junge Welt, 01.09.2008 Vertreibungen billigend in Kauf genommen Dokumentarfilm soll Kampagne gegen deutsche Finanzierung von Staudammbau in der Türkei ankurbeln Von Nick Brauns Obwohl die türkische Regierung gegen zahlreiche Auflagen im Bereich Menschenrechte, Umwelt- und Kulturschutz verstößt, rückt die Bundesregierung bislang nicht von ihrer finanziellen Unterstützung eines umstrittenen Staudammprojektes in der Osttürkei ab. Ein im August vorgelegter Prüfbericht eines von deutschen, österreichischen und Schweizer Exportrisikoversicherern beauftragten Expertengremiums beklagt trotz »leichter Fortschritte« weiterhin gravierende Mängel und Versäumnisse insbesondere bei den Umsiedlungen der Bewohner des betroffenen Gebietes. Durch den Bau des Ilisu-Damms am Oberlauf des Tigris würden rund 200 Dörfer und Kleinstädte, darunter die 9000 Jahre alte Stadt Hasankeyf mit ihren archäologischen Monumenten in den Fluten eines 135 Kilometer langen Stausees verschwinden. Bis zu 65000 kurdische Bauern würden weitgehend entschädigungslos von ihrem Land in die Slums der benachbarten Großstädte vertrieben. Finanziert wird der Dammbau durch Kreditbürgschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro sowie zinsgünstige Kredite von Banken aus diesen Ländern. Nach einem ersten, für die türkische Regierung vernichtenden Expertenbericht im März hatten die Exportrisikoversicherer der Türkei bis Mai Zeit zur Umsetzung der 153 Auflagen gegeben. Obwohl diese Frist verstrich, stimmten die Regierungsparteien SPD und CDU/CSU in einem Bundestagsausschuß im Mai gegen einen Antrag der Linken zum sofortigen Rückzug der staatlichen Hermes-Bürgschaft. Bei einer Debatte im Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe betonte die Bundesregierung Ende Juni, daß die Auflagen für den Dammbau aus ihrer Sicht nicht verhandelbar seien. Daß sich die Türkei bisher über die Vereinbarungen hinwegsetzte, stimmte die Regierungsparteien lediglich »nachdenklich«. Es gebe »keinen Hinweis, daß es nicht realisiert wird«, zeigte sich Wolfgang Leitner, der Chef des österreichischen Anlagenbauers Andritz, bei der Vorlage der Konzernhalbjahresbilanz Ende Juli weiterhin zuversichtlich über den Fortgang des Projekes. Andritz führt das Ilisu-Konsortium zum Bau des 1,2 Milliarden Euro teuren Damms, dem auch der Stuttgarter Baukonzern Ed. Züblin AG angehört. Parallel zu den in der Türkei laufenden Protesten, an denen sich neben Nichtregierungsorganisationen, Parlamentsabgeordneten und Bürgermeistern der betroffenen Region auch Kulturschaffende wie der bekannte Popstar Tarkan beteiligen, hoffen die in der Kampagne »Rettet Hasankeyf – Stop Ilisu« zusammengeschlossenen Staudammgegner in Deutschland, jetzt mit einem Film neue Mitstreiter zu gewinnen. In dem ab September in ausgewählten Kinos gezeigten Film »Und macht euch die Erde untertan« des Dokumentarfilmers Christoph Walder wird die von Zerstörung bedrohte Landschaft und Kultur Obermesopotamiens vorgestellt. Von Vertreibung betroffene Bauern, Politiker aus der Region aber auch Vertreter der am Bau beteiligten Unternehmen kommen zu Wort.
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