swissinfo, 05.03.2008

Schweiz wegen Ilisu-Staudamm erneut in der Kritik

Dem Untergang geweiht: Hasankeyf und 199 andere historische Stätten in der Türkei.

Der Bau des Ilisu-Staudamms in der Türkei ist weiter umstritten: Einwohner, die den Fluten weichen müssen, haben vor der Schweizer Botschaft in Ankara protestiert.

Sie drohten damit, dass rund 1500 Menschen in der Schweiz, in Deutschland und Österreich Asyl beantragen werden. Der Damm wird von Firmen aus diesen Ländern gebaut.

Der Ilisu-Staudamm in der Südosttürkei verändert das historische Gebiet im Tal des Flusses Tigris nachhaltig: Über 300 Quadratkilometer gross wird der Stausee. Rund 55'000 Menschen, vorwiegend kurdische Bauernfamilien, müssen den Fluten weichen und ihre Heimat verlassen.

Neben 198 anderen Siedlungen ist auch die 10'000 Jahre alte Stadt Hasankeyf, ein anerkanntes Kulturjuwel, dem Untergang geweiht.

"Tausende von Menschen würden durch den Ilisu-Stausee ihre Lebensgrundlage verlieren", erklärte Diren Özkan von der Initiative zur Rettung Hasankeyfs am Dienstag bei der Aktion in der türkischen Hauptstadt. "Wenn die Schweizer, Österreicher und Deutschen ihre Exportkreditgarantien nicht zurückziehen, werden wir als Nächstes in diesen Ländern Asyl beantragen."

Rund 100 Demonstranten übergaben den Botschaftern der drei Länder einen entsprechenden Brief, wie die Nichtregierungs-Organisation Erklärung von Bern (EvB) mitteilte.


Auflagen missachtet

Die Kritik von Anwohnern des Tigristales und EvB: Die Türkei hält die Auflagen zum Schutz von Menschen, Umwelt und Kulturgütern nicht ein, welche die Bauherrin auf Druck der Exportrisikoversicherer einhalten muss.

Seitens der Schweizer Wirtschaft sind die vier Unternehmen Alstom, Colenco, Maggia und Stucky am Projekt beteiligt, das auf 1,2 Mrd. Euro veranschlagt ist. Den Firmen hatte der Bundesrat vor einem Jahr eine Exportrisikogarantie von 225 Mio. Franken zugesichert.

"Der Protest ist verständlich und wir nehmen diesen sehr ernst", sagt Christoph Sievers, Direktor der Schweizerischen Exportrisikoversicherung (Serv) gegenüber swissinfo. Ein unabhängiges Expertenteam habe im Dezember festgestellt, dass die Schutzvereinbarungen nur teilweise eingehalten würden, heisst es in einer Serv-Mitteilung.

Das Team überprüft zuhanden der beteiligten Versicherungen regelmässig, ob die Auflagen umgesetzt werden.

 

Die Kontrollkommission habe deshalb Vorschläge zur Behebung der Mängel formuliert und dem türkischen Wasserbauministerium Korrekturmassnahmen vorgeschlagen.

Die Schweizer Beteiligung ist laut Sievers zur Zeit nicht in Frage gestellt. "Die Entwicklung in der Türkei mit dem Staudamm wird genau verfolgt", sagt er.

Die protestierende lokale Bevölkerung sieht das anders. "Hasankeyf ist unsere Geschichte, Kultur und unser Gedächtnis", schreiben sie im Brief an die Botschafter. Sie rufen die Politiker auf, ihre Unterstützung des Projektes sofort zurückzuziehen. Statt des Staudamms brauche die Region die Entwicklung des Tourismus und der Landwirtschaft.

Die EvB wirft den Regierungen vor, mit den Exportrisikogarantien grünes Licht für den Bau des umstrittenen Dammes gegeben zu haben.

Die ersten Enteignungen an der Dammbaustelle hätten gezeigt, dass die türkische Wasserbaubehörde die Auflagen der europäischen Regierungen ignoriert hätten. Es fehle an fruchtbarem Land, um ein neues Leben aufzubauen.


Gleichwertiger Ersatz

Bei der Exportrisikoversicherung teilt man den Ansatz dieser Kritik. Bei der Umsiedlung entschädigt der türkische Staat die Betroffenen in der Regel für das verlorene Land nach türkischem Recht.

Die beteiligten Exportkreditagenturen in Deutschland, Österreich und der Schweiz fordern stattdessen die Prüfung des Prinzips der Wiederherstellung der Lebensbedingungen.

Die Serv streicht weiter heraus, dass Ilisu-Wasserkraftwerk sei das erste Projekt, das flankierende Massnahmen nicht nur vorsehe, sondern deren Erfüllung auch kontrolliert.

Dazu nimmt die Kontroll-Kommission laut Sievers auch künftig laufend Beurteilungen vor. Stelle sie Verstösse gegen die gemachten Zusicherungen fest, könne sie korrigierende Massnahmen vorschlagen, welche im Extremfall zur Verzögerung des Baus oder der Kündigung der Deckung des Projekts führen können.

Die Serv erstattet dem Bund regelmässig Bericht über den Stand des Projekts in der Südosttürkei. Im Fall einer möglichen Eskalation wird das Staatssekretariat für Wirtschaft des Bundes (Seco) konsultiert.


Keine Hektik in Bern

Bern aber bleibt momentan gelassen. Das Schweizerische Aussenministerium (EDA) bestätigte lediglich die Überreichung des Schreibens bei der Schweizer Botschaft in Ankara. "Die Botschaft nimmt die Anliegen der Befürworter und der Gegner des Projekts entgegen," sagte ein EDA-Sprecher.

Gelassenheit signalisiert auch das Bundesamt für Migration. Sprecher Jonas Montani schliesst zwar nicht aus, dass Asylgesuche aus dem Südosten der Türkei bewilligt werden könnten. Umweltgründe würden aber nicht als zwingende Fluchtgründe gelten, schränkt er ein.

swissinfo, Renat Künzi