junge Welt, 29.11.2006
»55 sollen
umgesiedelt werden«
Widerstand gegen
Staudammbau in der Osttürkei wächst. 199 Siedlungen und Kleinstadt Hasankeyf
wären im Weg. Ein Gespräch mit Ercan Ayboga
* Ercan Ayboga ist
Mitarbeiter der Verwaltung der Großstadt Diyarbakir in der Osttürkei.
Der Wasserbauingenieur ist führender Aktivist der Initiative zur Rettung
von Hasankeyf, in der sich soziale und kulturelle Nichtregierungs- und
Berufsorganisationen sowie die Kommunen der von einem Staudammprojekt
betroffenen Region zusammengeschlossen haben
In den kurdischen
Landesteilen der Türkei soll im Rahmen des Südostanatolienprojektes GAP
am Oberlauf des Tigris ein Großstaudamm errichtet werden. Warum lehnen
Sie das Projekt ab?
Der Nutzen bei der Energiegewinnung ist gering, aber der Bau des Ilisu-Staudammes
wird viele negative Auswirkungen auf sozialem, ökologischem und kulturellem
Gebiet haben. Wir sehen hinter den Plänen vor allem politische Gründe
in bezug auf den Irak und Syrien. Die Möglichkeit, diesen Ländern das
Wasser abzudrehen, wird das Konfliktpotential in der Region erhöhen.
Welche Folgen hat
der Staudammbau für die Bevölkerung in der betroffenen Region?
Nach dem offiziellen Bauplan sind 199 Siedlungen und die Kleinstadt Hasankeyf
im Weg. 55000 Menschen sollen umgesiedelt werden. Die Hälfte der örtlichen
Bevölkerung besitzt kein eigenes Land, sondern arbeitet für Großgrundbesitzer.
Diese Menschen werden die großen Verlierer sein, weil sie keine Entschädigung
erhalten. Aber auch Kleinbauern, die eine finanzielle Entschädigung bekommen,
sind auf das Leben in den Städten nicht vorbereitet. Sie werden keine
Arbeit finden und das Geld nach ein paar Jahren verbraucht haben. Großstädte
wie Batman und Diyarbakir müßten Zehntausende neue Zuwanderer aufnehmen.
Dies würde die sozialen Probleme dort noch weiter verschärfen.
Warum steht die Stadt
Hasankeyf im Mittelpunkt der Proteste?
Hasankeyf ist eine mindestens 9000 Jahre alte Stadt mit den Spuren von
rund 20 Kulturen. Der Ort ist so etwas wie ein Freilichtmuseum mit 6000
Wohnhöhlen und 300 Monumenten. Hier bilden Natur und Kultur eine Einheit.
Hasankeyf könnte der Schlüssel zu einer Entwicklung der Region durch Kulturtourismus
sein.
Die türkische Regierung
schlägt vor, einige Monumente aus dem Ort an anderer Stelle in einem Kulturpark
wieder aufzubauen. Ist das realistisch?
Türkische Archäologen sagen, daß das technisch nicht machbar sei. Außerdem
steht Hasankeyf in engem Zusammenspiel mit der Natur. Der Ort verliert
diese Besonderheit, wenn die Pfeiler der mittelalterlichen Steinbrücke,
die einmal die größte der Welt war, zwei Kilometer weiter aufgebaut werden.
Auch nichtüberflutete Teile der Stadt wie der Burgberg würden mit der
Zeit einstürzen, weil der Kalkstein vom Stausee zerstört wird.
Welche Möglichkeiten
des Widerstandes sehen Sie?
In der Region gibt es seit Jahrzehnten Menschenrechtsverletzungen, und
die Kämpfe zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Guerilla haben
wieder zugenommen. In dieser Atmosphäre ist Protest nicht einfach. Wir
besuchen regelmäßig die betroffenen Dörfer, um die Menschen besser zu
organisieren und über ihre Rechte aufzuklären. Im August haben wir am
Tag vor der Grundsteinlegung für den Damm ein Protestkonzert mit 10000
Teilnehmern veranstaltet. Wir versuchen, über die Gefahren des Staudammbaus
in nationalen und internationalen Medien zu informieren. Vor dem Europäischen
Gerichtshof und türkischen Gerichten laufen Verfahren, weil die Regierung
mit dem Dammbau auch gegen türkisches Recht verstößt.
Der 1,2 Milliarden
Euro teure Ilisu-Damm soll von einem von der österreichischen Firma VA
TechHydro geführten Konsortium gebaut werden, an dem auch der Stuttgarter
Baukonzern Ed. Züblin AG sowie der Schweizer Anlagenbauer Alstrom beteiligt
sind. Ed. Züblin hat bei der Bundesregierung Hermesbürgschaften in Höhe
von 200 Millionen Euro beantragt. Wie ist der Stand?
Bislang ist keine Entscheidung gefallen. Wir rechnen in den nächsten Monaten
mit einem Ja mit Auflagen. Ich bin dennoch zuversichtlich, daß wir den
Staudammbau noch stoppen können, weil die Menschen in der Region sich
immer besser organisieren, das mediale Interesse wächst und dieser Damm
gegen internationale Konventionen verstößt.
Interview: Nick Brauns |