mir vorgehen, was würde mir passieren, wie würde ich versuchen, das meinen Kindern zu erklären, wie würde ich meine Familie schützen, welchen Groll würde ich haben... Diese Dinge gehen mir im Zusammenhang mit meiner Reise nach Bagdad durch den Kopf. Ich möchte dort Menschen treffen und mit ihnen reden. Ich möchte ihnen auch ein bißchen Mut machen, sofern das überhaupt möglich ist. Wenigstens aber will ich die Solidarität von Friedensgruppen überbringen, damit die Iraker nicht das Gefühl haben, die ganze Welt ist gegen sie. Ich will auch für mich etwas gewinnen: ich glaube, daß mir die Menschen im Irak mehr geben können als ich ihnen. Vor zwei Tagen habe ich einen Iraker, der mich begleiten und dolmetschen wird, gefragt: Was kann ich tun, außer ein paar Medikamente mitzunehmen, um zu helfen? Er erklärte mir: »Kommen Sie zurück und erzählen Sie, was das Embargo bewirkt hat. Erzählen Sie das, was Sie gesehen haben. Damit können Sie uns am meisten helfen, denn mir, sagte er, glauben die Leute nicht. Bei mir sagen sie, der ist befangen, der ist ja ein Iraker. Ihnen könnte man Glauben schenken.« Im Nachhinein ist das der Hauptgrund meiner Reise geworden. F: Werden Sie im Irak auch ein Konzert geben? Es ist vorgesehen, obwohl ich noch keine Ahnung habe, ob das auch wirklich klappen kann. Ich brauche einen Flügel oder wenigstens ein Klavier – ich habe schon oft bedauert, daß ich kein Gitarrist bin, gerade in solchen Fällen oder auf Demos wäre es einfacher. So oder so, ich werde am kommenden Freitag abend zusammen mit irakischen Musikern im Kulturcafé in Bagdad spielen. F: Sind auch Begegnungen mit offiziellen Stellen geplant? Das liegt nicht in meiner Intention. Zweifellos wird es aber mit staatlichen und halbstaatlichen Stellen zu Berührungen kommen. Wir zahlen allerdings unsere Reise selbst und bleiben unabhängig. Es fahren noch zwei Vertreter von der Evangelischen Kirche mit in den Irak. Es besteht ein enger Kontakt zwischen den christlichen Gemeinden unserer Länder, etwa zwischen Mossul und Heidelberg. Im Irak herrscht eine große religiöse Toleranz. Wer weiß denn hierzulande, daß es dort zum Beispiel eine jüdische Gemeinde mit drei Synagogen oder eine große christliche Gemeinde gibt, und daß sie unbehelligt in der moslemischen Welt leben können. F: Der Chor der Kritiker wird sich schon einstimmen: Konstantin Wecker unterstützt mit seiner Reise Saddam Hussein... Ja, das ist leider das Ergebnis einer zielgerichtete Propaganda, die Hussein mit einem ganzen Volk gleichsetzt. Man braucht gar nicht darüber zu diskutieren, Saddam Hussein ist ein Diktator und hat Schreckliches getan, unter anderem auch über viele Jahre hinweg mit der Unterstützung Deutschlands. Als vor zehn Jahren hier für irakische Kinder gesammelt wurde, haben viele nichts gegeben mit dem Argument, da werden doch lauter kleine Husseins draus ... Die Propaganda führt heute so weit, daß man jede Form von Mitgefühl verliert. In Talkshows wird immer nur über Politik, über Wirtschaft und über logistische und militärische Dinge gesprochen anstatt über Menschen. Ich habe noch in keiner der Gesprächsrunden, in denen wieder alle großen Bellizisten versammelt sind, erlebt, daß über Menschen gesprochen wurde. Das unglaubliche Embargo und was es bei den einzelnen Menschen anrichtet, wird komplett ausgeblendet. Irak ist sowieso von einem Diktator geknechtet, muß es auch noch durch grausame Sanktionen geknechtet werden? Dem muß man entgegentreten können. Es geht nicht um Parolen, um Ideologien, um Fahnen, sondern es geht um Menschen. In Kriegen geht es immer um Menschen. Unter jeder Bombe liegt wenigstens ein totes Kind. Ich kann und ich werde daher das Argument nicht gelten lassen, daß ich mit meiner Reise Hussein unterstützen würde. Da ich nun einmal in einer Demokratie lebe, möchte ich mir die Freiheit nehmen, mich vor Ort zu informieren. Es ist doch unglaublich, wenn man hört, Bush habe mittlerweile Angst, der Irak würde die USA angreifen. Für wie dumm muß man sein eigenes Volk halten, um ihm so etwas weismachen zu wollen. Das ist keine Posse mehr, das nimmt schon Züge eines absurden Theaters an. F: Ist damit zu rechnen, daß irakische Künstler zum Gegenbesuch eingeladen werden – etwa zum gemeinsamen Konzert bei der großen Antikriegsdemonstration am 15. Februar? Das will ich in jedem Fall.
Ich weiß allerdings noch nicht, inwieweit die Künstler im Irak
aus- und hier einreisen dürfen.
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