taz, 13.03.2003

(Kommentar)

TÜRKEI: NEUER MINISTERPRÄSIDENT WILL KEINEN NEUEN PROZESS

Öcalan kehrt in die Politik zurück

Für den neuen türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan kommt es an seinem ersten Amtstag gleich knüppeldick. Noch hat er sein neues Kabinett nicht vorgestellt, da ist George Bush bereits am Telefon wegen Irak, Kofi Annan erklärt den Zypern-Friedensplan für gescheitert, und zuletzt bescheinigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Türkei, den Kurdenführer Abdullah Öcalan vor drei Jahren in einem unfairen Verfahren zum Tode verurteilt zu haben.

Von diesen drei Ereignissen ist das Letzte zwar das am wenigsten schwer wiegende, doch es bleibt eine Ohrfeige für den türkischen Staat und seine Justiz. Die Türkei wird gegen das Urteil Einspruch einlegen und behauptet gleichzeitig präventiv, Öcalan habe trotz des Verdikts aus Straßburg kein Recht auf einen neuen Prozess. Und selbst wenn, würde das Urteil doch wieder genauso ausfallen. Das ist nicht gerade Ausweis eines veränderten rechtsstaatlichen Verständnisses und wird das schlechte Image der Türkei weiter verfestigen. Dabei hat sich seit dem Prozess durchaus einiges getan. Die Todesstrafe wurde abgeschafft, Öcalans Urteil in eine lebenslängliche Gefängnisstrafe verwandelt, und auch die berüchtigten Staatssicherheitsgerichte wurden reformiert. Die aufgeputschte Atmosphäre während des Prozesses gehört der Vergangenheit an, die Kurdenfrage ist seit dem Ende des Guerillakrieges weit in den Hintergrund gedrängt worden. Das kann sich gerade jetzt wieder ändern.

Der drohende Irakkrieg hat bereits zu Spannungen zwischen den Kurden im Irak und der Türkei geführt. Offenbar auch wegen der Irakkrise verweigern die Behörden den Anwälten Öcalans seit Monaten den Zugang zu ihrem Mandanten, was genau zu dem führte, was man eigentlich verhindern wollte: Schon hat die PKK angekündigt, wieder zu den Waffen zu greifen. Zudem bestätigt nun das Urteil aus Straßburg, was fast alle Kurden sowieso glauben: Abdullah Öcalan ist nicht in einem fairen Strafprozess verurteilt worden, sondern er ist ein politischer Gefangener des türkischen Staates. JÜRGEN GOTTSCHLICH