Die Presse, 12.12.2008 Aus für Ilisu-Staudamm im Dezember? HEDI SCHNEID Die Chancen, dass eines der spektakulärsten und umstrittensten Großbauprojekte mit österreichischer Beteiligung – der Ilisu-Staudamm in der Türkei – realisiert wird, sinken gegen null. Wien. Die Chancen, dass eines der spektakulärsten und umstrittensten Großbauprojekte mit österreichischer Beteiligung – der 1,2 Mrd. Euro teure Ilisu-Staudamm in der Türkei – realisiert wird, sinken gegen null. Heute, Freitag, läuft die 60-Tage-Frist ab, die die Exportkreditagenturen Deutschlands (Euler-Hermes), Österreichs (Kontrollbank) und der Schweiz (Serv) der Türkei gesetzt haben. Die Regierung in Ankara sollte nach wiederholter Aufforderung nachweisen, dass sie jene 153 sozialen und ökologischen Auflagen der Weltbank erfüllt, an die die Exportkreditagenturen ihre Finanzierungsgarantien geknüpft haben. Umfangreiches Datenmaterial haben die Türken geliefert. Heute, Freitag, starten die Vertreter der Exportkreditagenturen die entscheidende Beratungsrunde über das Megaprojekt am Tigris, das von einem Konsortium unter Führung des österreichischen Anlagenbauers Andritz errichtet werden soll. „Jetzt kommt alles auf den Tisch“, bestätigt Kontrollbanksprecher Peter Gumpinger der „Presse“. Und: „Die Entscheidung wird im Dezember fallen.“ Dass der Ausstieg aus dem Projekt – konkret der Rückzug der Garantien und damit auch der Kredite von UniCredit, Deka-Bank und Société Générale – so gut wie fix sei, will Gumpinger noch nicht definitiv bestätigen. Dass aber die Experten zu dem Schluss kommen, alles sei bestens, „ist sehr unwahrscheinlich“. Der neue Außenminister, Michael Spindelegger (ÖVP), hat jedenfalls der Kontrollbank, die nur im Gleichklang mit Euler-Hermes und Serv vorgeht, eine klare Entscheidungshilfe vorgegeben. Mittwochabend erklärte er in der „ZIB2“: „Wenn man Auflagen vorher definiert hat und diese nicht erfüllt werden, dann kann es auch kein Geld geben.“ Wenn Verträge geschlossen seien, müssten die auch eingehalten werden. Bei diesen Auflagen geht es unter anderem darum, dass für die rund 65.000 im betroffenen Gebiet lebenden Menschen neues Land und neue Wohnungen gefunden werden müssen. Außerdem soll die antike Stadt Hasankeyf, die direkt im Gebiet des künftigen Stausees mit 300 Quadratkilometern liegt und vom Untergang bedroht ist, in einen Kulturpark übersiedelt werden. Darüber hinaus erfordert das Projekt, bei dem Österreich mit knapp 300 Mio. Euro dabei ist, umfassende Infrastruktureinrichtungen. Der Rückzug aus dem Projekt, das von Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie „ECA Watch“ heftig kritisiert wird, zeichnete sich Anfang Oktober ab. Nachdem eine unabhängige Expertenkommission aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Abstand von einem halben Jahr in umfassenden Berichten festgestellt hatte, dass die Türkei die Auflagen gar nicht oder nur mangelhaft umgesetzt hatte, stellten die Exportkreditagenturen Ankara die Rute ins Fenster. Die „Environmental Failure Notice“ an alle an dem Projekt Beteiligten war der erste Akt des vertraglich vereinbarten Ausstiegsszenarios und für die Kontrollbank ein Novum bei einem Großprojekt. Zuletzt haben zudem Bilder einer Betonkonstruktion am Tigris, die von „ECA-Watch“ verbreitet wurden, die Skepsis gegen das Staudammprojekt geschürt. Laut dem türkischen Wasserwirtschaftsamt DSI handelt es sich um eine Brücke für Baufahrzeuge, die für den Damm gebraucht wird. Damit hätte die Türkei den vereinbarten Baustopp bis zur Prüfung der Auflagen gebrochen. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2008)
|