Neue Zürcher Zeitung, 08.08.2006 Umstrittenes Staudammprojekt am Tigris Ein politisches Druckmittel der Türkei gegen den Irak? Die Türkei hat mit dem Bau eines umstrittenen Staudammes am Tigris begonnen. 37 Dörfer und auch das historische Städtchen Hasankeyf werden dem Wasser weichen müssen. Die Bewohner von Hasankeyf hoffen auf Gerichtsverfahren. Der Staudamm könnte auch als Druckmittel gegen den Irak eingesetzt werden. Kee. Istanbul, 7. August In einer vergleichsweise bescheidenen Feier hat der türkische Premierminister Tayyip Erdogan am Wochenende den Grundstein für eines der grössten Staudammprojekte der Welt gelegt. Durch den 138 Meter hohen und 1,8 Kilometer breiten Damm bei dem Ort Ilisu soll der Tigris zu einem Stausee werden, der etwa zwei Drittel so gross sein wird wie der Bodensee. 73 Dörfer und auch das historische Städtchen Hasankeyf werden im Wasser verschwinden. Ein heikles Thema, insbesondere für viele Kurden, die Hasankeyf als ihre historische Stätte betrachten. Übergangene Bevölkerung Der teilweise in die Felsen gebaute Ort mit rund 4000 Einwohnern hatte vor allem im Mittelalter seine Blüte, seine Geschichte reicht jedoch viel weiter zurück. Als ein «von der Natur und den Menschen Hand in Hand geschaffenes riesiges Denkmal aus Höhlen, Gassen, Läden, Medresen und Kirchen» beschreibt der türkische Archäologe Olus Arik das an einer malerischen Biegung des Tigris gelegene Städtchen Hasankeyf. Der Bau des Staudammes soll im Jahr 2013 abgeschlossen sein, jedenfalls steht es so in türkischen Zeitungen. Die Bewohner von Hasankeyf sind bisher nicht darüber informiert worden, wann das Wasser kommen wird und wohin sie dann gehen sollen. Der Bürgermeister von Hasankeyf, Abdullah Vahap Kusen, sagte nach der Grundsteinlegung auf Anfrage, bis jetzt habe er keinerlei Informationen und es sei mit ihm kein einziges Mal über das Projekt gesprochen worden. Keine lauten Töne Indessen hat Kusen keineswegs aufgegeben. Er hofft auf einen Prozess, den er in der Türkei gegen das Projekt angestrengt hat. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg wird sich mit einer Klage gegen den Staudamm befassen. Nicht zuletzt hofft Kusen auch auf die Unterstützung von Umweltgruppen aus Europa. Vor vier Jahren war nach einer Kampagne das Dammprojekt schon einmal abgeblasen worden. Angeführt von der britischen Ingenieurfirma Balfour Beatty, zogen sich immer mehr Unternehmen von dem Projekt zurück. Mit solchen Irritationen mag das eher leise Auftreten der türkischen Regierung zusammenhängen. Nicht zu laute Töne empfehlen sich aber auch wegen der arabischen Nachbarn der Türkei, die den türkischen Staudammprojekten an Euphrat und Tigris von jeher kritisch gegenüberstehen. Ohne die biblischen Flüsse Euphrat und Tigris wäre der Irak zum grossen Teil eine Wüste. Die Türkei hat immer mehr Wasser vom Euphrat abgezweigt; nun ist auch der Tigris an der Reihe. Von türkischer Seite werden solche Befürchtungen als unbegründet abgetan. Auch der im Frühjahr von Hochwasser geplagte Irak profitiere schliesslich von einer Regulierung der Wassermenge, heisst es. Ausserdem werde der Staudamm bei Ilisu nur zur Stromerzeugung gebaut, es werde also kein Wasser entnommen. Andererseits will die Türkei nur eine Wassermenge von 60 Kubikmetern pro Sekunde garantieren. Das ist weniger als ein Achtel des jährlichen Durchschnittes von 520 Kubikmetern pro Sekunde. Ausserdem wird diese «Garantie» als freiwillig und mithin als nicht bindend betrachtet. Von türkischen Medien ist mittlerweile auch zu erfahren, dass es nun doch Bewässerungsprojekte geben soll. Geplant ist demnach die Bewässerung einer Fläche von 120 000 Hektaren. Erhöhter Salzgehalt Nicht nur die Menge, auch die Qualität des Wassers wird sich ändern. Durch Verdunstung in dem Stausee wird der Salzgehalt zunehmen. Dies verschärft das Grundproblem der irakischen Landwirtschaft, die Bodenversalzung. An manchen Stellen südlich von Bagdad glänzt der Boden schon heute von Salzkristallen, als wäre Schnee liegen geblieben. Letztlich ist der Staudamm auch ein politischer Hebel. Anstatt mit dem Einmarsch von Truppen zu drohen, könnte die Türkei dem Nachbarn in den heissen Sommermonaten einfach den Wasserhahn abdrehen.
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