junge Welt, 08.12.2008 Dammbau trotz Ultimatum Türkische Regierung brüskiert deutsche, österreichische und Schweizer Exportversicherer Von Nick Brauns Rund eine Woche vor Ablauf eines Ultimatums der deutschen, österreichischen und Schweizer Regierung an die Türkei wurde bekannt, daß die Bauarbeiten am umstrittenen Ilisu-Großstaudamm im kurdischen Osten der Türkei entgegen der Zusagen aus Ankara nicht gestoppt wurden. Man intensivierte sie sogar. Die in der europäischen Ilisu-Kampagne zusammengeschlossenen Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen legten in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel in der vergangenen Woche aktuelle Fotos vor, die den Bau einer Betonbrücke für schwere Baufahrzeuge über den Tigris dokumentieren. In der Nähe der Baustelle entsteht zudem auf einem Hügel eine neue Kaserne für Hunderte Soldaten, die die Baustelle vor Angriffen kurdischer Guerillakämpfer und Protesten der von Vertreibung bedrohten Bevölkerung schützen sollen. Staudammgegner wurden von Sicherheitskräften bereits am Betreten des Ortes Ilisu gehindert und die Baustelle weiträumig abgesperrt, berichtet Ercan Ayboga von der örtlichen »Initiative zur Rettung von Hasankeyf«. Die staatlichen Exportrisikoversicherer Deutschlands, Österreichs und der Schweiz unterstützen den Staudammbau mit Bürgschaften von rund einer halben Milliarde Euro für die im Ilisu-Konsortium vertretenen Firmen, darunter den Stuttgarter Baukonzern Züblin. Da die türkische Regierung während der vergangenen zwei Jahre kaum eine der an die Kreditvergabe gekoppelten 153 Auflagen in den Bereichen Umsiedlungen, Umweltschutz und Kultur erfüllt hatte, schickten die Exportversicherer Anfang Oktober eine sogenannte »Umwelt-Störanzeige« nach Ankara, in der ultimativ bis zum 12. Dezember die Umsetzung der Auflagen gefordert wurde. Ansonsten sei eine Suspendierung der Kredite möglich. Dem Vernehmen nach aber wollen Deutschland, Österreich und die Schweiz trotz des permanenten Vertragsbruchs der türkischen Seite nicht aus dem Projekt aussteigen. So fand laut dem Züricher Tagesanzeiger am 23. Oktober in Frankfurt am Main hinter verschlossenen Türen ein Krisentreffen der Exportrisikoversicherer mit Vertretern der türkischen Regierung, finanzierenden Banken und dem europäischen Lieferantenkonsortium statt. Offenbar sei eine Verlängerung des Ultimatums vereinbart worden, befürchten die Staudammgegner nun einen erneuten schmutzigen Kompromiß. »Die Bauarbeiten sind ein weiterer Beweis dafür, daß die Türkei sich nicht an die Vorgaben hält«, erklärte Heike Drillisch von der Ilisu-Kampagne in Deutschland. Eine Fristverlängerung wäre eine »Bankrotterklärung«. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth forderte nach der »Brüskierung« der beteiligten europäischen Länder durch Ankara den endgültigen Stopp der Hermesbürgschaften für das Ilisu-Projekt. Durch den Staudammbau würden bis zu 65000 Menschen von ihrem Land vertrieben. 200 Siedlungen und die rund 10000 Jahre alte mesopotamische Felsenstadt Hasankeyf würden in den Fluten des Stausees untergehen. Zudem könnte die Türkei den Irak mit dem Aufstauen des Tigriswassers politisch etwa in der Kurdenfrage erpressen.
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