Tagblatt, 04.12.2008 Neue Wirren
um Ilisu-Staudamm Die Schweiz, Deutschland
und Österreich fordern von der Türkei den Schutz von Mensch, Kultur und
Umwelt beim Bau des Ilisu-Staudamms. Sonst wollen die drei Staaten nicht
für die Kredite bürgen. Beobachter sagen nun, die Türkei arbeite ungeachtet
dieser Auflagen weiter am Damm. istanbul. Seit Umwelt- und Menschenrechtsgruppen Fotos veröffentlicht haben, die Bauarbeiten am Ilisu-Staudamm zeigen, ist umstritten, ob die Türkei trotz Mahnung durch die Schweiz, Deutschland und Österreich an dem Staudamm einfach weiter baut. Am 7. Oktober hatten die drei Staaten die Türkei kritisiert, weil die nach den Richtlinien der Weltbank vorgesehenen Auflagen für die Vorbereitung der Umsiedlung der Bewohner der Region und den Schutz der Kulturgüter des 6000 Jahre alten Städtchens Hasankeyf nicht erfüllt wurden. Der Türkei war damals
eine Frist bis zum 12. Dezember eingeräumt worden, um bei der Erfüllung
der Auflagen nachzubessern. Vergangenen Montag aber veröffentlichte die
Erklärung von Bern zusammen mit Umweltgruppen aus Deutschland und Österreich
Fotos, die Bauarbeiten an einer Betonkonstruktion im Tigris zeigen und
weitere Baufahrzeuge bei Erdarbeiten in einiger Entfernung. Es gibt indessen
verschiedene Versionen darüber, was die Betonkonstruktion ist und in welchem
Verhältnis sie zum Bau des Staudamms zu sehen ist. Peter Gumpinger von der Österreichischen Kontrollbank erklärte im Gespräch mit der Österreichischen Nachrichtenagentur APA, es handele sich um eine Brücke für Dorfbewohner, die eine Fähre ersetzen soll. In Österreich ist die Kontrollbank für den Fall zuständig, weil das Finanzministerium auf ihre Empfehlung hin die Exportrisikogarantie gibt. In einem Artikel der türkischen Zeitung «Hürriyet Daily News» wird das für Ilisu zuständige Wasserwirtschaftsamt der Türkei (DSI) mit der Aussage zitiert, es handle sich um eine Brücke für Baufahrzeuge, die beim Bau des Staudamms gebraucht, aber später wieder beseitigt würde. «Hürriyet Daily News» zitiert aber auch einen nicht namentlich genannten Ingenieur, der meint, die Konstruktion würde wie ein Teil eines Staudamms aussehen, nämlich wie ein Teil einer Schleuse, die später den Durchfluss des Wassers regeln soll. «Wenn man den Tigris kennt, ist auch klar, dass eine so niedrige Brücke – sei sie nun für Fussgänger oder für Baufahrzeuge errichtet – jedes Frühjahr für längere Zeit unbenutzbar wäre, weil sie überflutet wird.» Der von der DSI auf 1,2 Milliarden Euro veranschlagte Bau des Ilisu-Staudamms soll 2013 abgeschlossen sein. Finanziert wird er zu 100 Prozent durch ausländische Kredite, die wiederum fast ausschliesslich durch Exportrisikogarantien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands gedeckt werden. Aus der Schweiz sind die Firmen Alston, Stucky, Colenes Power Engineering und Maggia Engineering am Bau beteiligt. Während ihres Besuchs
in Ankara und Istanbul im November, der nicht in erster Linie der Klärung
des Ilisu-Projekts diente, stellte Bundesrätin Doris Leuthard Verbesserungen
bei der Planung der Umsiedlungen fest. Die Wirtschaftsministerin sagte
aber auch, dass dies von Experten erst noch geprüft werden müsse. Auf Anfrage erklärte der Bürgermeister des Städtchens Hasankeyf, Abdulvahap Kusen, dass es auch nach dem 7. Oktober keine wesentlichen Verbesserungen in der Frage der Umsiedlungen gegeben habe. «Da hat sich nicht viel getan», sagte Kusen. Die Kritik an dem
Bauprojekt, das schon einmal nach dem Rückzug verschiedener Firmen aus
Grossbritannien, Schweden und der Schweizer UBS vor dem Aus stand, betrifft
vor allem die ungenügende Vorbereitung der Bevölkerung, den fehlenden
Schutz von Kulturgütern und eine ganze Reihe ungeklärter Umweltfragen. Ein Bericht einer Kommission unter Leitung von Margarete van Ess vom Deutschen Archäologischen Institut kam im Oktober zum Schluss, dass es noch immer keine ausreichenden Dokumentation der betroffenen Kulturgüter gebe. Es fehlten auch Studien über die Durchführbarkeit der Verlegung von Kulturgütern in einen geplanten archäologischen Park in der Nähe von Hasankeyf, das im Ilisu-Stausee untergehen würde. |