Focus
online, 02.12.2008
Ilisu-Staudamm
Türkei beginnt umstrittenes Ilisu-Bauprojekt ohne Auflagen zu
erfüllen
Die Türkei hat mit dem Bau des umstrittenen Ilisu-Staudammprojekts begonnen,
wie Umweltschützer berichten. Dabei erfüllt das Projekt bisher nicht die
Auflagen der europäischen Geldgeber. Grünen-Chefin Claudia Roth sprach
von „Brüskierung“.
Die Türkei hat nach Angaben von Umweltschützern trotz Warnungen europäischer
Geldgeber mit dem umstrittenen Ilisu-Staudammprojekt in Südostanatolien
begonnen. Aktuelle Fotos von der Baustelle am Tigris belegten „umfangreiche
Arbeiten“ an dem geplanten Damm, erklärte die europäische Ilisu-Kampagne,
ein Bündnis von Staudammgegnern, am Dienstag. Der Baubeginn widerspreche
den Vorgaben Deutschlands, der Schweiz und Österreichs. Die drei Länder
hatten Exportkredite für das Projekt an zahlreiche Auflagen geknüpft,
die von der Türkei vor einem Baubeginn erfüllt werden sollen. Grünen-Chefin
Claudia Roth kritisierte Ankara deshalb scharf.
Der mehr als eine Milliarde
Euro teure Ilisu-Damm soll ein 1200-Megawatt-Wasserkraftwerk antreiben.
Das Kraftwerk soll nach den Plänen der türkischen Regierung eine wichtige
Rolle beim wirtschaftlichen Aufbau des verarmten und vom langen Krieg
zwischen der Armee und Rebellen gezeichneten Kurdengebiet spielen. Staudammgegner
werfen der Türkei jedoch vor, das Projekt ohne Rücksicht auf die Menschen
in dem Gebiet und auf die Umwelt voranzutreiben. Der Dammbau erfordert
die Umsiedlung von mehr als 50.000 Menschen. Von den türkischen Behörden
lag am Dienstag keine Stellungnahme zu den Berichten über begonnene Bauarbeiten
am Damm vor.
Die Kreditversicherer aus Deutschland,
der Schweiz und Österreich hatten in den vergangenen Jahren mehrmals Experten
in die Region geschickt, um die Erfüllung der mehr als 150 Auflagen zu
überprüfen. Die Fachleute stellten fest, dass die allermeisten Bedingungen
nicht einmal ansatzweise erfüllt sind. Deshalb setzten die Kreditversicherer
den türkischen Behörden eine Frist, die am 12. Dezember ausläuft: Kann
die Türkei bis dahin nicht nachweisen, wie sie die Auflagen noch erfüllen
kann, ist eine Suspendierung der Exportkredite möglich.
Roth und die Grünen-Entwicklungspolitikerin Ute Koczy erklärten, die Türkei
habe mit den begonnenen Baubarbeiten erneut bewiesen, „dass sie sich in
verantwortungsloser Weise über jegliche Vereinbarungen hinwegsetzt“. Ankara
habe die drei beteiligten europäischen Ländern „brüskiert“, weshalb die
Bundesregierung nun endgültig die in Aussicht gestellten Hermesbürgschaften
stoppen müsse.
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