Der Standard, 07.08.2006 Türken machen gegen Ilisu mobil Der Widerstand gegen den Staudamm kennt vor allem einen Namen: Die idyllisch am Fluss Tigris gelegene mittelalterliche Stadt Hasankeyf Istanbul/Wien - Der Bodensee passt nur gut zur Hälfte rein, dennoch sind die Ausmaße beträchtlich: Durch den am Tigris geplanten Ilisu-Staudamm, dessen Grundsteinlegung für diesen Samstag geplant ist, soll in Südostanatolien ein mehr als 300 Quadratkilometer großer Stausee entstehen. Größer ist in der Türkei nur der 1992 eröffnete Atatürk-Stausee am Euphrat. Dem ebenso großen wie umstrittenen Energieprojekt müssen nach Angaben von Staudamm-Gegnern mindestens 170 Dörfer und mehrere 10.000 Menschen weichen. Proteste gibt es aber vor allem in der mittelalterliche Stadt Hasankeyf, die durch den Staudamm überflutet werden soll. Laut WWF haben sich dort am Freitag 10.000 Menschen versammelt, um gegen das Vorhaben zu demonstrieren. Jahrtausende alte Schätze Wuchtige Pfeiler einer Anfang des 12. Jahrhunderts von den Aturkiden, einem Turkvolk, errichteten Steinbrücke, zeugen von der einstigen strategischen Bedeutung der Stadt. Überragt werden der Ort und das markante Minarett der Rizk-Moschee von einer in den Felsen gebauten Festung. Archäologische Funde in den weitläufigen Höhlen, von denen einige bis vor kurzem noch bewohnt wurden, haben gezeigt, dass der Ort auf eine Jahrtausende alte Siedlungsgeschichte zurückblicken kann. "Hände weg von Hasankeyf", haben deshalb die Mitglieder eines Aktionsbündnisses gegen das Staudammprojekt für die anlässlich der Grundsteinlegung geplanten Proteste auf T-Shirts drucken lassen. "Archäologisches Disney-Land" Mit großer Skepsis begegnen sie den Beteuerungen von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, Hasankeyf werde für den Tourismus nicht verloren gehen. Nach Angaben der türkischen Wasserbaugesellschaft DSI bleiben die Oberstadt und damit mehr als 80 Prozent des Ortes vom Wasser verschont. Für die von der Überflutung bedrohte Unterstadt hat sich die Regierung eine besondere Lösung ausgedacht. Ein Teil der historischen Bauten soll abgetragen und in einem "Kulturpark" aufgestellt werden - einem "archäologischen Disney-Land", wie Spötter meinen. Die Rettungsaktion erinnert an Abu Simbel, die Felsentempel des ägyptischen Pharaos Ramses II., die in den 60er Jahren beim Bau des Assuan-Staudamms zerlegt und versetzt wurden. Zweifel an der geplanten Aktion meldet auch der Archäologe Adolf Hoffmann an. "Die Brücke kann man sicher nicht translozieren", sagt der langjährige Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Istanbul. Möglich sei, das Minarett der Rizk-Moschee, für die das DAI vor Jahren eine bauhistorische Untersuchung betreut habe, "als Monument" an anderer Stelle wieder aufzubauen. Allerdings gehe dabei "die historische Dimension verloren". Eine Überflutung der Unterstadt - "der Kern dessen, was Hasankeyf ausmacht" - wäre nach Einschätzung des Archäologen "ein ganz außerordentlicher Verlust". Die Oberstadt habe nur ein Bruchteil dessen zu bieten, was am Fluss an exzellenten islamischen Bauten erhalten sei. Wie kaum ein anderer Ort führe Hasankeyf mit seinem Ensemble an mittelalterlichen islamischen Bauten, "das in Anatolien in dieser Dichte nicht ein zweites Mal anzutreffen ist", das Aufblühen einer Handelsstation bildhaft vor Augen. Zudem sei vieles noch nicht untersucht. Umsiedlung der Bewohner Das Aktionsbündnis der Staudammgegner hat aber auch das Schicksal der von der Umsiedlung bedrohten Bewohner vor Augen. "Diesen Menschen, die sich nur auf Landwirtschaft verstehen, droht die Armut", sagt Hüseyin Kalkan, Bürgermeister der nahe gelegenen Ölstadt Batman. Dagegen macht die staatliche Wasserbaugesellschaft DSI geltend, dass der auf sieben Jahre veranschlagte Bau nahezu 7.000 Menschen Beschäftigung verschaffe. Der Staudamm trage mit seinem geplanten 1.200-Megawatt-Kraftwerk nicht nur zur Stromerzeugung bei. Mit modernsten Methoden könnten zusätzlich 120.000 Hektar Land bewässert werden. Federführend soll
das Milliarden-Projekt vom österreichischen Industriekonzern Andritz geleitet
werden. Andritz hat die Vorwürfe der Denkmalschützer ebenso wie jene von
Menschenrechts- und Umweltaktivisten am Freitag zurückgewiesen. Ob die
Oesterreichische Kontrollbank (OeKB) eine Exporthaftung für das umstrittene
Bauvorhaben übernehmen wird, ist noch offen. (APA/dpa) |