DIHA, 13. März 2003 Aufruf von Öcalan an Erdogan Istanbul. Nach 14-wöchigem Besuchsverbot konnten Anwälte und Familie gestern erstmalig wieder mit dem KADEK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan zusammentreffen. Nach Aussage der Anwälte will Öcalan weiter zu Frieden, Geschwisterlichkeit und Demokratie beitragen. (...) Auf einer Pressekonferenz teilte RA Mahmut Sakar im Namen der Verteidigung Öcalans heute mit: „Auf Imrali herrschen Isolationsbedingungen wie in sonst keinem Gefängnis in der Türkei. Das Besuchsrecht ist eingeschränkt, das Recht auf den Zugang zu Medien sowie darauf, die eigenen Gedanken niederzuschreiben und zu veröffentlichen, findet keine Anwendung. In den letzten dreieinhalb Monaten hat kein Kontakt zur Außenwelt stattgefunden. Auf unsere Anfrage hat eine CPT-Abordnung Herrn Öcalan besucht. Die Rechte, die in der Türkei allen Gefangenen zustehen, werden auf unseren Mandanten nicht angewandt. Diese Situation widerspricht sowohl von unserem Land unterzeichneten internationalen Abkommen wie auch dem eigenen Gesetz.“ Aufruf an Erdogan Die Isolation Öcalans verstoße nicht nur gegen das Recht, sondern habe auch zu sozialen Spannungen geführt, führte Sakar weiter aus. Öcalan sei jedoch entschlossen, seine seit vier Jahren kontinuierlichen Bemühungen für Frieden, Geschwisterlichkeit und Demokratie fortzusetzen. Sein Mandant habe sich mit folgendem Aufruf an die neue Erdogan-Regierung gewendet: „Wenn Schritte gesetzt werden, werde ich auch im Rahmen meines Einflusses meine Rolle zur Entwaffnung spielen. Wir wollen Frieden. Wenn Erdogan seine Regierung einsetzt, muss für den Frieden der Weg des Dialoges offen sein. Ich möchte zwei Punkte unterstreichen. Erstens, die uneingeschränkte Anwendung von Demokratie und zweitens, die für eine Entwaffnung notwendigen Gesetzesänderungen im Parlament. Dafür müssen die verantwortlichen Kreise ihren Beitrag leisten. Überall sagt Erdogan: ‚Alles für die Türkei’. Und ich sage: ‚Alles für die Gesamtheit einer demokratischen Türkei’.“ ´Verleugnung der kurdischen Identität schwächt die Türkei´ „Der Blick in die Geschichte zeigt, dass die Verleugnung der kurdischen Identität die Türkei immer geschwächt hat. Selbst Abdulhamit konnte die Auflösung des Imperiums nur verhindern, indem er sich den Kurden zugewandt hat. Yavuz hat sich der Kurden angenommen und konnte somit ein Weltreich aufbauen. Alpaslan hat in Silvan 10000 kurdische Soldaten genommen und ist in Anatolien einmarschiert. Auch Mustafa Kemal konnte die Republik nur mit den Kurden gründen. Die heutige Türkei kann sich nur entwickeln, wenn sie sich für die Kurden einsetzt. Dann kann sie zu einer Kraft im Mittleren Osten werden. Wenn im Irak versucht wird, die kurdische Frage mit nationalistischen Methoden zu lösen – das gilt sowohl für die Türkei als auch für Barzani und Talabani – dann wird damit ein kurdisch-türkischer Konflikt ausbrechen, der mindestens hundert Jahre andauern wird. Dadurch wird die kurdische Frage weitere hundert Jahre ungelöst bleiben. Die einzige Lösung ist eine demokratische Regierung, die den Interessen des Volkes entspricht.“ ´Menschenrechtsgerichtshof-Urteil positiv, aber unzureichend´ Mahmut Sakar erinnerte weiterhin daran, dass gestern das Urteil im Falle des am 16. Februar 1999 von Abdullah Öcalan gestellten Antrages veröffentlicht wurde. (...) „Das vom Menschenrechtsgerichtshof veröffentlichte Urteil hat positive Seiten, allerdings beinhaltet es eine enggefasste juristische Betrachtungsweise, die dem Fall nicht gerecht wird. Denn dieser Prozess besitzt Eigenschaften, die die Grenzen des Rechtswesens sprengen. Insbesondere ist es ungenügend, dass das Gericht die unrechtmäßige Verschleppung Herrn Öcalans sowie die internationale Zusammenarbeit in dem Fall nicht behandelt hat. Wir finden es außerdem nicht passend für das Rechtswesen, dass die Haltung der in den Komplott verwickelten Länder keine Bewertung erfährt. Im Revisionsverfahren vor der großen Kammer werden wir diese Punkte bewerten.“ Antwort an Cemil Cicek Bestimmte Bewertungen in politischen Kreise und Medienorganen von gestern und heute stünden im Widerspruch zum Rechtssystem und stellten eine Verdrehung der Tatsachen dar, so Sakar. Insbesondere aus Politikerkreisen werde versucht, schon jetzt negativen Einfluss auf eine Wiederaufrollung des Öcalan-Verfahrens auszuüben. Äußerungen des Justizministers Cemil Cicek zu dem Thema seien sehr unglücklich formuliert. „Wir möchten betonen, dass vor allen anderen der Herr Justizminister das gefällte Urteil achten muss“, so Sakar. ´Keine Entschädigung gefordert’ „In vielen Presseorganen heißt es, dass das Gericht gegen eine Entschädigungszahlung an Herrn Öcalan entschieden hat. Dieser Kommentar entspricht nicht den Tatsachen. Herr Öcalan hat keine Forderung auf Entschädigung gestellt. Diese Tatsache ist auch im Urteil festgehalten. Weil keine Forderung bestanden hat, ist in bezug auf eine Entschädigung kein Urteil gefällt worden“, teilte Sakar mit. Öcalan habe anstatt auf einer Entschädigung auf einer freundschaftlichen Lösung beharrt. Auf
die Fragen von Journalisten zur Gesundheit Öcalans gab Rechtsanwalt
Dogan Erbas an, es bestehe keine ernste gesundheitliche Gefahr, allerdings
habe die jahrelange Isolation sich negativ auf die Gesundheit ausgewirkt.
Auch habe seit längerer Zeit keine Behandlung mehr durch medizinische
Spezialisten stattgefunden. Wie Erbas weiterhin ausführte, sei lediglich
ein einstündiger Besuch bei ihrem Mandanten möglich gewesen.
(...)
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